Berlin. Altkanzler Schröder greift seine Partei an, weil sie es verpasst habe, die Überhangmandate abzuschaffen - dabei hat die SPD ebenfalls davon profitiert. Linke und Grüne kündigen derweil rechtliche Schritte an, falls die Union mithilfe zusätzlicher Bundestagssitze an die Macht kommt.

Nach der Bundestagswahl wird eine Klagewelle gegen Überhangmandate erwartet, sollten diese den Ausschlag für die Bildung einer neuen Bundesregierung geben. «Es wird Zehntausende Anfechtungen geben, der Ärger der Bürger wird riesengroß», sagte der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz laut einer Meldung des Magazins «Spiegel» vom Freitag. Zwar räume er solchen Klage nur geringe Erfolgschancen ein, politisch wäre dies jedoch «ein Desaster». Er nannte es «eine Schande», dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen mangelnden Problembewusstseins in dieser Frage «ein massives Demokratiedefizit» in Kauf nehme.

Linke und Grüne prüfen rechtliche Schritte

Links-Fraktionschef Gregor Gysi kündigte an, seine Partei werde nach der Wahl prüfen lassen, ob eine Klage gegen Überhangmandate aussichtsreich sei. «Eine Regierung darf nicht auf verfassungswidriger Basis gegründet werden», sagte Gysi. «Das hat es noch nie gegeben, dass eine Minderheit, die von der Mehrheit nicht gewollt ist, regiert», betonte auch der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck. Er kündigte an, auch die Grünen würden rechtliche Schritte prüfen.

Skeptisch zur Nutzung von Überhangmandaten äußerte sich auch Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP). Er habe ein «ungutes Gefühl», wenn er an eine mögliche schwarz-gelbe Mehrheit durch solche Mandate denke, sagte er am Freitag dem SWR. «Es wäre ein Skandal, wenn die Regierung nicht dem Willen des Volkes entspricht», erklärte der Sprecher der Organisation «Mehr Demokratie», Michael Efler.

Schröder wirft seiner Partei zuviel Vorsicht vor

Unterdessen gibt es in der SPD laut «Spiegel» interne Kritik daran, dass die Partei nicht im Sommer gemeinsam mit Grünen und Linken eine Wahlrechtsänderung durchgesetzt hat, um Verzerrungen des Wahlergebnisses durch Überhangmandate auszuschließen. Unter anderem habe der frühere Kanzler Gerhard Schröder im kleinen Kreis gesagt, er hätte damals einen Bruch mit der Union in Kauf genommen. Die Parteispitze habe jedoch die strategische Bedeutung der Überhangmandate unterschätzt.

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) rät dagegen seiner Partei zu Zurückhaltung in der Debatte um die Verfassungsmäßigkeit von Überhangmandaten. Ude sagte am Freitag in einem Gespräch mit «sueddeutsche.de», die gegenwärtige Situation sei zwar «höchst unbefriedigend». Er denke aber, «dass die SPD den Mund hier nicht allzu voll nehmen sollte». Ude fügte hinzu: «Bei den letzten beiden Wahlen hat sie davon ohne Schamgefühl profitiert. Und sie hat für dieses Mal keine Gesetzesreform erzwungen.»

Überhangmandate entstehen dann, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erringt, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil zustehen würden. Meinungsumfragen zufolge dürfte bei der Bundestagswahl am Sonntag besonders die CDU davon profitieren. (afp)