Berlin. .

Kurz vor dem 20. Jahrestag der Wiedervereinigung hat sich der Altkanzler besorgt über die gesellschaftliche Entwicklung geäußert. Seiner Partei sprach er in Zeiten sinkender Umfragewerte Mut zu. Wolfgang Schäuble reichte er die Hand der Versöhnung.

Alt-Kanzler Helmut Kohl hat eindringlich vor einer Spaltung der Gesellschaft gewarnt. Er beobachte mit zunehmender Sorge, dass sich die Gesellschaft spalte in Arme und Reiche, Gebildete und Ungebildete, Akademiker und Nicht-Akademiker, Facharbeiter und Ungelernte, Arbeitende und Arbeitslose, Leistungsträger und Hartz-IV-Empfänger sowie Nicht-Deutsche und Deutsche, sagte Kohl am Freitag auf einer Veranstaltung der CDU aus Anlass ihres Vereinigungsparteitages vor 20 Jahren. Die Aufzählung ließe sich noch fortsetzen, sagte der frühere CDU-Vorsitzende. Der gesellschaftliche Konsens drohe in wichtigen Fragen verloren zu gehen.

Als Schlüssel, um diese Entwicklung aufzuhalten, nannte Kohl die Bildung. Zum Wesen der Demokratie gehörten mündige Bürger. Mündig könne aber nur sein, wer ein Mindestmaß an Bildung habe.

Kohl spricht der CDU Mut zu

Der langjährige CDU-Chef machte seiner Partei angesichts magerer Umfragewerte zugleich Mut. „Lassen wir uns doch nicht einreden, dass unser Wählerpotenzial schwindet. Das Volk ist unser Potenzial“, sagte Kohl. Die CDU sei kein Auslaufmodell, sie bleibe vielmehr ein Zukunftsmodell, sagte Kohl. Seine Partei dürfe sich auch nicht einreden lassen, dass konservativ und fortschrittlich Gegensätze seien. Das Gegenteil sei wahr. „Konservativ und fortschrittlich sind zwei Seiten einer Medaille.“

Es sei immer die CDU gewesen, die in den entscheidenden Stunden der Bundesrepublik in Regierungsverantwortung die Weichen für das Land richtig gestellt habe. Es sei die CDU gewesen, die vor 20 Jahren die friedliche Revolution in der DDR als historische Chance begriffen und die Wiedervereinigung des Landes möglich gemacht habe. SPD und Grüne hingegen hätten vor 20 Jahren „in historischer Stunde versagt“. Die CDU ist und bleibe eine Volkspartei. Sie sei offen für alle Menschen in allen Schichten und Gruppierungen des Landes.

Skeptisch äußerte sich Kohl zu den Regierungsplänen, die Wehrpflicht auszusetzen. Er könne nicht erkennen, „dass sich die Welt in den vergangenen Jahren so sehr verändert hat, dass die Wehrpflicht nicht mehr möglich sein soll“, sagte der Alt-Kanzler. Er habe die Wehrpflicht immer aus Überzeugung vertreten und auch in den Verhandlungen zur deutschen Einheit daran festgehalten. Es sei gut, dass die Union vor einer Entscheidung über dieses Kernthema gründlich diskutieren wolle, sagte Kohl mit Blick auf die anstehenden Regionalkonferenzen von CDU und CSU.

Die Präsidien beider Parteien hatten sich zu einer Aussetzung der Wehrpflicht entschlossen und waren damit dem Vorschlag von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gefolgt. Die Parteitage beider Parteien wollen nach den Regionalkonferenzen im Herbst entscheiden.

Versöhnung mit Schäuble

Kohl nutzte die Rede zugleich zu versöhnlichen Worten für seinen politischen Weggefährten Wolfgang Schäuble. Er grüßte seinen früheren Minister „mit großer Herzlichkeit“ und wünschte ihm gute Besserung. Das sei nicht nur irgendeine Floskel, sagte Kohl. Schäuble habe mehr als viele andere Einsatz bei der Wiedervereinigung gezeigt. Schäuble sei Teil der CDU. „In diesen schwierigen Tagen soll er das ganz genau wissen“, betonte Kohl. Schäuble musste sich in dieser Woche wegen Druckgeschwüren für vier Wochen ins Krankenhaus begeben.

Die langjährigen Weggefährten Kohl und Schäuble haben seit zehn Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Hintergrund ist die damalige CDU-Spendenaffäre, die Kohl den Ehrenvorsitz seiner Partei kostete. Auch zum 80. Geburtstag von Kohl im April gab es keine Gratulation Schäubles.

Der frühere Parteichef tritt wegen gesundheitlicher Probleme nur noch selten in der Öffentlichkeit auf. Zudem war das Verhältnis zwischen ihm und der Partei durch die CDU-Spendenaffäre vor zehn Jahren lange Zeit schwer belastet. (dpad)