Castrop-Rauxel. .
In einem offenen Brief bezieht der Landrat des Kreises Recklinghausen, Cay Süberkrüb, Stellung zu den Äußerungen von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin.
Sehr geehrter Herr Dr. Sarrazin!
Ihre über die Medien verbreitete, Ihrem Buch entnommene These über eine Bedrohung von Deutschlands Zukunft durch Muslime, ist eine sachlich falsche, polemische und politisch unerträgliche Zuspitzung, die uns allen nicht weiterhilft. Wenn Sie Gutes bewirken wollten, ist Ihnen das gründlich misslungen – versöhnen statt spalten, dieses Wort von Johannes Rau sei Ihnen ans Herz gelegt!
Heute Abend habe ich als Landrat des bevölkerungsreichsten Kreises Deutschlands die Vertreter der Integrationsräte und -ausschüsse der kreisangehörigen Städte für heute Abend zu einem Gespräch eingeladen – gemeinsam beziehen wir in diesem Offenen Brief an Sie Stellung.
Ohne auf Ihre einzelnen Thesen einzugehen, sehen wir in der Veröffentlichung nur einen einzigen Vorteil, aber viele Nachteile. Positiv ist lediglich, die notwendige und an vielen Stellen geführte Diskussion über das gesellschaftspolitisch wichtige Thema Integration erneut öffentlich in den Vordergrund zu rücken.
Die Nachteile liegen in den vielen Pauschalisierungen und vor allem – so hat es der Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky in einem WDR-Radiointerview sinngemäß gesagt – in Ihrem weitgehenden Verzicht auf Vorschläge, welche Maßnahmen ergriffen werden könnten oder sollten, um zu einem besseren Miteinander und damit zu einer guten gemeinsamen Zukunft in und für Deutschland zu kommen.
Die Problemlagen sind klar – und das seit langem. Dass soziale Benachteiligung ein Nährboden für Aggression und Kriminalität ist, kann jede Gesellschaft weltweit seit Jahrhunderten beobachten und feststellen. Es gibt nicht nur in vielen Migrantenfamilien, sondern auch in deutschen Familien der sogenannten „bildungsfernen Schicht“ Versäumnisse der Eltern, ihren Kindern den Wert von Bildung klarzumachen und sie in ihren schulischen und ausbildungs-bezogenen Anstrengungen zu unterstützen.
Wenn Familien so versagen, müssen Staat und Gesellschaft Antworten finden und Angebote machen, die zu einer Verbesserung der Chancen der Kinder aus solchen Familien führen. Das ist völlig unabhängig von der Frage des Migrationshinter-grundes.
Ein früher Kindergartenbesuch, frühe Förderung sprachlicher und sozialer Kompetenzen, eine Fortführung dieser Förderung in der Grundschule und eine kontinuierliche Beratung und Begleitung von Familien und Kindern sind grundsätzlich als erste notwendige Schritte anzusehen.
Ja – der Staat muss Kinder, die in ihren Familien nicht ausreichend auf das Leben in unserer Gesellschaft vorbereiten werden, aktiv unterstützen. Er muss außerdem Angebote machen, die in ihrer Breite zu einer Selbstverständlichkeit werden und allen Kindern zugute kommen. Die Beitragsfreiheit für den Kindergartenbesuch wäre ein Beispiel, Lernmittelfreiheit ein anderes, sozialpädagogische Unterstützung in den Klassen 5 bis 10 ein weiteres.
Uns, den Unterzeichnern dieses Schreibens, liegt Deutschlands Zukunft ebenso am Herzen wie Ihnen. Wir sehen Deutschlands Zukunft allerdings nur dann gesichert, wenn alle in Deutschland lebenden Menschen und ihre Kinder dazu in die Lage versetzt werden und die Chance erhalten, einen Beitrag zu dieser guten Zukunft zu leisten.
Die Voraussetzungen dafür müssen Politik und Staat schaffen. Dazu bedarf es einer offenen Diskussion über die geeigneten Maßnahmen – aber keinesfalls einer polemischen Ausgrenzung derer, denen diese Maßnahmen zugute kommen sollen.
Mit freundlichen Grüßen,
Cay Süberkrüb
Landrat