Essen. Die sozialdemokratische Basis mag sich in der Nähe der Linken wohler fühlen, Regierungsverantwortung entsteht aber in der Mitte. Die SPD kann diesen Spagat nicht schaffen, sie wird sich immer wieder entscheiden müssen zwischen Opposition in ideologischer Reinheit und Pragmatismus.

Das ganze schreckliche Dilemma der SPD – in Thüringen ist es deutlich geworden. Alle Welt hat erwartet, dass der Landesvorsitzende Christoph Matschie ein Bündnis mit der Linkspartei anstrebt, um wenige Tage nach der desaströsen Bundestagswahl ein Zeichen zu setzen. Es ist überraschenderweise anders gekommen. Der Vorstand der Thüringer SPD scheute mit immerhin 18 zu 6 Stimmen das Bündnis mit den Linken. Die haben zwar mit Bodo Ramelow einen vorzeigbaren Vorsitzenden, sind ansonsten aber ideologisch schwer auszurechnen.

SPD-Angst vor der Linkspartei-Mehrheit

Die SPD zog jedenfalls die Rolle als Juniorpartner der CDU vor, statt mit einer Linkspartei zu koalieren, die 27 Prozent der Stimmen bekam, während die SPD es nur auf 18 Prozent brachte. Die Angst, von der Mehrheit letztlich doch kujoniert zu werden, war wohl zu groß. Das Amt des Ministerpräsidenten, das die SPD in einer Links-Koalition hätte besetzen können, ist im Konfliktfall kein Garant gegen die Macht der Mehrheit.

Die SPD-Basis ist, so hört man, empört, aber die Basis denkt zu sehr mit dem Herzen. Dort will man nur endlich wieder aus Herzenslust links sein, egal ob sich mit solchen Positionen ein Land vernünftig - und das heißt immer: aus der Mitte heraus - regieren lässt. Viele SPD-Mitglieder sehnen sich nach einer ideologischen Gradlinigkeit, die es für eine Regierungspartei der linken Mitte schlicht nicht geben kann. Das ist der Unterschied zu einer Linkspartei, die zumindest in Teilen kompromisslos auf den Sozialismus setzt. Die sozialdemokratische Basis sehnt sich im Grunde nach Opposition.

Der Spagat könnte für die SPD zu groß werden

Christoph Matschies Entschluss in Thüringen ist auch das Eingeständnis, dass der Spagat für die „neue“ SPD schnell viel zu groß werden könnte. Wer jetzt fordert, dass die Partei sich nach links öffnen muss – und das tun viele – der muss wissen, dass es einen Preis dafür gibt. Das ist die teilweise Räumung der Mitte, die der CDU selbstverständlich sehr zupass käme. Parteien sind nicht beliebig dehnbar in ihren Positionen. Es gibt Dinge, die schließen sich logisch aus. Es wird nur im Ausnahmefall funktionieren, sozialliberale Leistungsträger gleichzeitig zu schröpfen und zu fördern, zu verdammen und willkommen zu heißen.

Auch SPD-Landeschefin Hannelore Kraft weiß offenbar um dieses Dilemma, wenn sie nicht klar sagt, wohin nach der Wahl im Mai 2010 die Reise für die NRW-SPD gehen soll. Ohne die Linken hat sie keine Machtoption, weil die FDP wie im Bund fest an der Seite der CDU ist. Sagt sie aber Ja zur Linkspartei, verschreckt sie SPD-Wähler, die zur Mitte tendieren und die Ministerpräsident Jürgen Rüttgers nur allzu gerne einsammelt. Das Schweigen kann hier durchaus eine Notlösung sein, die Kraft vielleicht sogar bis zum Wahltag durchhält. Wer schweigt, schließt eine Zusammenarbeit mit den Linken nicht aus, wer es offen sagt, treibt die zur Mitte orientierten SPD-Wähler in die Hände der CDU.

Rüttgers muss in NRW linker sein als die Bundes-CDU

Krafts Ausgangslage ist auch deswegen so schwierig, weil sich Jürgen Rüttgers erfolgreich als sozialer CDU-Mann inszeniert. Er muss das auch, denn NRW ist strukturell kein CDU-Land. Das heißt Rüttgers muss linker sein als seine Bundespartei, weil er sonst schlicht und einfach nicht wiedergewählt wird. Weil er aber linker ist – oder doch so tut – ist er ziemlich attraktiv für die Helmut-Schmidt-SPD, also für diejenigen Wähler der Sozialdemokratie, die mit linken Visionen nichts am Hut haben.

Für Kraft werden die Dinge noch dadurch kompliziert, dass das buntscheckig radikale Element bei den Linken in NRW besonders ausgeprägt ist. Wenn Frank Baranowski, der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, die Linken zur Aufgabe radikaler Positionen ermuntert, wird dies kurzfristig jedenfalls kaum von Erfolg gekrönt sein. Enttäuschte Sozialdemokraten und Gewerkschafter sind für die SPD sicher weitgehend unproblematisch. Aber es gibt bei den Linken eben auch jede Menge richtige Linksradikale, die ein gemeinsames Regierungsprojekt rasch kaputtmachen könnten. Landesverbände wie die hessische SPD schillerten in der Ypsilanti-Ära ins Sektenhafte, die nordrhein-westfälische SPD ist da doch noch aus soliderem Holz geschnitzt. Das weiß Hannelore Kraft.

Die Decke, die die SPD wärmt, ist zu kurz: Zuppelt man in Richtung links, dann frieren die SPD-Wähler in der Mitte, die dann zu CDU oder FDP tendieren und diesen Parteien die Mehrheit bescheren. Geht die Partei in die Mitte, kann sie nach links hin nicht integrieren – die Linkspartei bleibt stark. Es gibt keine gute Lösung.