Berlin. .

Renate Künast von den Grünen legt sich im Atomstreit mit der Kanzlerin an und droht mit Verfassungsklage. Die Debatte um längere AKW-Laufzeiten offenbart die tiefer werdenden Gräben zwischen beiden Parteien.

Frau Künast, regiert zur Zeit RWE-Chef Großmann oder Bundeskanzlerin Merkel?

Künast: In der Tat eine Besorgnis erregende und offene Frage. Es sind auf jeden Fall Profitinteressen, die das Land regieren. Das sieht man an der Energiepolitik: Die Regierung lässt den künftigen Energiemix nicht wissenschaftlich ausrechnen anhand des Potenzials der erneuerbaren Energien. Stattdessen wird den Wissenschaftlern vorgegeben, welche Laufzeitszenarien sie berechnen müssen. Ein abgeschriebenes Kraftwerk erwirtschaftet am Tag eine Million Euro Profit.

Womöglich kommt keine Abgabe neben der Brennelementesteuer. Welche Folgen hat das?

Künast: Ursprünglich hieß es: Brennelementesteuer plus Abgabe für erneuerbare Energien. Jetzt wird rumgeeiert, mal Hü, mal Hott. Die Brennelementesteuer muss kommen, weil die Atomindustrie sonst ein horrendes Privileg behält. Kohle und Gas sind besteuert, Uran nicht.

Was sollten die Betreiber für längere Laufzeiten abgeben?

Künast: Es gibt für uns kein finanzielles Arrangement für eine Verlängerung. Ein solches Kopplungsgeschäft würden die Bürger mit Fug und Recht als unanständig empfinden.

Was erwarten Sie von Merkel?

Künast: Das Aus für die Verlängerungsidee...

... was nicht kommen wird...

Künast: Auf der einen Seite will Merkel die erneuerbaren Energien fördern, auf der anderen Seite lässt sie längere Laufzeiten durchrechnen. Wie soll man so etwas noch ernst nehmen? Ich erwarte, dass die Kanzlerin Energiepolitik für das Land macht und nicht am Gängelband der Konzerne hängt.

Im energiepolitischen Appell attackieren Topmanager die Brennelementesteuer. Auch Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs und Oliver Bierhoff. Dürfen sie das?

Künast: Jeder darf sich so gut blamieren wie er kann. Bei Herrn Fuchs ist das angewandtes Spaltungsirresein: Er weiß nicht, ob er auf Seiten der Politik oder der Industrie agieren soll. Und Herr Bierhoff sollte sich besser darum kümmern, wer Kapitän der Nationalelf ist statt sich vor den Karren der Atomlobby spannen zu lassen.

Streit gibt es um die Frage, ob der Bundesrat längeren Laufzeiten zustimmen muss.

Künast: Jede Verlängerung muss durch den Bundesrat, weil sie in die Zuständigkeit der Länder eingreift. Das Justizministerium hat errechnet, dass maximal zwei Jahre und vier Monate ohne Bundesrat möglich seien. Dieses Rechenmodell werden wir bei unserer Klage in Karlsruhe vorlegen. Denn bei einer Verlängerung der Laufzeiten werden wir vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Sehen Sie nach der Atomdebatte eine Chance für ein Schwarz-Grün im Bund?

Künast: Die Entfernung zur CDU wird täglich größer. Mit dieser Art des Regierens – wie ein Brummkreisel hin und her – wollen wir nichts zu tun haben. Sie ist weder demokratisch, noch transparent noch am Gemeinwohl orientiert.

Wie lange hält Schwarz-Gelb?

Künast: Spätestens wenn es Baden-Württemberg ein Wahldesaster für die Union gibt, ist dies der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merkels.

Ist es für Sie nicht interessanter, auf ein Ende von Schwarz-Gelb zu setzen, als in Berlin im kommenden Jahr gegen den regierenden Bürgermeister Wowereit (SPD) anzutreten?

Künast: Man soll sich nicht selbst in den Mittelpunkt stellen.

Wann wollen Sie bekannt geben, ob Sie in Berlin kandidieren oder nicht?

Künast: Werden Sie nicht ungeduldig. Die Grünen erarbeiten jetzt ein Konzept für die ganze Stadt, danach gibt es Personalentscheidungen.

Verteidigungsminister zu Guttenberg baut die Bundeswehr um. Bleibt die kleinere Truppe schlagkräftig?

Künast: Guttenberg eiert bei der Wehrpflicht herum. Das ist nicht an der Sache orientiert. Nur weil die Konservativen in der Union nicht von der Wehrpflicht lassen können, müssen wir das Ausbildungspersonal für diejenigen bereithalten, die wir in komplizierten Einsätzen ohnehin nicht brauchen können. Denn in wenigen Monaten kann man keinen Soldaten richtig ausbilden. Dazu ist die Technik zu kompliziert und die Einsatzlage zu anspruchsvoll.

Trotz Verkleinerung der Armee muss der Minister Milliarden sparen. Wo?

Künast: Bei großen Aufträgen. Systeme und Geräte, die auf Landesverteidigung ausgerichtet sind, haben ihre Existenzberechtigung verloren. Wir brauchen heute keine schwere Artillerie oder eine Riesenflotte von Kampfpanzern mehr. Die bisherigen Beschaffungspraktiken nutzen mehr der Rüstungsindustrie als der Sicherheit. Wir müssen uns überlegen, welche Geräte wir brauchen, auch in der Abstimmung mit anderen Staaten. Mehr Effizienz durch europäische Absprachen ist möglich und nötig. Die Strukturen müssen schlanker und Dopplungen vermieden werden.

Künast will Bafög für Erwachsene

Wie sieht das grüne Bundeswehrkonzept aus?

Künast: Eine Bundeswehrreform, die diesen Namen verdient, geht nur mit dem Abschied von der allgemeinen Wehrpflicht, die übrigens mehr als 40.000 Stellen einspart. Wir setzen auf eine Mischung aus Berufssoldaten, Zeitsoldaten und Reservisten, jeweils Frauen und Männer, die wirklich qualifiziert werden können. Wir brauchen längere Ausbildungszeiten, weil das komplizierte technische Gerät dies heute erfordert. Über allem stellen wir den Vorrang für die zivile Bearbeitung von Konflikten, denn Militär kann nicht den Frieden selbst, sondern bestenfalls den Rahmen dafür schaffen.

Die SPD pocht auf einen späteren Einstieg in die Rente mit 67. Ein guter Kompromiss?

Künast: Es ist falsch, den Zeitplan in Frage zu stellen, weil über allem die Frage der Generationengerechtigkeit steht. Wir müssen jetzt vor allem die Beschäftigungsquote bei Älteren verbessern. Dazu brauchen wir eine andere Kultur in den Unternehmen.

Wie soll das gehen?

Künast: Ein Beispiel: Es gibt Betriebe, die über 40-Jährigen ein Fachhochschulstudium ermöglichen, wenn die sich im Gegenzug verpflichten, im Anschluss bei dem Unternehmen zu bleiben. Diese Qualifizierung älterer Arbeitnehmer könnten Bund und Länder durch ein Erwachsenen-Bafög unterstützen. Bei den Jobs bis 2000 Euro könnte der Staat Teile der Sozialversicherung übernehmen. Das schafft neue Arbeitsplätze.