Essen. Missbrauchskandal: Bischof Overbeck fordert im Interview Benedikt auf, sein Schweigen zu brechen. Der Schaden für die Kirche sei „unermesslich“.

Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und mehr noch ihr Umgang mit ihm erschüttert auch das Ruhrbistum, in dem viele der nun vom Münchner Gutachten untersuchten sexuellen Übergriffe stattgefunden haben. Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck sieht einen immensen Schaden für die Kirche, der Skandal stürze sie in eine existenzielle Krise, hatte er bereits zu Jahresbeginn gemahnt, am Freitag gedachte er an der Seite von Demonstranten auf der Essener Domplatte der Opfer. Nun fordert Overbeck im Interview mit unserer Redaktion den emeritierten Papst Benedikt XVI. auf, endlich sein Schweigen zu brechen.

Welche Lehren und Konsequenzen sollte der Vatikan und insbesondere Benedikt XVI. aus dem Münchner Gutachten ziehen? Muss Benedikt endlich sein Schweigen brechen, nachdem die Gutachter ihn faktisch der Lüge überführt haben?

Bischof Franz-Josef Overbeck: Das Münchner Gutachten zeigt einmal mehr, wie sehr Bischöfe und andere Führungskräfte in der katholischen Kirche in der Vergangenheit und teilweise bis in die Gegenwart hinein ausgewichen sind und ausweichen, wenn es darum ging, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung ist immer personal – und jede Führungskraft in unserer Kirche muss sich fragen, ob sie alles in ihrer Macht stehende tut und getan hat, um menschliches Leid zu verhindern, Missbrauchstäter aus dem Dienst zu entfernen und die staatlichen Behörden einzuschalten sowie vor allem die Betroffenen von sexuellem Missbrauch wahrzunehmen. Klar ist auch, dass der emeritierte Papst Benedikt zu den Widersprüchen, die das Gutachten offen gelegt hat, Stellung beziehen muss.

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„Der Schaden ist schon jetzt unermesslich“

Befürchten Sie einen nachhaltigen Schaden für die katholische Kirche durch diese Vorgänge, etwa eine weitere Zunahme der Kirchenaustritte?

Der Schaden, den der Missbrauchsskandal angerichtet hat, ist schon jetzt unermesslich. Vor allem die Begegnungen mit Betroffenen haben mir in den letzten Jahren vor Augen geführt, wie viel Leid hier Menschen zugefügt wurde, die oft lebenslang an den Folgen der sexuellen Gewalt zu leiden haben. Es ist furchtbar, dass so viele Menschen mit der katholischen Kirche nichts Gutes verbinden können, sondern Angst und Schrecken. Das ist eine Perversion der Botschaft des Evangeliums, für die wir doch stehen sollten. Darum kann ich nachvollziehen, wenn viele Menschen innerhalb wie außerhalb der Kirche uns nicht mehr vertrauen können. Umso wichtiger sind aber jetzt alle Anstrengungen, damit wir die Ursachen erkennen und überwinden, die zum Missbrauchs-Skandal beigetragen haben. Wir müssen uns als katholische Kirche erneuern; gerade bei den großen Fragen der Machtkontrolle, der Geschlechtergerechtigkeit und der Sexualmoral, um nur einige Beispiele der Themen zu nennen, die beim Synodalen Weg kontrovers diskutiert werden. Das Ziel muss sein, das Vertrauen der Menschen wieder zu gewinnen. Das wird nur gelingen, wenn wir keine Kirche des Stillstands sind, sondern eine Kirche des Aufbruchs und Neubeginns.

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Wie geht das Ruhrbistum, in dessen Gebiet viele der fraglichen Missbrauchsfälle stattgefunden haben, selbst mit den Erkenntnisse aus dem Gutachten um, hilft es für die eigene Aufarbeitung?

Das Münchner Gutachten bestätigt uns auf unserem eigenen Weg. Zum Ende dieses Jahres wird ein eigenes Gutachten veröffentlicht, mit dem wir die Geschichte des sexuellen Missbrauchs im Ruhrbistum aufklären und aufarbeiten wollen. Das wird uns dabei helfen, uns kritisch mit dem auseinander zu setzen, was hier bei uns geschehen ist. Die große bundesweite MHG-Studie hatte uns bereits viele Erkenntnisse geliefert, aber auch aufgezeigt, was wir verändern müssen. Daran arbeiten wir intensiv – angefangen bei unseren Präventionsanstrengungen, über die Professionalisierung unserer Personalarbeit bis hin zur Beteiligung von Betroffenen an der Aufarbeitung, die wir derzeit voranbringen. Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind noch sehr groß und herausfordernd. Aber ich will mich ihnen mit vielen anderen im Ruhrbistum entschieden stellen.