Berlin. .
Der Bundespräsidentschaftskandidat Joachim Gauck hat in seiner Rede zur Wiedervereinigung Berlins an den historischen Tag vor 20 Jahren erinnert. Gleichzeitig forderte er eine konsequente Integrations- und Sozialpolitik.
Der frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck, hat anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung Berlins an die Rolle der Menschen im friedlichen Herbst 1989 erinnert. Mit den damaligen Ereignissen habe sich gezeigt, „Deutsche können Freiheit“, sagte der Bürgerrechtler und ehemalige Kandidat für das Bundespräsidentenamt am Samstag auf dem Festakt „20 Jahre Wiedervereinigung Berlins“.
Nach Gaucks Worten darf diese Leistung der Menschen von 1989 niemals vergessen werden. Mit ihrem Ruf „Wir sind das Volk“ hätten sie nicht nur den „stärksten und schönsten Satz“ der deutschen Politik formuliert, sie hätten mit der Wiederentdeckung der eigenen Kräfte die Freiheit in den so lange eingemauerten Teil Europas geholt, fügte der Gauck hinzu. Anders als „Kaiser- und Führergeburtstage“ anderer Epochen, die eine Einladung zur Selbstüberhöhung und Selbstüberschätzung gewesen seien, gründe sich der 3. Oktober darin, „dass Menschen zu ihrem Menschenmaß zurückfanden“.
Der unterlegene Bundespräsidentschaftskandidat Gauck sprach sich in seiner Rede zudem für deutliche Forderungen gegenüber Hartz-IV-Empfängern und integrationsunwilligen Ausländern aus. „Der Staat darf sich nicht selbst zur Disposition stellen, indem er die eigenen Normen nicht ernst nimmt“, sagte der DDR-Bürgerrechtler.
“Bei der Versorgung wollen selbst diejenigen integriert sein, die unsere Kultur ablehnen, sie sogar bekämpfen und denunzieren“, sagte Gauck. Dies sei „ein merkwürdiger Zustand und der kann nicht unbesprochen bleiben“, fügte er hinzu. „Wenn eingewanderte Familien sich noch jahrelang der Landessprache verweigern, dann werden alle Integrationsbemühungen scheitern“, sagte Gauck.
Gauck für Kindergartenpflicht
Gauck forderte, Kinder aus Familien, in denen nicht deutsch gesprochen werde, müssten früh in Kindergärten geschickt werden. „Das sind einfache Maßnahmen, sie kosten etwas Geld“, sagte er. „Aber das Geld, das man ausgibt für die Integration, spart man später bei der Versorgung von Langzeitarbeitslosen und schwer integrierbaren Erwachsenen.“
Zugleich schaltete sich Gauck mit deutlichen Worten in die Hartz-IV-Debatte ein. „Wir müssen uns nicht fürchten, auch in den Problemzonen der Abgehängten Forderungen zu stellen“, sagte Gauck, der als Kandidat von SPD und Grünen bei der Bundespräsidentenwahl angetreten war. „Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten.“ Zwar sei es „unmenschlich, Schwachen etwas abzuverlangen, was sie total überfordert und es ist unbarmherzig, ihnen die erforderlichen Hilfen zu verweigern“, sagte Gauck. „Aber es ist auch gedankenlos und zynisch, so zu tun, als könnten alle die Menschen nichts tun, die im Moment nichts haben.“
Zu dem Festakt im Berliner Abgeordnetenhaus begrüßten Parlamentspräsident Walter Momper und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (beide SPD) rund 400 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Zu den Ehrengästen des Festaktes gehörten die letzten drei Stadtkommandanten der Westalliierten, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Lala Süsskind, der katholische Bischof von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, sowie zahlreiche Ehrenbürger der Stadt, darunter der Liedermacher Wolf Biermann und der erste Deutsche im All, Sigmund Jähn. Ebenfalls als Ehrengäste vertreten waren fünf ehemalige Regierende Bürgermeister der Stadt.
„Berlin symbolisiert einzigartig deutsche Geschichte“
Momper verlas in seiner Rede den letzten Weisungsbrief der westalliierten Stadtkommandanten vom 2. Oktober 1990. Darin beglückwünschten die Militärs den damaligen Regierenden Bürgermeister Momper und die Bürger zum „Beginn einer neuen Ära“. Momper sagte, Berlin habe schon immer „in ganz einzigartiger Weise“ die Geschichte Deutschlands symbolisiert.
Wowereit lobte jene, die vor 20 Jahren die Einheit der Stadt organisiert hatten, insbesondere den sogenannten Magi-Senat aus Magistrat (Ost) und Senat (West). Es sei eine „gigantische Aufbauleistung gewesen“, eine getrennte Infrastruktur, Verwaltung und medizinische Versorgung zusammen zu führen. Es stimme aber auch: „Am 3. Oktober 1990 war schon längst spürbar, dass der Vereinigungsprozess für viele Berliner mit großen Enttäuschungen begann.“ Viele hätten ihre Arbeit verloren. „Aber die meisten haben das Beste aus der Situation gemacht und sich teilweise völlig neu erfunden“, sagte Wowereit. Diese „großartige biografische Leistung“ verdiene Respekt.
Wichtiger Anteil Gorbatschows am Wandel
Der Berliner Regierungschef dankte ausdrücklich den ostdeutschen Bürgerrechtlern des Herbstes 1989. „Der Tag der Einheit markiert das Ende eines Prozesses, der mit der friedlichen Revolution und dem Fall der Mauer begann.“ Dank gebühre auch jenen, die Berlin und der deutschen Demokratie damals das Vertrauen entgegengebracht und dem Land die volle Souveränität übergeben hätten. „Das waren die alliierten Schutzmächte, aber es war auch die Sowjetunion unter der Führung von Michael Gorbatschow, dem wir in besonderer Weise verdanken, dass der Wandel friedlich verlief.“
Am 2. Oktober 1990 war um Mitternacht der seit Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 in Berlin geltende Vier-Mächte-Status zu Ende gegangen. Bis zu diesem Tag unterstand die Stadt den Besatzungsmächten USA, Großbritannien und Frankreich im Westteil und der Sowjetunion im Osten. (afp/dapd)