London. Das ist eine ziemlich beeindruckende Bilanz, im negativen Sinne. In Großbritannien haben in vier Tagen sechs Minister ihren Hut genommen. Dass Gordon Brown der siebte ist, der die Regierung verlässt, damit haben Beobachter fest gerechnet. Doch er bleibt im Amt.
Ungeachtet der immer lauter werdenden Forderungen nach seinem Rücktritt will der britische Premierminister Gordon Brown im Amt bleiben. Vor Journalisten sagte der Chef der Labour Party am Freitag in London, er habe versprochen, sein Land durch die «wirtschaftlich schwierige Zeit zu führen», und das werde er auch tun. Wenige Stunden vor Browns Erklärung hatte als sechstes Kabinettsmitglied binnen vier Tagen Verteidigungsminister John Hutton seinen Posten niedergelegt.
Statt eines Rücktritts kündigte Brown eine Kabinettsumbildung an, um die schwelende Regierungskrise in den Griff zu bekommen. Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt.
Aus Regierungskreisen verlautete, Gesundheitsminister Alan Johnson übernehme das Innenressort, das nach dem Rücktritt von Jacqui Smith in der Spesenaffäre des Londoner Unterhauses frei geworden war. Schatzkanzler Alistair Darling solle im Amt bleiben, berichtete die britische Nachrichtenagentur PA. Auch Jack Straw soll offenbar weiter das Justizministerium führen. Zuletzt hatte Brown das Kabinett im Oktober umgebildet
Hutton galt als einer der fähigsten Minister in Browns Regierung. Über die Gründe für seinen Rücktritt teilte er nichts mit. Es habe sich um einen der schwierigsten Entschlüsse in seinem Leben gehandelt, erklärte er lediglich und kündigte an, auch seinen Sitz im Unterhaus niederzulegen. Nachfolger als Ressortchef soll nach Angaben des Verteidigungsministeriums der bisherige Stellvertreter Bob Ainsworth werden.
Kommunalwahl offenbar Fiasko für Labour
Die sechs Rücktritte und schlechte Prognosen für seine Labour-Partei bei den Europa- und Kommunalwahlen vom Donnerstag setzten Brown immer stärker unter Druck. Erste Ergebnisse der Kommunalwahl schienen ein Fiasko für die Labour Party anzudeuten. Arbeitsminister James Purnell forderte Brown in seinem Rücktrittsschreiben am Donnerstag sogar offen auf, «zur Seite zu treten, damit unsere Partei eine Kampfchance auf Sieg hat».
Oppositionsführer David Cameron sprach von Auflösungserscheinungen in der Labour-Regierung und forderte eine Neuwahl: «Mit diesem Rücktritt ist das Argument für eine Parlamentswahl von stark und mächtig zu unwiderlegbar geworden», sagte Cameron.
Nutznießer der Labour-Unruhen sind die Konservativen und ihr Vorsitzender Cameron. Er gilt als sicherer Sieger der nächsten Parlamentswahl, die Brown spätestens im Juni 2010 ansetzen muss. Viele der 349 derzeitigen Labour-Abgeordneten fürchten den Verlust ihres Mandats, sollte Brown die Partei in den Wahlkampf führen.
Die Labour-Partei hat unter den - alle Parteien betreffenden - Enthüllungen über unverfrorene Spesenabrechnungen der Parlamentsabgeordneten stärker zu leiden als die Opposition. Brown wird zunehmend dafür verantwortlich gemacht, nicht entschlossen genug dem Wildwuchs über die Anforderung öffentlicher Mittel für die Anschaffung von Großbild-Fernsehern, Maulwurfsfallen und Schwimmbadreparaturen entgegen getreten zu sein. (ap)