Bremen. .

Zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung hat Bundespräsident Wulff Einwanderer zur Integration aufgefordert. Er forderte zugleich von den Deutschen Toleranz und mahnte, zu große Unterschiede zwischen den Kulturen „gefährden den Zusammenhalt“.

Bundespräsident Christian Wulff hat an die Zuwanderer appelliert, sich mit Deutschland als Heimat zu identifizieren. Der Ruf der Ostdeutschen vor 20 Jahren „Wir sind ein Volk“ müsse „heute eine Einladung sein an alle, die hier leben“, sagte Wulff am Sonntag in Bremen auf dem zentralen Festakt zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung. Diese Einladung sei nicht gegründet auf Beliebigkeit, sondern auf Werten, die Deutschland starkgemacht hätten. Wulff machte zugleich deutlich, dass er sich als Präsident aller Menschen im Land verstehe, auch der deutschen Muslime.

In seiner mit Spannung erwarteten programmatischen Rede warnte Wulff davor, Menschen mit ausländischen Wurzeln pauschal zu verunglimpfen. Sie dürften nicht verletzt werden in durchaus notwendigen Debatten, warnte Wulff, ohne den umstrittenen ehemaligen Bundesbanker Thilo Sarrazin beim Namen zu nennen. „Legendenbildungen, Zementierung von Vorurteilen und Ausgrenzungen dürfen wir nicht zulassen. Das ist in unserem eigenen nationalen Interesse“, mahnte der Bundespräsident, in dessen Rede die Integration einen breiten Raum einnahm. Deutschland habe eine christlich-jüdische Geschichte. Aber auch der Islam gehöre heute zu Deutschland.

Probleme wurden unterschätzt

Wulff räumte ein, dass die Probleme der Integration regelmäßig unterschätzt worden seien. Das Staatsoberhaupt nannte dabei das „Verharren in Staatshilfe, Kriminalitätsraten, Machogehabe, Bildungs- und Leistungsverweigerung“. Konsens sei, dass Migranten Deutsch lernen müssten und dass in Deutschland deutsches Recht gelte. Nachholbedarf sieht Wulff in Integrations- und Sprachkursen für ganze Familien, mehr Unterrichtsangebote in der Muttersprache und islamischen Religionsunterricht von hier ausgebildeten Lehrern. Zugleich müssten Regeln und Pflichten konsequenter durchgesetzt werden, etwa bei Schulschwänzern. Mit entschlossener Gegenwehr müsse rechnen, wer die im Land geltenden Werte missachte. Das gelte für fundamentalistische, linke und rechte Extremisten gleichermaßen.

Das Staatsoberhaupt warb für einen „neuen Zusammenhalt“ in der Gesellschaft und mahnte dabei Solidarität der Stärkeren mit den Schwächeren an. Die Eliten forderte er auf, sich nicht in eine Parallelwelt zu verabschieden und sich damit von der Gesellschaft zu abzuwenden. Eindringlich rief Wulff dazu auf, die Kinder auf dem Weg ins Leben zu unterstützen. Deutschland brauche mehr Eltern, die ihren Kindern sagten, sie sollen sich anstrengen. Notwendig sei zudem mehr Anerkennung für den Beruf des Lehrers. An die Wirtschaft appellierte Wulff, auch ausländischen Jugendlichen Lehrstellen und Jobs zu geben. „Wir brauchen mehr Unternehmen, die sagen: Wir geben den vielen, die es sich verdient haben, eine Chance - egal ob er oder sie nun Schulze oder Yilmaz heißt, Kinder hat oder nicht, als zu jung oder zu alt gilt.“

Lob für die Veränderungsbereitschaft der Ostdeutschen

Der Bundespräsident würdigte in seiner Rede ferner die Veränderungsbereitschaft der Ostdeutschen als Vorbild für alle Bürger des Landes. Die Menschen im Osten hätten mit ihrem Mut zur Veränderung „aus ganz Deutschland ein anderes Deutschland gemacht“. Sie hätten vorgelebt, wie Umbrüche zu meistern seien. Das sei nicht ausreichend hervorgehoben worden. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung brauche das ganze Land solchen Mut in einer sich rasant verändernden Welt.

Wulff räumte ein, dass Lebenswelten in Deutschland auseinanderdriften: die von Alten und Jungen, Spitzenverdienern und denen, die vom Existenzminimum leben, Menschen mit und ohne Arbeit, Volk und Volksvertretern sowie Menschen unterschiedlicher Kulturen und Glaubensbekenntnisse. Manche Unterschiede lösten Ängste aus, die man nicht leugnen dürfe. Das Land müsse Verschiedenheit wollen und aushalten. Zu große Unterschiede gefährdeten aber den Zusammenhalt. Vielfalt müsse geschätzt, Risse in der Gesellschaft müssen aber geschlossen werden. Das sei die Aufgabe der „Deutschen Einheit“ heute.

Wulff bezeichnete den 3. Oktober 1990 als „epochalen Tag“. Auch 20 Jahre danach erfülle ihn dieser Tag mit großer Dankbarkeit. Er verneige sich vor allen, die für die Freiheit gekämpft hätten. Das Staatsoberhaupt nannte als Beispiel die unlängst verstorbene Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley.

Die zentrale Einheitsfeier fand in Bremen statt. Der Stadtstaat hat derzeit den Vorsitz im Bundesrat inne. Von Freitag bis Sonntag lockte ein Bürgerfest nach dem Fazit des Senats rund 350.000 Besucher an. Die Einheitsfeiern waren weitgehend friedlich. Eine unter dem Motto Demonstration am Samstag „Der 3. Oktober ist kein Tag zum Feiern“ angemeldete Demonstration mit rund 2.000 Teilnehmern blieb überwiegend friedlich. In der Nacht zu Sonntag brannten jedoch drei Autos, ein Bagger und vier Müllcontainer, in einer Postfiliale wurden Scheiben eingeworfen.

Auch Kanzlerin Merkel rief in der „Welt am Sonntag“ zu mehr Anerkennung für die Lebensleistung der früheren DDR-Bürger auf. Es sei schade, „dass manche bis heute nicht sehen oder verstehen wollen, dass das Staatsgebilde der DDR das eine war - und das Leben jedes Einzelnen das andere“, betonte die Kanzlerin. Viele Menschen im Osten habe das verletzt.

Der frühere sowjetische Staatschef Michael Gorbatschow unterstrich auf einem Festakt in der Frankfurter Paulskirche die Rolle der Völker bei der deutschen Wiedervereinigung. Ohne den Einheitswillen der Deutschen und dessen Akzeptanz durch das russische Volk hätte die sowjetische Regierung nicht so handeln können, wie sie gehandelt habe, unterstrich Gorbatschow.

Nachdenkliche Töne kamen von der Linken. „Vieles wurde geschafft, und vielen geht es heute besser als damals“, erklärten die Linke-Chefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Es seien aber auch „viele Fehler“ gemacht worden. Noch immer gebe es keine gleichen Löhne und Renten in Ost und West. „Vieles ist liegen geblieben“, beklagten die Linke-Vorsitzenden. DGB-Chef Michael Sommer forderte, es müsse endlich die soziale Einheit hergestellt werden, beispielsweise durch einen einheitlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde in Ost und West.

Gauck „Deutsche können Freiheit“

Auch in Berlin fanden zahlreiche Feiern zum Jahrestag der Einheit statt. Zum Bürgerfest am Brandenburger Tor strömten Zehntausende Menschen. Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus hatten den früheren Bürgerrechtler Joachim Gauck am Samstag als Festredner zu einer Feierstunde eingeladen. „Deutsche können Freiheit“, sagte Gauck in seiner Rede. Diese Leistung der Menschen im Osten dürfe man niemals vergessen.

Der Bundestag erinnerte mit einer eigenen Feierstunde an die Ereignisse vor 20 Jahren. Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) würdigte im Beisein von Alt-Kanzler Helmut Kohl dessen „herausragenden persönlichen Anteil“ daran, dass Nachbarstaaten und wichtige Partner von der deutschen Einheit überzeugt werden konnten. Die Gäste der Feierstunde erhoben sich zu Ehren von Kohl von ihren Plätzen und applaudierten. Lammert betonte ferner, auch bei selbstkritischer Betrachtung der vergangenen 20 Jahre hätten alle miteinander Anlass zu „stillem Stolz und lautem Dank. Das gilt für den Westen gegenüber dem Osten nicht weniger als umgekehrt“.

Umrahmt wurde die Feierstunde von kulturellen Beiträgen. Ein Fallschirmspringer landete mit einer Deutschlandfahne in unmittelbarer Nähe des Parlamentsgebäudes. Auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude verfolgten mehrere tausend Bürger den Festakt. Die Feierstunde endete mit der Europahymne und einem Feuerwerk.. (ddp/afp)