Düsseldorf. Zentralstelle Umweltkriminalität, Clans, Cum-Ex: Die NRW-Politik lädt Staatsanwälten viel Arbeit auf. Manche macht das zornig.

Können Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die Anforderungen, die an sie gestellt werden, erfüllen? Haben sie genug Power, um es mit gewieften Cum-Ex-Betrügern und ihren Anwälten aufzunehmen? Das sagt ein Staatsanwalt aus dem Ruhrgebiet im vertraulichen Gespräch dazu.

Staatsanwälte im Stress: Einmal so gemütlich arbeiten wie der TV-Kollege Reuther

Immer wenn Jürgen Schröder (Name v. d. Red. geändert) in der Mediathek eine Folge von „Der Staatsanwalt“ im ZDF aufruft, muss er schmunzeln. Die Serienfigur Bernd Reuther, gespielt von Rainer Hunold, arbeitet in einem Büro mit allem Schnickschnack, fährt BMW und hat alle Zeit der Welt, zusammen mit einem Polizistenteam die kompliziertesten Ermittlungen zum Wohle des Rechtsstaats zu führen.

TV-Staatsanwalt Reuther denkt offenbar nie an „Pebb§y“. Dieses Personalbedarfsberechnungssystem für Richter und Staatsanwälte misst den echten Arbeitsaufwand. „Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in NRW sind in diesem System bei 120 bis 130 Prozent“, sagt Schröder. Sie arbeiteten also praktisch immer am Limit. „Ein Staatsanwalt ist morgens gegen 8 Uhr im Büro und selten vor 18 Uhr wieder zu Hause“, sagt Schröder. Es gebe immer mehr und vor allem immer neue Arten von Kriminalität, zum Beispiel Betrugs- und Erpressungsversuche im Internet oder per Whatsapp.

Staatsanwälte im Stress: "Mehr Polizei auf der Straße, mehr Verfahren für uns"

60 bis 70 neue Ermittlungsverfahren kämen jeden Monat pro Kopf auf die Schreibtische seiner Kolleginnen und Kollegen. Sie spürten es, wenn die Politik den Kampf gegen Kriminelle intensiviere. „Wenn Innenminister Herbert Reul (CDU) sagt, wir schicken mehr Polizei auf die Straße, dann heißt das automatisch mehr Verfahren für uns“, so Schröder. Auch der verstärkte Kampf gegen Kindesmissbrauch und -pornografie beschäftige die Staatsanwaltschaften sehr.

Der frühere NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) erwarb sich einen guten Ruf in Staatsanwaltskreisen, weil er viele neue Stellen schuf. „Staatsanwälte fallen in der politischen Betrachtung oft hinten über, aber Biesenbach hat sich für uns interessiert“, lobt Schröder. Er hofft, dass Biesenbachs Nachfolger Limbach es auch so hält. Dessen Zick-Zack-Kurs im Umgang mit Deutschlands bekanntester Cum-Ex-Ermittlerin, der Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, hat die Szene irritiert.

Staastsanwälte im Stress: Ende des erfolgreichen "Projekts Nordstadt" in Dortmund

Wie personell ausgedünnt manche Staatsanwaltschaften in NRW sind, zeigt das Beispiel des "Projekts Nordstadt" in Dortmund. Dort waren lange drei Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, darunter ein Spezialist für Drogenkriminalität, feste Ansprechpartner für die mit mehr als 100 Polizistinnen und Polizisten ausgestattete „Ermittlungskommission Nord“ (EK-Nordstadt) der Dortmunder Polizei, die gegen Straßenkriminalität kämpft. Im vergangenen Jahr zog die Staatsanwaltschaft Dortmund einen vorläufigen Schlussstrich unter das Projekt. Begründung: Personalmangel.

Schröders Gedanken kreisen oft um Arbeitsbelastung und Besoldung. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte verdienten gut, erzählt er, aber niemand mache diesen Job, um reich zu werden. „Ein Ankläger arbeitet 50 bis 60 Stunden in der Woche, oft auch an Wochenenden. Er startet mit etwa 4700 Euro brutto in der Besoldungsstufe R1, später ist der Aufstieg in R2 (Oberstaatsanwalt) möglich, und damit endet für die meisten der Weg nach oben.“ Zur Wahrheit gehört auch, dass ein Oberstaatsanwalt mit langjähriger Berufserfahrung mit etwa 8000 Euro brutto im Monat rechnen kann, also mit Bezügen, von denen viele andere nur träumen können.

Staatsanwälte im Stress: Manche folgen dem Lockruf des Geldes

Der Staat sei zwar ein solider Arbeitgeber, und ein Staatsanwalt müsse keine Angst vor Arbeitslosigkeit haben. Es gebe aber Unternehmen in der Privatwirtschaft, die diese exzellent ausgebildeten Damen und Herren, die im Jurastudium zu den „Top 15 Prozent“ gehören mussten, mit attraktiven Angeboten lockten. „Große Kanzleien und Firmen bieten bis zu 120.000 Euro im Jahr“, betont Schröder. Die Fluktuation werde daher zunehmen, glaubt er. Er selbst widerstehe dem Lockruf des Geldes und habe keinen Plan B. Allen Widrigkeiten zum Trotz sei Staatsanwalt für ihn „immer noch der schönste Job“.

Gesellschaftliche Anerkennung genössen Staatsanwälte durchaus. Nervig werde es aber, wenn er im Bekannten- oder Familienkreis mal wieder diese Frage höre, erzählt Schröder: „Wann bist du denn gut genug, um Richter zu werden?“ Nein, Richter wolle er gar nicht sein. Als Staatsanwalt sei er „früh an den Fällen dran“ und genieße Freiheiten. Falls der Terminkalender dies zulasse.

So groß ist der Personalmangel

Der Bund der Richter und Staatsanwälte in NRW spricht von einer dramatischen Personallage. „Die Kolleginnen und Kollegen sind extrem überlastet. Es besteht ein Personalbedarf von 1837 Vollzeit-Arbeitskräften im staatsanwaltschaftlichen Dienst in NRW. Es sind aber nur 1461 Stellen vorhanden. Es fehlen also 376 Stellen für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte“, rechnete Prof. Gerd Hamme, Geschäftsführer des Landesverbandes, im Oktober vor. Allein bei der Staatsanwaltschaft Köln müssten rund 1700 Cum-Ex-Verfahren bearbeitet werden. Zehntausende Ermittlungsverfahren läge auf Halde.

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