Kabul. Die Taliban haben nach eigenen Angaben keine Länder außerhalb Afghanistans im Visier - das wird von Experten als Distanzierung zu El Kaida interpretiert. Die Terrororganisation tritt in Afghanistan immer mehr in den Hintergrund - der harte Kern umfasst offenbar weniger als 100 Mann.

Die fundamentalistischen Taliban wollen in Afghanistan abermals ein «islamisches System» errichten, aber keine Anschläge außerhalb ihres Landes unterstützen. Dies erklärten die Aufständischen in einer Internetbotschaft zum 8. Jahrestages des US-Einmarsches am Hindukusch. «Wir hatten keinen Plan, andere Länder zu schädigen, etwa in Europa. Und wir haben auch heute keinen Plan dazu», heißt es in der vom US-Institute SITE ausgewerteten Botschaft.

Den US-Streitkräften und der Internationalen Schutztruppe (ISAF) sagen sie den Kampf an. «Wenn ihr das Land der stolzen Afghanen in eine Kolonie umwandeln wollt, seit euch unserer unerschütterlichen Entschlossenheit zu einem langen Krieg gewiss.»

Die Betonung, keine anderen Länder im Visier zu haben, wird von Experten als Distanzierung zu El Kaida interpretiert. Damit wollen die offenbar Angst zerstreuen, Afghanistan könne erneut zum Ausgangsort islamistischer Terroranschläge werden, sollten sie die Macht im Land ein weiteres Mal an sich reißen.

El Kaida in Afghanistan tritt in den Hintergrund

El Kaida in Afghanistan ist nach acht Kriegsjahren in den Hintergrund geraten. Verschwunden ist das einst dichte Netz der Lager und Verstecke, in denen Osama bin Laden und seine meist arabischen Gefolgsleute tausende junger Muslime für einen weltumspannenden Dschihad ausbildeten. Der harte Kern zählt der US-Regierung zufolge nicht einmal mehr 100 Mann, die vermutlich in kleinem Maßstab Bombenbau und Taktikschulung durch Ausbilder betreiben, die zwischen Afghanistan und Pakistan hin und her reisen.

Die wahre Stärke und Gefährlichkeit des Terrornetzwerks abzuschätzen, ist ein wichtiger Faktor der in Washington aufkommenden Debatte darüber, ob die US-Truppen am Hindukusch noch verstärkt werden sollen. Sicherheitsberater James Jones erklärte am Wochenende, El Kaidas Präsenz sei geschwunden, und er sehe keine Rückkehr der Taliban an die Macht voraus. Den weitestgehenden Schätzungen zufolge verfüge El Kaida in Afghanistan über weniger als 100 Kämpfer und nicht über die Stützpunkte und Befähigung dafür, den Westen anzugreifen.

Mehr Wirkung im Verborgenen

Dagegen hat der Wissenschaftler Bryan Glyn Williams, der Webseiten militanter Islamisten im Auge hält, nach eigenen Angaben Berichte über zahlreiche El-Kaida-Kämpfer in verschiedenen Provinzen ebenso wie jenseits der Grenze in Pakistan gesammelt. Der frühere CIA-Experte Michael Scheuer meint, die Regierung unterschätze El Kaida möglicherweise, weil die Organisation sich selbst gerne im Hintergrund halte und einheimischen Verbündeten Logistik, Propaganda und Training zur Verfügung stelle.

«Wenn bei einem islamistischen Aufstand immer weniger von El Kaida zu sehen ist, bedeutet das höchstwahrscheinlich, dass sie effektiver wirkt, als wenn sie mehr in Erscheinung tritt», sagt Scheuer. Er sei sicher, dass El Kaida immer noch Leute im Feld habe, um die Reihen der Taliban zu stärken.

"Schattenarmee"

Manche Fachleute vermuten, dass das Terrornetz in Afghanistan durch Laschkar al Sil operiert, die «Schattenarmee», der Angriffe in Ostafghanistan und Pakistan zugeschrieben werden. «Meiner Ansicht nach mischen El-Kaida-Kämpfer von Laschkar al Sil an allen Taliban-Fronten mit, von Nuristan im Norden bis Helmand im Süden», erklärt Williams. «Ausländer spielen im derzeitigen Dschihad zwar keine beträchtliche Rolle, aber El Kaida ist definitiv dabei.»

Selbst wer bezweifelt, dass die Bin-Laden-Leute ein Comeback schaffen, will diese Möglichkeit nicht gänzlich ausschließen in einem Land, in dem Bündnisse so schnell geschlossen wie aufgekündigt werden. «Afghanistan ist kompliziert», sagt UN-Experte Richard Bassett. «Es hat schon immer auf der Grundlage von Gesprächen und Absprachen funktioniert, aus denen am Ende keiner nur als Verlierer und keiner nur als Sieger hervorgeht.»

Viele Tote und Verletzte bei Selbstmordanschlag in Kabul

Bei einem Selbstmordanschlag vor der indischen Botschaft in Kabul sind am Donnerstag mindestens zwölf Menschen getötet worden. Wie das afghanische Innenministerium mitteilte, wurden mehr als 80 weitere Menschen verletzt, als sich ein Attentäter im Zentrum der Hauptstadt mit einem Fahrzeug in die Luft sprengte. Im Juli 2008 waren bei einem Anschlag auf die indische Botschaft in Kabul 60 Menschen ums Leben gekommen.

Wie ein Ministeriumssprecher sagte, waren die meisten Todesopfer Zivilisten. In einer ersten Stellungnahme des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai war von sieben Todesopfern und 60 Verletzten die Rede gewesen. Die Explosion riss einen tiefen Krater in die Straße. Leichenteile, Trümmer und zerstörte Autos waren am Anschlagsort zu sehen, in umliegenden Geschäften gingen die Schaufenster zu Bruch. Die Botschaft liegt im stark gesicherten Botschafts- und Regierungsviertel in der Nähe des Innenministeriums. Zu dem Anschlag bekannte sich zunächst niemand.

Ein indischer Diplomat sagte AFP, der Anschlag habe sich eindeutig gegen die indische Vertretung in Kabul gerichtet. Der Attentäter zündete seine Bombe demnach direkt vor der Umfassungsmauer der Botschaft. Der indische Botschafter in Kabul, Jayant Prasad, sagte im indischen Fernsehen, im Botschaftsgebäude selbst sei niemand getötet worden. Es habe jedoch einige Verletzte durch zu Bruch gegangene Fenster und Glastüren gegeben.

Es war bereits der vierte Anschlag in Kabul seit den Präsidentschaftswahlen im August. Mitte September waren bei einem Anschlag am internationalen Flughafen der Stadt sechs italienische NATO-Soldaten getötet worden. Zu der Tat bekannten sich die radikalislamischen Taliban.

Wahlbetrug in Afghanistan nach UN-Angaben weit massiver als vermutet

Bei der afghanischen Präsidentschaftswahl ist nach Einschätzung der Vereinten Nationen weit massiver gefälscht worden als bislang vermutet. So war die Beteiligung in einzelnen Provinzen offenbar bis zu drei Mal so gering wie von der offiziellen Wahlkommission angegeben. In der Provinz Kandahar etwa seien wahrscheinlich weniger als 100.000 Stimmen abgegeben worden anstelle der 242.000 gezählten Stimmzettel, von denen angeblich mehr als 220.000 für Amtsinhaber Hamid Karsai ausfielen.

Dies geht aus einer UN-Statistik hervor, die die Nachrichtenagentur AP einsehen konnte. Im Wahlbezirk Paktika wurden demnach von der Kommission 193.000 Stimmen für Karsai gezählt, obwohl nach UN-Prüfungen lediglich rund 35.000 Zettel abgegeben worden sind.

Nachgezählt werden lediglich die Ergebnisse aus den Bezirken, in denen die Beteiligung bei der Wahl am 20. August angeblich bei 100 Prozent gelegen hat oder in denen einer der Kandidaten mehr als 95 Prozent der Stimmen erhalten haben soll. Nach vorläufigen Auszählungsergebnissen erreichte Karsai im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit. Mit der Verkündung des amtlichen Endergebnisses wird kommende Woche gerechnet. (ap/afp)