Berlin. .

Die Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer nach einer Zuzugsbegrenzung für Türken und Araber auf den deutschen Arbeitsmarkt schlägt weiter Wellen. SPD, FDP, Grüne, Linkspartei und die Bundesagentur für Arbeit halten den Vorstoß für nicht zielführend.

Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich insofern hinter ihren Koalitionspartner, als dass sie ein Argument in der Sache teilt: Der weithin be­klagte Fachkräftemangel soll zunächst durch das Ausschöpfen des vorhandenen Arbeitskräftepotenzials von gut drei Millionen Arbeitslosen ausgeglichen werden. Erst danach könne man über weitere qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland reden. Reicht das? Ein Überblick:

Was halten Fachleute von Seehofers Vorstoß?

Wenig bis nichts. Alle führenden Arbeitsmarktexperten sind sich einig, dass angesichts der Überalterung der Gesellschaft Deutschland dringend Arbeitskräfte und Zuwanderer aus dem Ausland benötigt, um Wirtschaftskraft und Wohlstand dauerhaft zu sichern. Ab 2015, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), verliere die deutsche Wirtschaft jedes Jahr rund 250 000 Arbeitskräfte. Ohne gesteuerte Zuwanderung müsse in Deutschland die Lebensarbeitszeit auf rund 70 Jahre verlängert werden. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln schätzte für das vergangene Jahr den Wohlstandsverlust durch fehlende Fachkräfte auf rund 15 Milliarden Euro. Die in der Union verbreitete Auffassung, entsprechendes Personal in erster Linie aus deutschen Langzeitarbeitslosen zu rekrutieren, halten die Forschungsinstitute für unrealistisch.

Wo wirkt sich der Fachkräftemangel schon heute nennenswert aus?

Ein Beispiel: Nach Angaben des Branchenverbandes VDI fehlen derzeit 36 000 Ingenieure in Deutschland. Bis 2014, so die Prognose, können rund 200 000 so genannte MINT-Fachkräfte-Stellen, al-so Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler und Techniker, nicht besetzt werden.

Wie ist heute der Zuzug von Arbeitskräften aus dem Ausland geregelt?

Generell gilt: Für Akademiker wurde der Zugang erleichtert. Für Nicht- und Geringqualifizierte gilt weiterhin ein Anwerbestopp. Hochqualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland (außerhalb der EU), die mehr als 66 000 Euro im Jahr verdienen, erhalten sofort eine Niederlassungserlaubnis. Das gibt ihnen die gleichen Rechte wie deutschen Arbeitnehmern. Auch ihre Familienangehörigen dürfen arbeiten. Übrige Fachkräfte sind dem Vorrangprinzip unterworfen. Sie kriegen nur dann einen Job, wenn die Bundesarbeitsagentur keinen deutschen Bewerber findet. Ihr Aufenthalt ist befristet. Erst nach drei bis fünf Jahren haben sie Aussicht auf eine Niederlassungserlaubnis. Selbstständige können zuwandern, wenn sie mindestens 250 000 Euro investieren und fünf Arbeitsplätze schaffen. Aber: Die Zahl derer, die kommen, ist aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit „verschwindend gering“. Ein Grund unter vielen ist nach Angaben des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen, dass sich Deutschland nach wie vor mit der Anerkennung von beruflichen Abschlüssen aus dem Ausland unnötig schwertut.

Ist nur Deutschland für gut qualifizierte Ausländer wenig attraktiv?

Nach Angaben der EU-Kommission gehen 55 Prozent der topausgebildeten Migranten nach Amerika, in der EU landen aus dieser Gruppe nur rund fünf Prozent. Weil Talente aus Asien und anderen Boom-Regionen um Europa oft einen Bogen machen, soll 2011 in der EU die Bluecard eingeführt werden; Europas Antwort auf die Greencard, mit der die USA seit Jahrzehnten erfolgreich die besten Kräfte ins Land locken.

Was hat es mit der gesteuerten Zuwanderung auf Basis eines Punktesystems auf sich, für das sich neben FDP, SPD und Grünen jetzt auch die Bundesagentur für Arbeit stark macht?

Vorreiter eines solchen Systems waren klassische Einwanderungsländer wie Kanada, Australien oder Neuseeland. Das Prinzip geht so: Es werden jährliche Zuwanderungsquoten festgesetzt. Dann können sich Interessenten bewerben. Sie bekommen je nach Alter, Sprachfähigkeit, Berufserfahrung, Familienstand, Anpassungsfähigkeit oder Geld für Investitionen und Lebensunterhalt eine bestimmte Punktzahl zugewiesen. Wer am besten abschneidet, darf einwandern. Je nach Lage der Wirtschaft können die Zuzugsquoten gesenkt oder angehoben werden. In Kanada sind maximal 100 Punkte zu erreichen; ab 65 hat der Kandidat gute Einreisechancen.