Essen/Berlin. .
In der Diskussion um eine bessere Unterstützung für arme Kinder setzt die Regierung auf eine Bezahlkarte. Es regt sich aber auch Kritik.
Gut ein halbes Jahr nach dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts werden die Regierungspläne für eine Besserstellung der Kinder aus armen Familien konkreter. Statt der bislang diskutierten Bildungsgutscheine ist im Bundesarbeitsministerium nun eine Bezahlkarte mit einem Chip im Gespräch. Allerdings gibt es auch Kritiker.
Die Idee: Auf der Chipkarte könne ein vom Bund zur Verfügung gestelltes Guthaben gespeichert sein, mit dem die Kinder dann etwa Vereinsbeiträge, Schwimmbadeintritte oder Nachhilfestunden bezahlen könnten. Anders als reine Sozial-Gutscheine könnte die Chipkarte auch allen anderen Kindern zur Verfügung gestellt werden.
Vorbild Stuttgart
Als Vorbild gilt die Stuttgarter Familiencard. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt erhalten alle Kinder unter 16 Jahren, deren Eltern weniger als 60.000 Euro verdienen, eine Karte mit einem 60-Euro-Guthaben. Die Stuttgarter Karte „spielt in den Gesprächen eine ganz wichtige Rolle“, sagte ein Sprecher von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). In einer Woche wolle sie in Beratungen mit Fachleuten von Bund, Ländern, Kommunen und Wohlfahrtsverbänden einsteigen.
Bis Jahresende Hartz-IV-Sätze neu berechnen
Die Zeit ist knapp: Bis zum Jahresende, so die Vorgabe des Verfassungsgerichts müssen die Hartz-IV-Sätze neu berechnet und bei Kindern unter anderem die Ausgaben für Bildung angepasst werden. Als jährliches Guthaben für die Chipkarte für Hartz-IV-Kinder sollen 200 Euro im Gespräch sein. Das Geld soll dann sowohl bei kommunalen Stellen wie Musikschulen als auch bei festgelegten Privatunternehmen - etwa Nachhilfeanbietern - wie bei einer normalen Geldkarte zum Bezahlen genutzt werden können.
Die Chipkarte dürfte allerdings für alle Kinder kaum zum Jahresende verfügbar sein. Intern ist im Arbeitsministerium von „Zukunftsmusik“ die Rede. Denkbar ist eine Kombination mit den Familienkarten, die auch viele Städte an Rhein und Ruhr bereits kostenlos ausgeben. Diese Karten bieten Familien schon jetzt Ermäßigungen bei kommunalen, aber auch vielen privaten Anbietern und ließen sich womöglich in Modelle mit einem Bezahlchip umwandeln.
Noch „überhaupt keine Festlegung“
Dieser müsste dann jedoch von Eltern, Onkels oder anderen Familienangehörigen aufgeladen werden – oder zumindest teilweise von den Ländern und Kommunen. Das betont man auch im
Bundesarbeitsministerium. Dort will man in den Beratungen jedenfalls auch ein besonderes Augenmerk auf die Kinder von Aufstockern und anderen Eltern im Grenzbereich zwischen Vollverdienern und Transferempfängern legen. Sie dürften nicht schlechter gestellt werden, als die Kinder, die die staatlich gefüllte Chipkarte oder eine andere Unterstützung erhielten. „Das ist dann aber nicht mehr eine Frage des Bundes“, betont der Ministeriumssprecher.
Im Arbeitsministerium wurden alle kursierenden Zahlen als „komplett gegriffen“ bezeichnet. „Noch gebe es „überhaupt gar keine Festlegungen“, so ein Sprecher. Aufgabe der Bundesregierung sei es, bei Hartz-IV-Kindern die Möglichkeit zur sozialen Teilhabe zu verbessern, vor allem hinsichtlich Freizeit- oder Bildungsangeboten, so der Ministeriumssprecher. Dies solle „möglichst unkompliziert, direkt zum Kinde und so wenig diskriminierend wie möglich“ geschehen, formuliert der Sprecher die Maßgaben.
Lob für die Chipkarte
Gerade letzteres wäre dann gegeben, wenn so gut wie jedes Kind eine Chipkarte im Portemonnaie hätte. Vor allem deshalb gibt es für die Chipkartenidee Beifall. „Gutscheine haben etwas Diskriminierendes“, sagt Peter Weiß, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe in der Unionsfraktion. Auch der bildungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Patrick Meinhardt, bezeichnete Bildungschipkarten als richtigen Weg.
Norbert Hartmann, Armutsreferent der Caritas im Ruhrbistum begrüßt, dass die geplante Karte Kindern aus armen Familien „unproblematisch die Teilhabe an ganz normalen Dingen, an Selbstverständlichkeiten des Lebens ermöglichen“ würde. Dem schließt sich Nikolaus Schneider, Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, an: „Ich finde die Idee gut, weil die Bonuskarten für alle Kinder gedacht sind und Hartz-VI-Kinder nicht diskriminiert werden“, sagte der amtierende Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland.
„Ganztagesschulen statt Chipkarten“
Dagegen forderte Grünen-Chef Cem Özdemir angesichts der Debatte um bessere Bildungschancen für benachteiligte Kinder Ganztagsschulen statt Chipkarten. „Wer die Bildungschancen von Arbeiter- und Migrantenkindern fördern will, muss sich auf den Ausbau der Infrastruktur konzentrieren und vor Ort Angebote schaffen“, sagte Özdemir der „Rheinischen Post“
„Wir brauchen gute Kindertagesstätten und Ganztagsschulen für alle inklusive eines gesunden, regional erzeugten Mittagessens, das nach Möglichkeit kostenlos ist“, sagte der Grünen-Politiker. Engagierte Sozialpädagogen, Erzieher und Lehrer mit Migrationshintergrund seien sicher mindestens so wirksam wie eine Chipkarte, wenn es um die Verbesserung der Bildungschancen gehe.
Auch die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer lehnt ein Chipkarten-Modell zur Unterstützung von „Hartz IV“-Kindern ab. Es dürfe keine „Kinder erster und zweiter Klasse geben“, warnte die CSU-Politikerin in der „Passauer Neuen Presse“. Bestmöglich den individuellen Bedarf der Kinder erfüllen, Elternverantwortung stärken und Ausgrenzung vermeiden - „die Chipkarte gewährleistet keines dieser Ziele“, ging Haderthauer zu den Plänen von Bundessozialministerin von der Leyen (CDU) auf Distanz. Die Umsetzung sei „nicht durchdacht und bis zum 1. Januar 2011 nicht leistbar“. Es müssten „über eine Million Lesegeräte im ganzen Land“ angeschafft werden. „Wer bezahlt das?“, fragte Haderthauer. Zudem sei auch mit der Chipkarte keineswegs garantiert, dass die Kinder „an den Angeboten tatsächlich teilnehmen“.
Kritik auch von Gewerkschaften
Auch von den Gewerkschaften gab es Kritik. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach erklärte in der Zeitung: „Ich befürchte, dass mit dem Bildungschip ein System aufgebaut wird, das zur Stigmatisierung der Kinder von „Hartz IV“-Beziehern führt.“
Der DGB lehne Sachleistungen nicht per se ab. Sie dürften die betreffenden Gruppen allerdings nicht stigmatisieren. Diskriminierungsfreie Sachleistungen seien nach DGB-Vorstellungen „ein kostenfreies Mittagessen in der Schule für alle Kinder oder zusätzliche Angebote am Nachmittag für alle Kinder mit Lernschwächen“. (mit ddp)