Berlin. .

Im WAZ-Gespräch betont Kanzlerin Angela Merkel die Gefahr einer möglichen Koalition von SPD und der Linken: Auch Ypsilanti habe vor der Wahl „niemals“ gesagt. Den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr hält sie weiter für richtig und will sich sich den Zweiflern und Kritikern stellen.

Kanzleramt, 7. Etage, ihr Büro ist eine Baustelle. Angela Merkel empfängt die WAZ in ihrem Ausweichquartier, im Arbeitsraum ihres Amtschefs. Der Schreibtisch ist mehr eine repräsentative Größe. Fast alles erledigt die Kanzlerin an einem separaten Tisch, wo sie das Gespräch mit der WAZ führt. An der Wand: Das Kokoschka-Porträt Konrad Adenauers, des ersten Kanzlers. Gerade ist sie aus Amerika zurück. Ein wenig steht Merkel noch unter dem Eindruck ihrer Odyssee durch halb Europa, wobei von Jetlag bei ihr wenig zu spüren ist. Die massive Kritik an der Sperrung des Luftraums kann sie nicht teilen. Sicherheit geht vor Risiko. Punkt. Das Gespräch dreht sich um die Zweifel, die auch in der Politik erlaubt sind, aber: nicht im NRW-Wahlkampf! Dem sieht Merkel mit Coolness entgegen.

Frau Bundeskanzlerin, Sie sind in 6,5 Stunden von Bozen nach Berlin gekachelt. Seither sind Sie keine Freundin des Tempolimits mehr, oder?

Merkel: Es dauerte etwas länger. Außerdem war ich nie für ein generelles Tempolimit, sondern für Begrenzungen etwa über moderne Verkehrsleitsysteme oder an Gefahrenstellen, so es notwendig ist. Damit haben wir in Deutschland die Unfallzahlen deutlich gesenkt. Dort, wo die Straße frei ist und das Tempo nicht begrenzt wird, darf man nicht unverantwortlich rasen, aber man kann etwas schneller fahren. In unserem Falle waren wir zudem von der Polizei begleitet.

Haben Sie daran gedacht, sich einen Hubschrauber zu nehmen?

Merkel: Wir wollten niemanden aus der Delegation zurücklassen. Und das hat ja auch geklappt.

Risikovorsorge ist notwendig - auch die Flugverbote

Wie haben Sie die Situation persönlich empfunden?

Merkel: Ich wäre auch gern Freitagnachmittag zu Hause gewesen, und es war mir ein persönliches Anliegen, am Sonntag zur Beerdigung des polnischen Präsidenten fliegen zu können. Aber in so einer Situation hat es keinen Sinn, gegen etwas zu rebellieren, das man nicht ändern kann. Es zeigt nur, dass die Natur ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten hat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Interview mit der WAZ den Afghanistan-Einsatz erneut verteidigt. Foto:Laurence Chaperon
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Interview mit der WAZ den Afghanistan-Einsatz erneut verteidigt. Foto:Laurence Chaperon © Laurence Chaperon

War es eine Überreaktion, den Luftraum zu sperren? Was ist, wenn sich die Aschewolke als genauso dramatisch erweisen sollte wie die Schweinegrippe?

Merkel: Sie sprechen eine interessante Parallele an. Wir werden im Leben immer wieder mit Dingen konfrontiert, die nicht in unserer Macht stehen. Bei Naturkatastrophen oder der Mutation von Viren zu einem gefährlichen Erreger müssen wir mit Gefahren und Risiken angemessen umgehen. Wir arbeiten hier im Bereich von Wahrscheinlichkeiten. Es gibt Experten, die Risiken bewerten und eingrenzen können. Aber keiner weiß exakt, wann ein Vulkan ausbricht oder wie sich ein Virus verbreitet. Unsere Gesellschaft muss in solchen Fällen Risikovorsorge treffen. Wenn nichts passiert, sagen viele: Das war alles umsonst. Diese Haltung stört mich. Sie kann nicht Grundlage verantwortungsvollen Handelns sein.

Überzeugt Sie der Protest der Fluggesellschaften?

Merkel: Natürlich ist es ein schwerer Einschnitt für die Fluggesellschaften. Aber der Staat hat die Aufgabe, Risiken verantwortungsvoll zu bewerten und Menschen zu schützen. Denn für das erste Flugzeug, mit dem etwas passiert, wird die Behörde - und zwar zu Recht - zur Rechenschaft gezogen, die den Luftraum trotz Aschewolke freigegeben hat.

Als Wissenschaftlerin haben Sie gelernt, Fehlergrenzen offenzulegen. Wie gehen Sie als Politikerin mit Zweifeln um?

Merkel: In der Politik muss ich bei objektiven Unsicherheiten zwischen Alternativen abwägen, eine Entscheidung gut begründen und dann auch vertreten. Es gilt immer das Vorsorgeprinzip.

Machen wir es an konkreter Politik fest. Die Zweifel am Afghanistan-Einsatz wachsen. Wann ist für Sie der Punkt erreicht, an dem Sie den Einsatz nicht länger vertreten können?

Merkel: Auf spekulative Fragen antworte ich nicht. Ich vertrete diesen Einsatz, und zwar um unserer eigenen Sicherheit willen. Er geht auf den 11. September 2001 und darauf zurück, dass damals Afghanistan ein gescheiterter Staat war, in dem Terroristen schalten und walten konnten und in dem schreckliche Anschläge geplant und vorbereitet werden. Als Kanzlerin muss ich, auch wenn es schwierig ist, für das Notwendige für unsere Sicherheit eintreten. Ich halte den Einsatz für richtig und wichtig. Afghanistan darf nicht wieder zum Ausgangspunkt für weltweite Terroranschläge werden.

Wir „wollen eine Fortsetzung der Koalition mit der FDP“

Fühlen Sie sich nach den jüngsten Anschlägen unter Rechtfertigungsdruck? Geben Sie deswegen am Donnerstag eine Regierungserklärung ab?

Merkel: Es hat viele Menschen in Deutschland und auch mich ganz persönlich sehr berührt, dass innerhalb so kurzer Zeit an zwei Tagen insgesamt sieben Soldaten der Bundeswehr gefallen sind. Es gibt im Parlament genauso wie in der Bevölkerung ein Bedürfnis, darüber zu sprechen. Wir müssen die Diskussion führen, auch um der Soldaten willen. Viele haben das Gefühl, dass sie in ihrem schwierigen Einsatz von der Gesellschaft nicht genügend unterstützt werden. Für die Abgeordneten, die das Mandat beschlossen haben, ist die Debatte auch ein Stück Selbstvergewisserung. Und für mich ist es wichtig, mich als Regierungschefin den Fragen und den Zweifeln zu stellen, die es im Volk gibt, und immer wieder darauf Antworten zu geben.

Da wir die ganze Zeit über Zweifel reden. Kommen die Ihnen auch, wenn Sie an den 9. Mai denken?

Merkel: Politik heißt gerade, für ein Ergebnis zu kämpfen, in NRW für die Fortsetzung der Regierung von CDU und FDP. Die Koalition von CDU und FDP hat dort fünf Jahre lang gute Arbeit für die Menschen geleistet.

Ihr Parteifreund Rüttgers kämpft für sich und für die CDU, aber erkennbar nicht mehr allein für Schwarz-Gelb. Was denken Sie über die Grünen als Partner?

Merkel: Jürgen Rüttgers und ich wollen eine Fortsetzung der Koalition mit der FDP. Ich kann mir in Hamburg oder im Saarland angucken, was eine Koalition mit den Grünen in der Landespolitik bedeutet. Ich glaube, dass sich Jürgen Rüttgers etwa in der Bildungspolitik deutlich von den Vorstellungen sowohl der Grünen als auch der SPD unterscheidet. Gerade wenn man sich um den Markenkern der CDU bemüht, fällt mir nur eine einzige Antwort zu den größeren Schnittmengen ein. Und die heißt: eine Koalition mit der FDP.

Hannelore Kraft würde den Ausstieg aus der Steinkohle-Subvention rückgängig machen...

Merkel: Das beschäftigt mich nicht. Der Bund und NRW haben den Ausstieg einvernehmlich beschlossen.

Auch Ypsilanti „hat vor der Wahl ‘niemals’ gesagt“

Sie sollen nur sagen, ob das machbar wäre.

Merkel: Wir haben eine gültige Vereinbarung. Daran wird der Bund nichts ändern. Im Übrigen gehe ich fest davon aus, dass Jürgen Rüttgers gewinnt.

Die SPD hält sich die Koalition mit den Linken offen. Was sagen Sie dazu?

Merkel: Ich bin überzeugt, dass sich die SPD diese Variante offenhält. Auch Frau Ypsilanti hat vor der Wahl „niemals“ gesagt und nach der Wahl versucht, mit den Linken zu regieren. Das muss jeder Wähler in NRW wissen. Eine rot-rot-grüne Mehrheit wäre verheerend für das Industrieland NRW. Wir können uns keine solchen Irrwege leisten.

Bleiben wir in NRW und gucken auf Ihre Seite, auf die Union. Im Moment ist die katholische Kirche in einer schwierigen Situation.

Merkel: Die katholische Kirche ist zwar von der CDU zu unterscheiden, aber dennoch bewegt viele Menschen die Diskussion um Missbrauchsfälle sehr.

Es heißt Christlich Demokratische Union. Stimmen die vielen Fälle von Missbrauch die CDU nachdenklich?

Merkel: Natürlich haben wir als CDU eine besondere Bindung zu den Kirchen. Und viele Menschen, nicht nur in der CDU, sind bewegt und irritiert. Aber es ist kein ausschließliches Thema der Kirchen, wir haben bei vielen Bildungseinrichtungen der verschiedenen Träger schreckliche Enthüllungen erlebt. Und ich sehe bei der katholischen Kirche den Willen, alle Fälle nach dem Grundsatz „Wahrheit und Klarheit“ aufzuklären. Die Botschaft, dass man nichts unter den Teppich kehren darf, ist ohne vernünftige Alternative. Was wir als Regierung begleitend tun können, das tun wir vor allem im Rahmen des „Runden Tisches“ mit allen Verantwortlichen.

Lob für den liberalen Steuer-Rückzug

In Düsseldorf ist die Furcht groß vor einer Denkzettelwahl. Wie wollen Sie die Strategie der SPD durchkreuzen?

Merkel: Die SPD hat keine politischen Visionen für die Zukunft von NRW. Sie hat selbst kein Vertrauen in ihre eigene Politik. Ich glaube, dass die Menschen schon zwischen der Bilanz der Regierung in Düsseldorf und der Polemik unterscheiden können und dass sie Jürgen Rüttgers schätzen und er deshalb weiter das Land führen soll. Dass die Entscheidung am 9. Mai nicht einfach wird, das wissen wir. Deshalb kämpfen wir in den nächsten Tagen um jede Stimme.

Sie haben lange genug deshalb unliebsame Entscheidungen zurückgestellt...

Merkel: Schauen Sie sich an, was wir beschlossen haben, und Sie stellen fest, dass dieser Vorwurf unberechtigt ist. Wir haben Deutschland in der schwersten Wirtschaftskrise der vergangenen 60 Jahre weiter stabil gehalten. Wir haben die Bankenabgabe beschlossen, Unternehmen in der Krise steuerlich entlastet und gerade die Regelungen für Kurzarbeit verlängert. Wir setzen auf neue Arbeitsplätze durch Förderung von Forschung im Bereich der Spitzentechnologie. In der Gesundheitspolitik ist klar angekündigt, was wir wollen. In der Energiepolitik, insbesondere beim Atomausstieg haben wir nichts unter den Teppich gekehrt. Jeder weiß, dass wir eine Vereinfachung des Steuersystems und Entlastungen vor allem der Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen in Angriff nehmen wollen und die Finanzen der Kommunen auf eine stabilere Grundlage stellen wollen.

Eigentlich wollte die Koalition mehr, ab 2011 eine Steuerentlastung. Jetzt macht es die FDP auch eine Nummer kleiner. Ist FDP-Chef Guido Westerwelle in der Realität angekommen?

Merkel: Da unterstellen Sie etwas, das ich nicht teile. Ich finde es verantwortungsvoll und klug von der FDP, dass sie sich für Steuersenkungen mehr Zeit nehmen will. In dieser schwersten wirtschaftlichen Verwerfung ist es ganz einfach so, dass wir die Zukunft nicht so genau voraussagen können. Deshalb bewerten wir die Entwicklung bei Wachstum und Arbeitslosen kontinuierlich und sorgfältig. Dennoch bleiben die Steuervereinfachungen und eine Steuerstrukturreform auf der Tagesordnung.

Die Fragen stellten: Miguel Sanches (Foto o. li.) und Ulrich Reitz (Foto o.re.)