Bochum. Erstmals werden islamische Geistliche in Deutschland ausgebildet. Der Staat will so fundamentalistische Einflüsse ausländischer Imame eindämmen.
Die große Mehrheit der islamischen Prediger und Seelsorger wird im Ausland ausgebildet. Das sorgt immer wieder für Kritik, da die Imame ihrem Herkunftsland politisch verpflichtet sind und die deutsche Sprache und Kultur meist kaum kennen. Ein neues Ausbildungsprogramm soll das ändern, allerdings mit Startschwierigkeiten. Eigentlich jetzt im April geplant, beginnt das „Islam-Kolleg“ – die erste verbandsübergreifende und deutschsprachige Imam-Ausbildung in Deutschland – wegen der Pandemiefolgen nun wohl im Juni an der Uni Osnabrück. NRW will die zweijährige Ausbildung islamischer Geistlicher auch an der Uni Münster voranbringen. Die Fächer (u.a.): Predigtlehre, Koranrezitation, gottesdienstliche Praktiken, soziale Arbeit. Für Volker Beck (60), Ex-Bundestagsabgeordnete der Grünen und Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (Ceres) der Ruhr-Uni Bochum, ist dies ein wichtiger erster Schritt, dem aber weitere folgen müssten. „Wir wissen bislang nicht, was in den Moscheen eigentlich gepredigt wird“, sagte Beck im Gespräch mit Christopher Onkelbach.
Sollten Imame, die in Deutschland seelsorgerisch tätig sind, auch hier ausgebildet sein?
Volker Beck: Ich begrüße, dass die Religionspolitik mutig etwas wagt, wovon man noch nicht weiß, ob es gelingen wird und ob es verfassungsrechtlich Bestand hat. Dass wir Imame und Geistliche brauchen, die auch in diesem Land zuhause sind, ist unbestritten. Wenn man den Missstand ausländischer Prediger beklagt, muss man auch versuchen, ihn zu beheben.
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Wo sehen Sie die rechtlichen Hürden?
Beck: Problematisch ist die Frage: Wer ist der Träger der Sache? Geistliche auszubilden, ist Aufgabe von Religionsgemeinschaften. Die gibt es beim Islam in Deutschland aber nicht, sondern nur islamische Verbände. Es ist richtig, dafür pragmatische Lösungen zu suchen, das geschieht ja bereits beim Religionsunterricht mit dem Kommissionsmodell in Nordrhein-Westfalen. Auch wenn der Staat als Ansprechpartner keine Religionsgemeinschaft vorfindet, so will die Verfassung doch, dass alle ihre Grundrechte wahrnehmen können. Wir sollten also beim Religionsunterricht sowie bei der Imam-Ausbildung möglichst nahe an das Modell herankommen, das für die Religionsgemeinschaften anderer Religionen bereits gilt.
Doch in der Vergangenheit gab es öfter Konflikte mit Verbänden wie der Ditib…
Beck: Ja. Ich warne davor, sich allzu sehr an die jetzigen Verbändeszene anzulehnen. Man braucht sie, aber man muss dem Umstand Rechnung tragen, dass sie bisher keine Religionsgemeinschaften sind. Der Grund dafür ist ein schwerwiegendes Problem: Die Verbände besitzen überwiegend religionsfremde Identitäten. Ich meine damit politische oder staatliche Einflüsse. Diese Verbände sind größtenteils politisierte Formen von Religion. Zum Teil stehen Verbände den rechtsextremen Grauen Wölfen nahe oder der teils islamistischen Milli Görüs-Bewegung oder den Muslimbrüdern.
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Also fehlt die Voraussetzung für eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft?
Beck: Das Grundgesetz will die religiöse Selbstbestimmung stärken. Doch da ist nichts zu stärken, wenn eine politische Fremdbestimmung zur Identität einer Organisation gehört. So ist zum Beispiel die Ditib der türkischen Religionsbehörde Diyanet und damit letztlich Erdogan unterstellt und ausgeliefert. Da bestimmt die Politik die religiösen Leitlinien. Das ist unserem Grundgesetz mit der Trennung von Staat und Religion völlig fremd.
Warum sollten dann Imame in Deutschland ausgebildet werden?
Beck: Imame sind ja auch Seelsorger. Wenn sie hier leben, bedeutet das, dass sie sich in die Probleme und Konflikte ihrer Gläubigen hineinversetzen können, weil sie ihnen alltagsweltlich und kulturell nahestehen. Das funktioniert nur, wenn sie in der auch Gesellschaft und Rechtsordnung zuhause sind, in der die Gläubigen leben. Religiöses Personal, das aus dem Ausland kommt, hilft nicht bei der Integration.
Die Politik sieht in einer deutschen Imam-Ausbildung einen „Baustein gegen radikale islamistische Tendenzen“ – zu hoch gegriffen?
Beck: Das hängt sehr stark davon ab, wer welchen Einfluss auf die Ausbildung der künftigen Geistlichen hat. Hier muss die Politik Konflikte und Diskussionen mit den Verbänden aushalten und sich durchsetzen. Denn die islamischen Verbände werden versuchen, ihren Einfluss auf die Lehre und das Personal geltend zu machen. In Münster sehe ich für die Ausbildung aber eine exzellente Basis. Würde man den dortigen Lehrenden auch bei der Imam-Ausbildung in NRW eine maßgebliche Rolle geben, hätte ich keine Sorgen. Dann würden selbstbewusste und selbstkritische Imame ausgebildet. Auch die Ditib bildet nun ja Imame in Deutschland aus, aber nach Maßstäben und Inhalten, die Ankara vorgibt. Damit ist dann nichts gewonnen.
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Würden die Gläubigen in Deutschland ausgebildete Imame überhaupt akzeptieren?
Beck: Ein Verband tut das ja bereits. Wenn eine Moscheegemeinde nicht überaltern will, muss sie akzeptieren, dass nicht nur Türkisch oder Arabisch, sondern auch Deutsch geredet wird. Dass Gläubige sagen, wir wollen nur türkische Imame haben, glaube ich nicht. Aber ein Geistlicher muss die Sprache seiner Gläubigen beherrschen.
Bisher werden Imame von der Türkei entlohnt und sind dadurch finanziell abhängig. Wer soll die deutschen Imame bezahlen?
Beck: Grundsätzlich muss man von Religionsgemeinschaften erwarten können, dass sie ihre Veranstaltung selbst bezahlen. Das gilt ja auch für andere Religionsgruppen. Doch der Staat kann helfen, ohne dabei die rote Linie der Trennung zu überschreiten. Es sind Konstruktionen denkbar, bei denen der Staat einen Religionslehrer auf einer halben Stelle beschäftigt und finanziert und die Moscheegemeinde die andere Hälfte für ihn als Seelsorger übernimmt. Kirchensteuer ist eine politische Kopfgeburt, sie entspricht nicht einer freiwilligen Befolgung religiöser Pflichten, wie sie die islamische Tradition kennt. Es ist ja auch eine deutsche Besonderheit, dass der Staat die Kirchensteuer für die Kirchen eintreibt. In Frankreich gibt es das nicht. Dort entscheidet die Kollekte, ob der Priester am Sonntag ein Huhn im Topf hat.
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Interessieren wir uns zu wenig dafür, was in den Moscheen gepredigt wird?
Beck: Wir wissen eigentlich gar nicht, was in den Moscheen stattfindet, wer dort predigt und welche Ansichten vertreten werden. Da fehlt es in Deutschland an einer einschlägigen Feldforschung. Erkenntnisse darüber würden auch zur Vertrauensbildung in den jeweiligen Kommunen beitragen. Nach dem Vorbild der Stiftung Wissenschaft und Politik in der Außenpolitik müsste es eine ähnliche Einrichtung auch für das Thema Religion geben. Sonst bestimmen Vorurteile und Ressentiments das Feld.
Erwarten Sie auf lange Sicht durch die Imam-Ausbildung in Deutschland einen „aufgeklärten“ oder „westlichen“ Islam?
Beck: Das sind nicht die richtigen Labels aber jedenfalls würde der politische Einfluss zurückgedrängt. Die Imam-Ausbildung eröffnet Chancen, garantiert ist damit aber nichts. Wir wissen heute nicht, liest man in den Ditib-Gemeinden die Predigt aus Ankara oder aus der Kölner Zentrale? In den sozialen Medien sehen wir immer wieder, wie die Ditib-Gemeinden Kanal für Erdogans Propaganda sind. Im Syrienkrieg betete man in den Ditib-Moscheen für den Sieg der türkischen Truppen.
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