Essen. Neben Mann und Frau ist „divers“ als drittes Geschlecht anerkannt - doch stille Örtchen für Betroffene sind rar. Ein Fachmann erklärt, warum.
Wenn ein Unternehmen ein neues Bürogebäude bauen will, gibt es nicht nur für die Arbeitsplätze klare Vorgaben. Wie viele stille Örtchen in welcher Größe geschaffen werden müssen, ist ebenso geregelt - und dass es bei Firmen mit mehr als neun Beschäftigten voneinander getrennte Toiletten für Männer und Frauen geben muss. Ein Geschlecht wird dabei immer noch vergessen: das dritte.
„Wir haben in Deutschland keine Regelung, nach der bei einem Bauvorhaben Gender-Toiletten oder Toiletten für alle drei Geschlechter geschaffen werden müssen“, konstatiert Thomas Höxtermann, Essener Architekt und Miteigentümer von „Nattler Architekten“. Allzu viele Nachfragen gebe es in diesem Bereich bislang auch nicht. „Das ist immer noch eher ein Thema der Städte und öffentlichen Auftraggeber und weniger aus Unternehmenskreisen.“ Das bedauert er durchaus: „Für mich ist es eine Frage des Respekts, Gender-Toiletten mitzudenken.“
Bundesverfassungsgericht urteilt: Divers als drittes Geschlecht anzuerkennen
Seit Ende 2018 haben Menschen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen lassen, die Möglichkeit, einen dritten Weg zu wählen: Im Geburtenregister können sie sich als „divers“ eintragen lassen. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Erwartet worden war, dass es auch Folgen fürs Bauen haben werde und das dritte Geschlecht sichtbar beim Bau neuer Toiletten oder Umkleiden werden könne.
Angepasst worden seien die entscheidenden Richtlinien aber nicht, sagt Höxtermann. Das „WCs für alle“ sind also kein Muss. Oftmals werden barrierefreie WCs aber genderneutral ausgewiesen. Das IT-Unternehmen Optadata etwa hat in der neuen Unternehmenszentrale in Essen zwar barrierefreie Unisex-Toiletten, die aber nicht speziell für das dritte Geschlecht ausgezeichnet worden sind. Auch an Schulen gibt es vermehrt „Toiletten für alle“. Die Stadt Essen beispielsweise hat ihre Vorgaben so angepasst. Das Dortmunder IT-Unternehmen Materna hat eine andere Lösung gefunden: Im geplanten Neubau nutzen alle Geschlechter denselben Vorraum der Toiletten und müssen sich erst dort für eine Richtung entscheiden.
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Höxtermann geht das „WC für alle“ nicht weit genug: „Es kann nicht die Lösung sein, eine Toilette für Menschen mit Behinderung zur Toilette für alle zu erklären“, sagt der 53-Jährige. „Das könnte genau zum Gegenteil dessen führen, was man beabsichtigt, nämlich mehr Diskriminierung.“ Mit Unisex-Klos wäre es aber auch nicht getan: Die Arbeitsstätten-Richtlinie schreibt auch für Schulen vor, dass es getrennte Waschräume für Männer und Frauen geben muss.
Höxtermann wirbt für eine vierte Toilettenart und nennt ein Beispiel aus seiner Tätigkeit: In einem Neubau am Dortmunder Geschwister-Scholl-Gesamtschule gebe es nun vier verschiedene WC-Typen - für Männer, Frauen, Menschen mit Handicap und fürs dritte Geschlecht. Vor Ort wird deutlich: Einen Schutzraum bieten solche Einrichtungen auch jungen transsexuellen Menschen. Ein ähnliches Modell gibt es am Heinz-Nixdorf-Berufskolleg in Essen.
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„Von innen sieht es ja aus wie jedes andere WC“, sagt Höxtermann über die Dortmunder Lösung. Von außen ist die Botschaft aber klar: Das dritte Geschlecht wird mitgedacht.