Essen/Hamburg. Monatelang stritten Hamburg und NRW über Unterlagen zur Cum-ex-Affäre von Olaf Scholz. Dann wurden zwei Laptops geliefert.

Im Hamburger Untersuchungsausschuss zur Cum-ex-Affäre von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gibt es einen Eklat um zwei Laptops aus NRW. Auf den Geräten befinden sich Hunderttausende Mails, die im Rahmen der Cum-ex-Ermittlungen von Staatsanwälten aus Köln sichergestellt wurden. Nach monatelangem Tauziehen hatte das NRW-Justizministerium die Laptops vor einigen Wochen nach Hamburg geschickt. Nach Informationen der WAZ und des Magazins „stern“ hat der Chefaufklärer aus den Reihen der SPD die Geräte nun offenbar an sich genommen, die eigentlich in einem Tresor im Arbeitsstab liegen sollten. Die Opposition ist entsetzt.

„Wir wissen nicht, wo sich die Geräte befinden und ob sie an dem Ort sicher sind“, sagt Richard Seelmaecker, CDU-Obmann im Hamburger Untersuchungsausschuss. Seelmaecker hatte fast ein Jahr für die Herausgabe der Mails gekämpft und zwischenzeitlich NRW sogar mit einer Klage gedroht. „Die Laptops wurden ohne Rücksprache aus dem Safe entfernt. Wir wissen nicht, ob sie zwischenzeitlich manipuliert oder ausgelesen wurden.“

Die Cum-ex-Aufklärer interessiert das Postfach von Scholz’ Büroleiterin

Die beiden schwarzen Laptops sehen unscheinbar aus, doch was auf ihnen schlummert, ist höchst brisant: Das Mailpostfach von Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) etwa, die Postfächer von zahlreichen hochrangigen Hamburger Beamten und nicht zuletzt das Postfach von einer der engsten Vertrauten von Olaf Scholz, seiner Büroleiterin Jeanette Schwammberger. Insgesamt sind mehr als 730.000 Mails auf den Rechnern gespeichert.

Die Postfächer hatte die Staatsanwaltschaft Köln beschlagnahmt im Rahmen der Ermittlungen gegen eine Hamburger Finanzbeamtin und zwei ehemalige hochrangige SPD-Politiker aus der Stadt. Die Staatsanwaltschaft Köln geht in dem Verfahren der Frage nach, warum das Finanzamt in Hamburg 2016 zunächst darauf verzichtete, eine Millionen-Beute aus mutmaßlichen Cum-ex-Geschäften von der Hamburger Privatbank M.M. Warburg zurückzufordern – und welchen Einfluss die beiden Politiker hatten, die in dieser Zeit die Bank eng berieten.

Genau mit dieser Frage beschäftigt sich seit drei Jahren auch ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Hamburg. Dabei steht die Rolle des heutigen Bundeskanzlers und damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz im Fokus, der sich mehrfach mit den Bankiers traf und über das Verfahren sprach, kurz bevor das Finanzverwaltung die umstrittene Entscheidung traf.

NRW-Minister Benjamin Limbach hatte monatelang Cum-ex-Ärger

Vor gut einem Jahr hatten die Hamburger daher die Mails aus NRW angefordert. Die Aufklärer in Hamburg hoffen, darin neue Hinweise zu finden – auch zu der Frage, ob Olaf Scholz den Ausschuss möglicherweise angelogen hat, was sein Wissen über die Treffen angeht. Scholz sagt heute, er könne sich an die Treffen mit den Bankiers nicht erinnern.

Auch wegen Cum-ex in Erklärungsnot: NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) bei einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im Landtag zu den Cum-Ex-Verfahren
Auch wegen Cum-ex in Erklärungsnot: NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) bei einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im Landtag zu den Cum-Ex-Verfahren © dpa | Roberto Pfeil

Der Streit um die Herausgabe der Mails hatte sich dann über viele Monate hingezogen und zugespitzt. NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) hatte zunächst juristische Bedenken, später machte er die Staatsanwaltschaft Köln für die Dauer verantwortlich, die wiederum die Schuld bei Limbach sah. Schließlich einigte man sich, dem Untersuchungsausschuss die Mails auf zwei speziellen Laptops zur Verfügung zu stellen.

Seit Freitag, dem 13. Oktober, hat der Ausschuss in Hamburg nun Zugriff auf die Geräte zum Durchsuchen der Postfächer. Doch die Arbeit damit hat die SPD schon wieder gestoppt, bevor die Abgeordneten tiefere Recherchen anstellen konnten. Zwei Tage nach der Anlieferung am Sonntag, den 15. Oktober, hatte SPD-Obmann Milan Pein sich beim Ausschussvorsitzenden Mathias Petersen (ebenfalls SPD) beschwert, in den Postfächern befänden sich Mails ohne Bezug zum Untersuchungsauftrag. Es handele sich um vertrauliche politische Korrespondenz, es seien persönliche Daten betroffen. Die Einsichtnahme sei rechtswidrig, möglicherweise sogar strafbar.

Die Laptops wurden aus dem vorgesehenen Tresor genommen

Ohne einen Beschluss des Ausschusses oder seiner Obleute abzuwarten, wurde daraufhin in Hamburg offenbar ein weiterer SPD-Mann aktiv: Steffen Jänicke ist langjähriges SPD-Mitglied und von der SPD als Leiter des Arbeitsstabs im Untersuchungsausschuss berufen worden. Obwohl in die Affäre zahlreiche aktive und ehemalige Hamburger SPD-Politiker verwickelt sind, stellt die SPD aufgrund der Regularien für Untersuchungsausschüsse in Hamburg sowohl den Ausschussvorsitzenden als auch den Leiter und den Stellvertreter des Arbeitsstabs, der für die Abgeordneten viele Ermittlungsaufgaben übernimmt oder vorbereitet.

Cum-ex-Ausschussvorsitzender Mathias Petersen im Gespräch mit Arbeitsstableiter Steffen Jänicke (rechts). Links im Bild: CDU-Obmann Richard Seelmaecker
Cum-ex-Ausschussvorsitzender Mathias Petersen im Gespräch mit Arbeitsstableiter Steffen Jänicke (rechts). Links im Bild: CDU-Obmann Richard Seelmaecker © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Nach der Mail des SPD-Obmann an den SPD-Ausschussvorsitzenden befanden sich die Laptops nicht mehr in dem für brisante Daten und Dokumenten vorgesehenen Tresor im streng gesicherten Aktenraum des Ausschusses. Der Aktenraum und ein benachbarter Lesesaal für die Ausschussmitglieder wurden unweit vom Hamburger Rathaus eigens eingerichtet, damit dort unter Aufsicht mit streng vertraulichen Unterlagen gearbeitet werden darf. Als später Abgeordnete und Mitarbeiter nach dem Verbleib der Laptops fragten, wurden sie an Jänicke verwiesen.

Wohin Jänicke die Laptops gebracht hat oder bringen hat lassen, ist für die Abgeordneten bis heute unklar. Im Raum steht die Frage, ob er gegen die Regeln zur Wahrung der Geheimhaltung des Ausschusses verstoßen hat, in denen es heißt: „Die Akten und sonstigen Unterlagen sind in vom Arbeitsstab zu bestimmenden Akten- und Leseräumen im jeweiligen Gebäude zu verwahren.“ Jaenickes Büro ist in einem anderen Gebäude und verfügt nicht über die gleichen Sicherheitsvorkehrungen wie der Aktenraum. Unklar ist auch, warum er die Laptops aus dem Tresor entfernte – auf ihn haben ohnehin nur ausgewählte Mitglieder des Arbeitsstabs Zugriff.

Opposition fragt sich, ob Kopien der Daten angefertigt wurden

Jänicke erklärte auf Anfrage, er könne aus „dienstrechtlichen Gründen“ Fragen zu dem Fall nicht beantworten und verwies auf die Auskunft des Ausschussvorsitzenden. Der Ausschussvorsitzende Matthias Petersen erklärte, die Laptops würden „im Arbeitsstab unter Einhaltung der Geheimhaltungsvorschriften“ aufbewahrt. Der Arbeitsstab prüfe derzeit im Auftrag der Obleute, wie eine Akteneinsicht für den Ausschuss ausgestaltet werden könne, ohne die Rechte Dritter zu berühren.

Mit der Antwort ist die Opposition allerdings nicht zufrieden. „Wir sind höchst verwundert über diesen Umgang mit den sensiblen Daten“, sagt Linken-Obmann Norbert Hackbusch. „Es muss jetzt aufgeklärt werden: Wo sind die Laptops? Und vor allem: Wo waren Sie? Waren sie die ganze Zeit sicher? Und wieso wurden wir nicht sofort informiert?“ Die gleiche Forderung stellt auch AfD-Obmann Alexander Wolf: „Es wird zu untersuchen sein, ob an den genannten Laptops in der Zwischenzeit Änderungen vorgenommen oder Kopien angefertigt wurden.“

Heikel ist die Sache aus Sicht der Opposition auch, weil Jänicke schon einmal als Ausschussvorsitzender in die Schlagzeilen geraten war: Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz hatte im Sommer 2022 wegen familiärer Verbindungen nach Russland Bedenken geäußert, ob Jaenicke vertrauenswürdig genug ist, Einsicht in streng geheime Unterlagen zu nehmen. Die SPD geführte Hamburger Bürgerschaftskanzlei hatte sich damals über die Bedenken hinweggesetzt und ihm trotzdem die Erlaubnis erteilt, vertrauliche Unterlagen einsehen zu können. Auch damals wurden die Obleute zunächst nicht informiert.