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Bundesbanker und Freizeit-Genetiker Thilo Sarrazin tourt mit seinem Buch jetzt durch die TV-Talkshows. Den Anfang machte er bei „Beckmann“. Doch siehe da: Der vermeintlich spitzüngige Provokateur entpuppte sich als Langweiler.
Die Interviews in der Presse hat er durch, doch da übte er nach eigener Auskunft nur. Jetzt tourt der Bundesbanker und Freizeit-Genetiker Thilo Sarrazin mit seinem Buch durch die TV-Talkshows. Den Anfang machte er bei „Beckmann“. Doch siehe da: Der vermeintlich spitzüngige Provokateur entpuppte sich als Langweiler.
Angenommen, nur mal angenommen, man hätte die letzten zehn Tage in, sagen wir Neuseeland verbracht. Ohne Internet, ohne Tagesschau, ohne Zeitung. Man fährt im Taxi vom Flughafen nach Hause, der Jetlag lässt einen nicht schlafen, man zappt durchs Fernsehprogramm und bleibt bei „Beckmann“ im Ersten hängen. Da sitzt ein grauhaariger Herr mit altmodischem Schnauzbart und braunem Anzug, der von Genen und Abstammung faselt, von Pfarrhaus-Effekt und Fruchtbarkeit von Migranten. Mit vielen „Äh“ und „Also“ nuschelt sich der Talk-Gast durch Sätze, die oft einen Anfang, aber kein Ende haben, stets aber einen Hinweis auf sein neues Buch „Deutschland schafft sich ab“ enthalten. Was mag der verwirrte Heimkehrer aus Neuseeland angesichts dieses Nachtprogramms kurz vor der Geisterstunde denken?
Sarrazin sieht die Mehrheit der Bürger hinter sich
„Wie geht es Ihnen als Spalter der Nation?“, hatte ARD-Gastgeber Reinhold Beckmann den Mann begrüßt, der seit Tagen die öffentliche Debatte in der Republik beherrscht. Der so Angesprochene wollte von Spalterei natürlich nichts wissen. Er sehe „die Mehrheit der Bürger“ hinter sich und womöglich liegt Sarrazin damit gar nicht mal falsch. In – freilich wenig repräsentativen – Schnell-Abstimmungen von TV-Sendern etwa liegt die Zustimmungsquote für den schreibenden Bundesbanker bei satten 90 Prozent.
Was liegt da also näher, als den vermeintlichen Tabubrecher vor laufender Kamera zu stellen? Zumal Sarrazin sich bei „Beckmann“ als wenig eloquent und nicht gerade faktenfest erwies. Man merkte schnell: Wenn Sarrazin nicht seine Statistiken und Tabellen vor sich hat, um sich an sie zu klammern, gerät er schnell ins Schwimmen, sucht händeringend nach Worten, flüchtet sich in Allgemeinplätze. Aus seiner Sicht, so Sarrazin trotzig, sei seine Argumentation „wissenschaftlich solide“.
Beckmanns Talk bot also eine große Gelegenheit, dem selbst ernannten Sprecher der schweigenden Mehrheit ordentlich auf den Zahn zu fühlen. Doch Sarrazins Kontrahenten versemmelten fahrlässig diese Chance.
Soziologin widerlegt Sarrazins Zahlenwerk
Grünen-Frontfrau Renate Künast verpasste es genauso wie Sarrazins Partei-Kollege von der SPD, Olaf Scholz, den Gast mit Fakten zu widerlegen oder zumindest in Argumentations-Not zu bringen. Stattdessen beließen sie es bei Empörung über Sarrazins „verächtliche Art“, seine krude These über das „Gen der Juden“ oder seine Zahlenlastigkeit. „Ich habe das Gefühl, Sie gehen nachts mit dem Jahrbuch der Statistik ins Bett“, ätzte Künast. Aygül Özkan (CDU), türkischstämmige Integrationsministerin in Niedersachsen, warb immerhin eindringlich und argumentativ scharf für mehr Bildungsanstrengungen bei Zuwanderern. Es gehe um Menschen, nicht um Zahlen.
Die eigentliche Gegenspielerin Sarrazins saß an diesem Abend jedoch nicht bei Beckmann am Tisch, sondern war aus Berlin zugeschaltet. Die Politologin und Soziologin Naika Foroutan, selbst mit iranischem Migrationshintergrund, brachte in wenigen wohlgesetzten Sätzen Sarrazins wackliges Statistik-Gebilde arg ins Wanken. Etwa so: Sarrazin sagt, 40 Prozent der Migranten leben von Transferleistungen. Foroutan: Stimmt nicht, 80 Prozent haben eigene Einkünfte. Sarrazin sagt, es gebe kaum erkennbare Bildungs-Erfolge bei Migranten. Foroutan: Unsinn. Die Abiturienten-Quote bei türkischstämmigen Schülern etwa ist in den letzten rund 30 Jahren von ehemals drei auf heute 18 Prozent gestiegen.
Zum Schluss lässt Sarrazin die Maske fallen
Haben da die Gene den Dienst quittiert, Herr Sarrazin?
Gern hätte man mehr von der Expertin Foroutan gehört, doch Beckmann, der vergeblich den Eindruck zu erwecken versuchte, ein beinharter, kritischer Nachfrager zu sein, kappte allzu schnell die Leitung nach Berlin.
Dass am Schluss dann doch noch die Maske des vermeintlichen Aufklärers Sarrazin fiel und der wahre, reichlich profane Grund für seine Provokationen offenbart wurde, war denn auch weder dem Gastgeber, noch seinen „Lieben am Tisch“ (Beckmann) zu verdanken - sondern Sarrazin höchstselbst. Auf die Frage gegen Ende der Sendung, was er denn mit dem Honorar aus seinen Buch-Verkäufen anfangen werde, antwortete der frischgebackene Bestseller-Autor, dafür habe er „noch keine Pläne“. Und fügte freimütig hinzu: „Jetzt bin ich erst mal dabei, die Auflage zu steigern.“
Daran wird er auch in der nächsten Zeit fleißig arbeiten. Schon am Mittwoch empfängt mit Frank Plasberg der nächste ARD-Talker Sarrazin bei „Hart aber fair“.
Wär’ man doch in Neuseeland geblieben.