Hamburg/Berlin. .
Die Debatte um die zukünftigen „Hartz IV“-Leistungen hält an. Nun melden sich erstmals die beiden großen Kirchen zu Wort. Bundesarbeitsministerin von der Leyen (CDU) arbeitet derzeit an einer weitreichenden Reform der Fürsorgeleistungen für Langzeitarbeitslose und Sozialfälle.
In der Debatte um die zukünftigen „Hartz IV“-Leistungen melden sich erstmals die beiden großen Kirchen zu Wort. Im „Hamburger Abendblatt“ forderten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und der Vorsitzende des Diakonischen Rats, der evangelische württembergische Landesbischof Frank Otfried July, die Bundesregierung auf, die Sätze für Langzeitarbeitslose zu erhöhen.
Erzbischof Zollitsch sagte: „Wir haben eine Verpflichtung, uns für ein menschenwürdiges Leben einzusetzen. Ich warne vor sozialem Kahlschlag und fordere soziale Ausgewogenheit.“ Zugleich sprach er sich dafür aus, zugunsten höherer „Hartz IV“-Sätze auch höhere Schulden in Kauf zu nehmen.
Landesbischof July forderte einen Anstieg der Sätze um 20 Prozent. „Wir sprechen diesen Menschen sonst ihre Lebensqualität ab.“ Der Landesbischof machte deutlich: „Arbeitslose und ihre Kinder haben einen Rechtsanspruch auf soziale Teilhabe. Da darf es keine Kompromisse in Form weiterer Einschnitte geben.“
Chipkartensystem umstritten
Kritik äußerten Zollitsch und July an dem von der Regierung angedachten Chip- oder Gutscheinsystem für Kinder. Zollitsch sei dazu „sehr skeptisch, da damit die Verantwortung der Eltern nicht wirklich ernst genommen wird.“ Auch July lehne ein solches System ab, denn „die soziale Ausgrenzung darf nicht sichtbar werden.“ Alternativ schlug er vor, ein generelles Chipkartensystem einzuführen: „Wir könnten uns vorstellen, dass alle Kinder eine Chipkarte bekommen. Die einen Kinder bekommen dann ihre Chipkarte von den Eltern aufgeladen, die anderen Kinder bekommen einen Zuschuss vom Staat auf ihre Karte.“
Ein derartiges Verfahren würde hingegen die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Ingrid Fischbach (CDU) begrüßen. „Mit der Chipkarte betreten wir kein Neuland. Es gibt schon einige Kommunen, die Kartensysteme nutzen, um Bildungs- oder Familienleistungen auszugeben“, sagte Fischbach. Das sei eine Form der Sachleistung, die nicht diskriminierend wirke. Eine Chipkarte werde von den Kindern wie eine EC- oder eine Telefon-Karte gesehen.
Parteien-Debatte um „Hartz IV“-Neuregelungen dauert an
Die SPD macht indessen bei „Hartz IV“ Druck. „Die Erhöhung der Regelsätze ist aufgrund der jetzt vorliegenden Einkommens- und Verbrauchsstichprobe und der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zwingend“, erklärte Olaf Scholz, SPD-Vize und von der Leyens Amtsvorgänger. „Allmählich überfällig“ seien die konkreten Umsetzungspläne der Bundesregierung.
Der CSU-Sozialexperte Max Straubinger sieht bei einer Entkoppelung anstehender „Hartz IV“-Erhöhungen von der Rentenanpassung „erhebliche Probleme“ auf die Bundesregierung zukommen. Eine Anhebung der Sätze nach der Inflationshöhe werde automatisch eine Debatte um einen Inflationsausgleich in der Rente nach sich ziehen, sagte Straubinger. Der CSU-Bundestagsabgeordnete fordert deshalb, die Regelsätze weiterhin wie die Rente anzuheben, allerdings die speziellen Dämpfungsfaktoren wie Riester- und Nachhaltigkeitsfaktor auszuklammern.
Sozialverbände: Für Kinder besser Sachleistungen
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV), Ulrich Schneider, geht fest davon aus, dass die Regelsätze für „Hartz IV“-Empfänger erhöht werden. Bei Kindern können allerdings Sach- statt Geldleistungen sinnvoller sein, regte Schneider mit Blick auf Nachhilfeunterricht sowie sportliche oder musische Betätigung an. Ob Gutschein, Familienpass oder elektronische Chipkarte: Wichtig sei aus seiner Sicht, „die unbürokratischste und am wenigsten stigmatisierende Lösung zu nehmen“. Als „überfällig“ bezeichnete es der DPWV-Chef, die Angleichung der „Hartz IV“-Sätze von der Rentenanpassung abzukoppeln.“Am sinnvollsten wäre es, die Regelsätze im gleichen Maß zu erhöhen, wie die Lebenshaltungskosten steigen.“
Ähnliche Forderungen erhebt der Sozialverband VdK und fordert eine häufigere Anpassung der „Hartz IV“-Sätze als bislang vorgesehen. „Ein Problem ist selbstverständlich, dass die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ja nur alle fünf Jahre erhoben wird“, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. „Es muss eine zeitnahe Anpassung geben. Man kann nicht fünf Jahre warten.“
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar der Regierung aufgegeben, bis Ende 2010 eine nachvollziehbare Berechnungsgrundlage vorzulegen und die Regelleistungen für rund 6,8 Millionen „Hartz IV“-Empfänger entsprechend anzupassen. Der jetzige Regelsatz liegt bei 359 Euro im Monat. Bis zum Herbst will die Koalition die neuen Sätze berechnen. (ddp)