Köln.

Kalten Kaffee gab es am Dienstagabend bei „Menschen bei Maischberger“. Mit der Frage „Warum werden wir schlecht regiert?“ fing es an, am Ende redeten doch alle wieder über Thilo Sarrazin.

Es hätte spannend werden können. Zu „Kopflos, planlos, ahnungslos: Warum werden wir schlecht regiert?“ brachte „Menschen bei Maischberger“ (ARD) am Dienstagabend den Bayern Edmund Stoiber und den Bürgerrechtler Joachim Gauck zusammen. Was folgte, war kein Wachmacher, sondern kalter Kaffee, mühsam aufgebrüht. Und am Ende redeten doch alle wieder nur über Thilo Sarrazin.

Die entscheidende Frage stellte Joachim Gauck erst am Schluss: „Gab es eigentlich jemals eine Regierung, mit der die Leute zufrieden waren, als sie regierte“, fragte der ehemalige Bundespräsidentschaftskandidat in die Runde. Und schob ein leichtes Kopfschütteln nach. Damit hatte sich das Thema „Warum wir schlecht regiert werden“ eigentlich erledigt. Tenor: Das empfindet jeder eben subjektiv.

Eine weitere Folge „Alte Männer bei Maischberger“

Einer der Gäste bei „Menschen bei Maischberger“: Edmund Stoiber
Einer der Gäste bei „Menschen bei Maischberger“: Edmund Stoiber © ddp

Zuvor lief aber über eine Stunde lang eine weitere Folge „Alte Männer bei Maischberger“. Neben Gauck waren noch der frühere bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), der Journalist Peter Hahne und Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, gekommen, um sich über die „Protestwelle von unten“ auszutauschen. Ob Rauchverbot in Bayern, Schulreform in Hamburg oder die Widerstände gegen das milliardenschwere Projekt „Stuttgart 21“ – Maischberger beschwor die neue „Dagegen-Republik“ (Spiegel).

Doch für die jüngsten Beispiele der aufbegehrenden Bürger fand Maischberger nur historische Beispiele: Montagsdemonstrationen in der DDR, die Widerstände gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf oder die Proteste gegen den Nato-Doppelbeschluss. Die Moderatorin servierte ihren Zuschauern nur alten Kaffee, der äußert mühsam wieder aufgebrüht wurde. Mehr kam nicht, keine aktuellen Bezüge. Kaum Erklärung, warum sich gerade jetzt Volkes Zorn über die Politik entlädt.

Die Versuche blieben kläglich: Politiker, die den Kontakt zu den Bürgern verloren haben. Das kennt man schon, die vielen Nichtwähler auch. Nur Allgemeinplätze, meist oberflächlich durchstreift. Kaum einmal ein Gesprächspartner, der einen Gedanken eines Gegenübers aufnahm und ihn weiterführte. Edmund Stoiber, der fast flüsternd Gauck, den „großen Kämpfer für die Freiheit“ bauchpinselte und Klaus Staeck, dessen Definition von Demokratie darin bestand, „neben Stoiber sitzen zu können, ohne dass wir uns die Köpfe einschlagen.“ Das Phänomen selbst – wahrhaftig oder eingebildet - eine Bevölkerung die sich von ihrer Regierung zunehmend schlecht vertretend fühlt, tauchte allenfalls am Rande auf.

Stimmen der Straße verstummen schnell

Einzige Ausnahme blieb der kurzzeitig aus Stuttgart zugeschaltete Schauspieler Walter Sittler, die Galionsfigur des Widerstandes gegen den dortigen Bahnhofsumbau. Sittler als Sprecher einer wütenden Masse, die während des Gesprächs hinter ihm brodelte, war auch der einzige Gast, der sich offenkundig schlecht regiert fühlte. Mit zorniger Stimme rief der Schauspieler: „Politiker ignorieren die Meinungen der Bürger. Und benehmen sich wie Feudalherren, die ihre Untergebenen bestrafen, wenn diese nicht brav sind.“

Eine These, über die sich trefflich streiten ließe. Doch die „Stimme der Straße“ (Maischberger) verstummte rasch wieder. Dabei wäre es gerade interessant gewesen, mit Bürgern, statt nur mit deren Vertretern über Bürgerproteste zu reden. Was treibt sie an? Auf eine Antwort, immerhin fruchtbaren Streit über diese Frage oder wenigstens eine ernsthafte Debatte warteten die Zuschauer am Dienstagabend vergeblich.

Provokante Aussagen im Schnelldurchlauf

Im Gegenteil: Die Studiogäste waren sich rasch einig, dass es früher Politiker wie Helmut Schmidt, Willy Brand und Hans-Dietrich Genscher gab, „die für ihre Sache brannten“. Dafür, bemerkte Peter Hahne, gäbe es heute eher „weichgespülte Politiker, die kantigen halten sich nicht mehr.“

Und wie das jener Tage eben ist, beim Stichwort „kantige Politiker“ rutscht die Unterhaltung ganz selbstverständlich auf Thilo Sarrazin und seine streitbaren Thesen.

Im Schnelldurchlauf wurden die provokantesten Aussagen noch einmal durchgekaut und sich kurzzeitig über die offenbar große Zustimmung für Sarrazin in der Bevölkerung (laut Umfragen bis zu 70 Prozent der Befragten) erregt. Neues oder Unerwartbares war nicht dabei. Denn auch beim großen Streitfall herrschte schnell Einigkeit:„Sarrazin zerstört die Debatte“, fand Stoiber und auch Peter Hahnes Hinweis, er rede über Integration lieber mit Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky, blieb ohne Widerspruch.

Einzig Joachim Gauck merkte noch an, dass „durch die political correctness eine Tabuzone entsteht, in der man über bestimmte Probleme nicht mehr reden kann.“

Reden können hätte man stattdessen aber über die Behauptung: Bürger fühlen sich von ihrer Regierung im Stich gelassen und gehen deswegen immer öfter auf die Barrikaden. Letztlich war aber dieses Thema in einer Woche, in der es außer dem großen Spalter Sarrazin sowieso kaum etwas zu geben scheint, einfach zu konstruiert, zu bemüht Bloß-Nicht-Sarrazin, um es in der freundlichen Altherren-Runde kontrovers zu diskutieren.