Essen. Die Grünen halten den Klimaschutz hoch, ihr Bundestags-Wahlprogramm ist voll davon. Doch kaum einer spricht in Zeiten der Wirtschaftskrise über Ökologie. Hartz IV, die Finanzkrise und soziale Unruhen sind die beherrschenden Themen. Sind die Grünen für lange Zeit in die Opposition verbannt?

Eigentlich haben die Grünen alles richtig gemacht. Als erste Partei haben sie ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl verabschiedet, und ganz zerfetzt war das Führungs-Quartett am Ende des Bundesparteitags in Berlin auch nicht. Die Grünen wollen einen neuen Gesellschaftsvertrag, einen so genannten grünen „New Deal“ – und die Wirtschaft mit dem Klimaschutz zusammenbringen. Eine Million neue Jobs sollen entstehen, 40 Prozent davon durch Investitionen in erneuerbare Energien, Gebäudesanierung, Öko-Landwirtschaft, Abfall und Wasserwirtschaft. „Wir sind die einzige Partei, die nicht nur analysiert, wie es zur Wirtschaftskrise kommen konnte. Wir machen stattdessen auch substanzielle Vorschläge, wie solche Krisen zukünftig verhindert werden können“, sagt Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke im Gespräch mit DerWesten.

Die Grünen wollen weg vom alten Wachstumsglauben, jedenfalls, wenn es um die Wirtschaft geht. In Sachen Partei dagegen darf es ruhig um einige Prozentpunkte nach oben gehen – und gerne auch wieder in die Regierung. „Doch die Grünen sitzen in der Erfolgsfalle“, sagt der Duisburger Politikwissenschaftler Prof. Karl-Rudolf Korte. Das „grüne Denken“ sei mittlerweile in allen Parteien verankert. Auch das Konjunkturpaket II, das maßgeblich von CDU und SPD verantwortet wird, setzt auf Umwelt und zum Beispiel auf energetische Gebäudesanierung. „Das Alleinstellungsmerkmal der Grünen im Hinblick auf die Ökologisierung ist damit weg“, sagt Korte.

Konsequente Klimapolitik nur mit den Grünen

Die Grünen selbst sehen das anders. Ohne die Grünen werde es keine konsequente Klimapolitik geben, sagt Grünen-Landeschefin Daniela Schneckenburger. Und Steffi Lemke setzt noch eines drauf: „Sobald der Wind mal etwas heftiger von vorne weht, hat der Klimaschutz in den anderen Parteien keine Priorität mehr. Sonst hätte es die Abwrackprämie in ihrer aktuellen Ausgestaltung nie gegeben.“ Der ehemalige Koalitionspartner im Land und im Bund, die SPD, bekommt sein Fett weg. „Die SPD hat in der Großen Koalition gezeigt, dass sie allein nicht in der Lage ist, soziale oder ökologische Verbesserungen durchzusetzen“, sagt Lemke. Als Beispiele führt sie den fehlenden flächendeckenden Mindestlohn, fehlende Nachbesserungen bei Hartz IV oder fehlende Antworten auf die Klimakrise an.

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Doch warum kommt beim Wähler das anscheinend so kräftige Grün nur so schwach an? Aktuelle Umfragen sehen die Grünen auf dem fünften Platz, hinter der FDP und den Linken. „Es fehlt eine klare Personalisierungs-Strategie“, sagt Korte. „Es gibt ein Potpourri an Richtungen. Da wird es schwer, dem Wähler zu vermitteln, was genau die grüne Kernbotschaft ist, und ihn zu mobilisieren.“ Parteichefin Claudia Roth beispielsweise stehe für den linken Flügel, ihr Kollege Cem Özdemir für Migration und Integration. Die Grünen finden das nicht weiter schlimm. Über vielfältige Führungspersonen könne man viele Themen abdecken, sagt Steffi Lemke. „Ein einsamer Leitwolf an der Spitze löst sicher nicht die komplexen Probleme des 21. Jahrhunderts.“ Die Nachteile einer teamorientierten Aufstellung blieben hinter diesen Vorteilen klar zurück. Welche Nachteile das sind, lässt Lemke offen.

Die Umfragewerte könnten sogar noch weiter in den Keller gehen, wenn sich potenzielle Wähler fragen, wie der grüne „New Deal“ finanziert werden soll. „Das haben die Grünen bislang nicht vermittelt, und solch ein Thema eignet sich hervorragend für Negativkampagnen anderer Parteien“, sagt der Dortmunder Politikwissenschaftler Prof. Udo Vorholt. „Eine Debatte um Steuererhöhungen in Zeiten der Wirtschaftskrise kann einer Partei nur schaden.“

Koalitionsfrage wird zum heißen Eisen

Und ein ganz heißes Eisen wird, je näher die Bundestagswahl rückt, aller Voraussicht nach die Koalitionsfrage. Schwarz-Gelb verhindern und die Große Koalition ablösen, das haben sich die Grünen auf dem Bundesparteitag zum Ziel gesetzt. Auf Jamaika, also eine Koalition aus CDU, Grünen und FDP, haben die Delegierten einen Pfui-Stempel gesetzt. Daran werden sie, wollen sie nicht alle Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen, wohl kaum rütteln können. Damit kommen, weil es für Rot-Grün höchstwahrscheinlich nicht reichen wird, noch die Ampel-Koalition oder ein rot-rot-grünes Bündnis in Frage. Jedenfalls, wenn die Grünen an einer Regierung beteiligt sein wollen.

Beide Optionen bergen gewisse Probleme in sich. „Guido verhüten“ prangte als Aufkleber beim Grünen-Bundesparteitag nicht nur auf einem Tisch. „Und ob Claudia Roth und Guido Westerwelle an einem Kabinettstisch sitzen wollen, ist auch nur bedingt vorstellbar“, sagt Vorholt. Eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen können sich viele Mitglieder von der Parteibasis gerade mal als Albtraum vorstellen. Und sollte es nach der Bundestagswahl für eine bürgerliche Mehrheit aus CDU und FDP reichen, ist selbst jeder schwache Traum von einer Regierungsbeteiligung der Grünen in einer Ampel-Koalition ausgeträumt.

Rot-rot-grün hat bereits die SPD ausgeschlossen. Und zwar heftig, weil sie mit den Linken nicht koalieren will. Bleibt die SPD dabei, hätten die Grünen einfach Pech, auch wenn es zahlenmäßig reichen würde. Die Grünen selbst würden ein Zusammengehen eh von einem aus ihrer Sicht moderaten Wahlprogramm der Linken abhängig machen. „Die Linke betreibt im Moment Verbalradikalismus“, sagt Grünen-Landeschefin Daniela Schneckenburger. „Abgrenzen gegenüber dem Scheinradikalismus der Linken müssen wir uns nicht. Die Linken müssen sich umgekehrt die ernsthafte Frage gefallen lassen, wie sie die Verhältnisse konkret und realistisch verbessern wollen.“

"Die Linke ist eine demokratische Partei"

Die Politikwissenschaftler Korte und Vorholt raten zu einem entspannten Umgang mit der Linken. Im Fünf-Parteien-System werde es immer häufiger zu Drei-Parteien-Koalitionen kommen, prognostiziert Vorholt. Alle demokratischen Parteien müssten darin untereinander koalitionsfähig sind. Die Frage „Gehört die Linke zu den demokratischen Parteien?“ beantwortet Vorholt grundsätzlich mit „Ja“.

Auch Korte ermuntert dazu, „Unmögliches zu denken“. „In der Krise, in der wir uns befinden, müssen wir an Probleme auch mal anders herangehen. Wir brauchen originelle Ergänzungen.“ Und möglicherweise auch neue Regierungsformate. „Warum nicht mal ein Bündnis nur für zwei Jahre eingehen?“, fragt Korte. „Oder warum tauscht man den Kanzler nicht wie im israelischen Modell nach der Hälfte der Regierungszeit aus? Warum muss immer die stärkste Fraktion den Kanzler stellen?“

Was die Wähler nun bekommen, wenn sie bei den Grünen ihr Kreuzchen machen, scheint unklar: Mehrere Bündnisse sind unerwünscht, unwahrscheinlich oder gar ausgeschlossen. Das wissen auch die Parteioberen und raten zu einer strikten Konzentration auf die Themen – und auf neue Zielgruppen. „Wir in NRW wollen Erstwähler ansprechen. Und ein besonderes Augenmerk richten wir auch auf gut ausgebildete Frauen, für die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Zukunft ihrer Kinder wichtig ist“, sagt Daniela Schneckenburger. Über Medien wie Web 2.0, Twitter oder Videobotschaften wolle man mit dieser Zielgruppe in Kontakt kommen.

Den Fokus darüber hinaus besonders auf grüne Themen zu legen, hält Politikwissenschaftler Vorholt für richtig: „Es muss deutlich werden: Wenn ich als Wähler, in welcher Koalition auch immer, ein ökologisches Korrektiv haben will, muss ich Grün wählen.“

Das Blog zur Kommunalwahl "Wahl & Kampf".