Düsseldorf. NRW-Familienminister Stamp hat seinen umstrittenen Kurs verteidigt - und stützt sich auf Erkenntnisse aus der Kindermedizin.

NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) hat das Offenhalten der Kitas im Land trotz explodierender Corona-Zahlen verteidigt und dafür offensiv Erkenntnisse der Kinder- und Jugendmedizin ins Feld geführt. „Würden wir mehrere Wochen schließen, wäre das auch meiner Sicht nicht zu verantworten“, sagte Stamp am Donnerstag bei einem gemeinsamen Termin mit dem Berliner Chefarzt Tobias Tenenbaum, der zugleich Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie ist.

Wegen der hohen Infektionszahlen seien in der Kindertagesbetreuung Einschränkungen und Schließungen zwar regional unvermeidbar. Ein flächendeckendes Aussetzen des Kita-Angebots in NRW müsse jedoch zum Wohle der Kinder unbedingt verhindert werden, sagte Stamp. Befürchtungen, dass die Kleinsten einem höheren Krankheitsrisiko durch die neue Virus-Variante Omikron ausgesetzt sein könnten, hätten sich nicht bewahrheitet.

Ist "Long Covid" als Phänomen bei Kindern überschätzt?

Der Mediziner Tenenbaum stützte die unter Eltern und Beschäftigten umstrittene Linie der Landesregierung: „Es spricht derzeit nichts dafür, dass wir wieder in Schulen und Kitas die Präsenzpflicht aussetzen.“ Die erhöhte Infektionsgefahr für Kinder müsse man ins Verhältnis zur geringen Fallschwere bei einer Ansteckung setzen, so Tenenbaum. Nur in sehr seltenen Fällen erlebten Kinder einen schweren Corona-Verlauf. Das viel diskutierte Phänomen „Long Covid“ trete nur in ein Prozent aller Fälle auf und klinge bereits nach fünf Monaten wieder ab. Im Vergleich dazu seien psychische und soziale Folgen bei Kita-Schließungen viel erheblicher.

Stamp will auch Forderungen nach verpflichtenden anlasslosen Corona-Tests in Kitas weiterhin nicht nachgeben. Damit würden Kinder, für die kein Test vorgezeigt werden kann, zum Schutz der Gruppen und Beschäftigten ab sofort nicht mehr betreut. Er habe die große Sorge, so Stamp, dass damit Kinder aus sozial schwachen oder bildungsfernen Elternhäusern ausgeschlossen würden, obwohl gerade diese die frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangebote besonders benötigten.

Drei Selbsttests pro Woche - aber nur auf freiwilliger Basis

Das Land stellt den Einrichtungen für alle Kinder drei Selbsttests pro Woche zur Verfügung. Die Nutzung ist jedoch freiwillig. Eine Testpflicht besteht nur dann, wenn es nachweislich einen Infektionsfall in einer Gruppe gab. Einzelne Kommunen hatten zudem für knapp ein Drittel aller Kita-Kinder in NRW auf eigene Initiative die genaueren PCR-Pool-Tests angeboten. Wegen der bundesweiten Überlastung der Labore und einer neuen Priorisierung von Gesundheitsberufen mussten viele jedoch wieder auf Antigen-Schnelltests umsteigen.

Träger wie die AWO NRW beklagen aktuell überdurchschnittlich hohe Ausfallquoten bei ihrem Kita-Personal. Rückmeldungen aus dem ganzen Land zeigten, dass einigen AWO-Verbände derzeit zwischen 15 und 25 Prozent ihres Kita-Personals fehle. Im Oberbergischen Kreis wird der Personalausfall sogar mit rund 26 Prozent beziffert. Gründe sind neben Infektionen und Quarantänezeiten auch andere Erkrankungen und die Betreuung der eigenen Kinder, die wegen positiver Corona-Testungen in Kita oder Schule zu Hause beaufsichtigt werden müssen. Der Druck sei enorm, sagte eine Sprecherin der AWO NRW. Betroffene AWO-Einrichtungen hätten die Betreuungszeiten eingeschränkt, seien aber nicht geschlossen worden.