Berlin. Das Thema Corona-Infektionen unter Migranten darf man nicht den Extremen überlassen, findet unsere Kommentatorin Miriam Hollstein.
Als Anfang März bekannt wurde, dass der Chef des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, in einer internen Chefarzt-Runde beklagt hatte, die hohen Corona-Fallzahlen bei Migranten würden tabuisiert, war ein Shitstorm die Folge. Medien und Verbände warfen Wieler Rassismus vor.
Das RKI musste zurückrudern: Es habe sich bei Wielers Äußerungen nur um Überlegungen und keine Feststellungen gehandelt, sagte damals eine Sprecherin. Auch sei er teilweise falsch wiedergegeben worden. Dass etwa auf Intensivstationen deutlich über 50 Prozent der Covid-19-Patienten einen Migrationshintergrund aufweisen, sei ausschließlich auf die Situation auf drei Intensivstationen in drei deutschen Großstädten bezogen gewesen.
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Wer das Thema Corona bei Migranten anspricht, macht sich angreifbar
Für die öffentliche Debatte war das ein klares Signal: Jeder, der dieses Thema aufgreift, läuft Gefahr, sich massiven Vorwürfen ausgesetzt zu sehen. Die Sensibilität hat einen Grund: In Deutschland gibt es nach wie vor strukturellen Rassismus und den Hang, in Krisen die Schuld bei „den Ausländern“ zu suchen. Nicht minder gefährlich ist es aber, in schwierigen Situationen Themen aus Gründen der politischen Korrektheit nicht anzusprechen. Denn dann überlässt man sie extremen Kräften, die sie unverhohlen für ihre rassistische Erzählung nutzen.
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Wie das aussieht, hat die AfD in der vergangenen Woche bei der Regierungsbefragung noch einmal vorgemacht. Da wurde Wielers Aussage mit falschen „Fakten“ kombiniert und das Ganze zu der Behauptung vermischt, migrantische Superspreader seien die wahren Treiber der Pandemie. Mehr destruktiver Rassismus geht nicht.
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In der Pandemie ist das oberste Gebot, allen Fragen nachzugehen, die helfen könnten, das Virus wirksamer zu bekämpfen. Mehrere Studien aus den USA und aus Europa legen nahe, dass Migranten häufiger von Corona-Erkrankungen betroffen sind. Die Gründe hierfür können vielfältig sein – prekäre Wohnverhältnisse, Tätigkeiten mit einem höheren Infektionsrisiko, Sprachbarrieren, aber auch eine andere Kultur des (groß-)familiären Zusammenhalts, die zu intensiverer Nähe und damit größerer Übertragungsgefahr führt.
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Die Ursachen für die Corona-Fälle müssen untersucht werden
Wichtig wäre, hier genauer zu erforschen, was die Ursachen sind. Denn nur so kann man Instrumente entwickeln, um das Risiko für die Betroffenen zu verringern. In Berlin ist es vermutlich einer gezielten mehrsprachigen Präventionskampagne zu verdanken, dass die Zahl der Corona-Toten in Flüchtlingsunterkünften bislang im einstelligen Bereich blieb.
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Genauso wichtig ist, verantwortungsvoll mit diesen Fragen umzugehen. Sie dürfen nicht zur Stigmatisierung benutzt werden. Es geht nicht darum, „Schuldige“ auszumachen, es geht darum, das Virus kleinzukriegen. Die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und einem höheren Anteil an Corona-Erkrankungen gibt, ist nicht die einzige, die geprüft werden sollte. Schon im vergangenen Sommer zeigte eine Studie des Universitätsklinikums Düsseldorf und der Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg, dass sozial Benachteiligte ein höheres Risiko haben, an Covid-19 zu erkranken. Und auch bei den Berufen scheint es erhebliche Unterschiede zu geben. So kam eine Studie aus den USA kürzlich zu dem Ergebnis, dass Mitarbeiter aus der Lebensmittelindustrie und der Landwirtschaft höhere Infektionsraten haben.
Wir leben jetzt bereits ein Jahr mit der Pandemie. Die Zeit der Schockstarre und der Pauschalantworten ist vorbei. Wir müssen jetzt alles tun, um so schnell wie möglich ein differenziertes Bild zu bekommen, damit die Corona-Strategien angepasst werden können. Falsche Tabus bringen uns dabei nicht weiter.
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