Hattingen. Eltern von Babys und Kleinkindern sind oft unausgeschlafen. Aber es gibt Hoffnung, wieder zur Ruhe zu kommen. Eine Schlafexpertin gibt Tipps.
Aufgeweckt, das ist das Wort, mit dem Lucia und Philipp Aurich ihre beiden Kinder beschreiben. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. „Die beiden sind sehr neugierig, wollen immer alles mitkriegen und ja nichts verpassen“, erzählt Philipp Aurich. Eine schöne Sache, die aber auch ihre Kehrseite hat: Das gilt zu jeder Tages- und vor allem auch Nachtzeit. Insbesondere die ältere Johanna sei ein „High-Need-Baby“ gewesen, sagt er. „Zu Spitzenzeiten war Johanna alle 20 Minuten wach“, erinnert sich Lucia Aurich. „Sie war dann bis zu neun Mal wach oder sie schlief gar nicht. Dann musste ich stundenlang mit ihr durch die Wohnung laufen.“
Eltern mit Schlafmangel: permanent erschöpft
Obwohl sich das Paar aufteilt – die Krankenschwester in Elternzeit übernimmt die Nächte, weil Philipp Aurich für seine Tätigkeit als Arzt im Krankenhaus ausgeschlafen sein muss – wird er trotzdem wach. „Ich habe einfach einen sehr leichten Schlaf“, sagt der 32-Jährige. „Ich fühle mich permanent erschöpft, weil ich versuche, all meine Energie bei der Arbeit einzusetzen. Zu Hause muss ich mich dann dauernd ermahnen, nicht zu streng oder gereizt zu sein. Die Kinder können ja nichts dafür. Und natürlich ist es auch mein innerer Antrieb, viel Zeit mit der Familie zu verbringen, statt Schlaf nachzuholen.“
„Ich finde, du machst das besser als ich“, sagt seine Frau. Sie selbst fühlt sich durch den Schlafmangel häufig „wie in einer Saugglocke“. Sie werde vergesslich, finde ihr Handy im Kühlschrank, hat Wortfindungsschwierigkeiten oder verfährt sich auf dem täglichen Weg zum Kindergarten. Abends sind beide so müde, dass sie es nicht schaffen, zum Beispiel ihre gemeinsame Lieblingsserie auf DVD zu schauen. „Entweder wir schlafen auf dem Sofa ein“, erzählt Philipp Aurich, „oder wir haben ein schlechtes Gefühl dabei, weil wir ja auch schlafen könnten. Das frustriert mich schon.“ Auch Lucia Aurich hat Abendverabredungen weitgehend gestrichen. Ihr fehlt die Energie.
„Schlafmangel treibt alle Eltern um“, sagt Lisa Wich. „Frauenkörper machen den Schlafentzug lange mit, aber häufig bricht die Frau dann zusammen, wenn das Baby acht bis neun Monate alt ist. Denn dann bekommen die Babys eine neue Wahrnehmung und das kann den Schlaf beeinflussen. Zu mir kommen Eltern häufig mit dem dringenden Wunsch, einfach mal ein paar Stunden am Stück schlafen zu können.“ Lisa Wich ist diplomierte Sozialpädagogin. Im Hattinger Stadtteil Holthausen betreibt sie das Eltern-Kind-Zentrum Krabbelbude.
Dank zahlreicher Fortbildungen hat Lisa Wich ein Angebot zusammengestellt, das den Bedürfnissen junger Eltern gerecht werden soll: Pekip-Kurse, Babymassage, Mama-Workout. Seit zehn Jahren gibt es auch eine Baby-Sprechstunde, die man aufsuchen kann, wenn es Schwierigkeiten gibt, zum Beispiel bei Schlafproblemen. Seit einem Jahr ist die 59-Jährige auch zertifizierter Schlafcoach. „Das war irgendwie das letzte Puzzleteil, das mir noch gefehlt hat“, sagt Lisa Wich.
Strategien für einen guten Schlaf
Kommen Eltern mit Schlafproblemen zu ihr – häufig dann, wenn sie sagen ‚es geht gar nicht mehr‘ – geht es zunächst darum, ein positives Gefühl zu vermitteln. „Frauen lesen heute viele Bücher und versuchen, das Gelesene dann zu 100 Prozent umzusetzen. Wenn das nicht sofort und optimal funktioniert, setzen sie sich selbst unter Druck. Ich versuche zu vermitteln, dass Eltern eigentlich gar nicht das Optimum erreichen können, dass sie auch mit 70 Prozent schon auf einem tollen Weg sind. Dass es kein Eingeständnis der Unfähigkeit ist, dass sie zu mir gekommen sind.“
Der Druck, den sich Eltern machen, kann wiederum die Kinder unter Druck setzen. Und angespannte Kinder schlafen schlecht, so die Pädagogin. Natürlich gebe es noch andere Ursachen für schlechten Kinder-Schlaf. Zum Beispiel können traumatische Vorfälle in der Schwangerschaft, Ängste der Mütter, gesundheitliche Probleme oder schwere Geburten dazu führen, dass Kinder weniger entspannt sind und nicht zur Ruhe kommen können.
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Gemäß dem Ansatz „wir beide lernen jetzt etwas Neues, damit die Tage wieder freudiger für uns werden“, sammelt Wich mit den Eltern zunächst viele Antworten auf folgende Fragen: Was belastet besonders? Wie schläft das Kind ein, was macht es tagsüber, welche Nahrung gibt es wann? „Grundsätzlich gilt: Ist der Bauch gut voll zum Schlafen? Ist das Herz gut voll zum Schlafen?“ Dann entwickelt Lisa Wich Strategien, die zu den jeweiligen Eltern passen.
„Es geht darum, dass die Mütter aktiv werden und eine positive Haltung annehmen, statt zu re-agieren“, sagt sie. „Es geht darum, dass die Eltern wieder das Zepter in die Hand nehmen und den Kindern Orientierung geben.“ Agiere nur das Kind, die Eltern reagieren, sei es überfordert. „Letztendlich geht es aber vor allem darum, dem Kind eine positive Haltung zu präsentieren. Dann wird es zweitrangig, was genau gemacht wird.“
Automatische Wiege und eine neue Haltung haben geholfen
Genau das haben Lucia und Philipp Aurich auch umgesetzt. Ausprobiert haben sie viel: Den Tag aufregend zu gestalten, damit die Kinder abends möglichst müde sind. Den Tag möglichst unaufgeregt zu gestalten. Früher oder später schlafen zu gehen, die Abendessenszeiten zu variieren oder Rituale zu etablieren. Linderung brachte letztendlich eine automatische Wiege. „Jetzt können wir wenigstens mal zwei Stunden am Stück schlafen“, sagt Lucia Aurich. „Da fühlt man sich gleich richtig ausgeschlafen.“
Eine echte Erleichterung brachte aber nur, den Blickwinkel zu ändern: „Ich versuche es einfach positiv zu sehen, nicht viel darüber nachzudenken“, sagt Lucia Aurich. „Und ich weiß ja, dass ich irgendwann wieder durchschlafen kann.“ Und Philipp Aurich sagt: „Wenn man weiß, wie das Kind funktioniert und was es braucht, ist das natürlich sehr erleichternd.“
>>> Tipps von der Schlafexpertin
Endlich mal wieder eine Nacht durchschlafen! Oder wenigstens ein paar Stündchen. Das rät Sozialpädagogin und Schlafcoach Lisa Wich , um als Eltern ganz praktisch zu besserem Schlaf zu finden:
- Schlafpausen des Kindes nutzen: Schläft das Kind tagsüber, sollte auch Mama oder Papa schlafen. Wenn das nicht so einfach geht, sind Entspannungsübungen gut. „Wichtig ist“, sagt Lisa Wich, „sich zu sagen: ‚Ich bin es mir wert, dass ich auch mal auf mich gucke und nicht immer alles hinkriegen muss‘.“
- Hilfen annehmen: Nicht den Anspruch zu haben, alles alleine hinbekommen zu müssen, hilft. „Mütter können ruhig Oma, Opa oder den Partner einbauen, um sich selbst Auszeiten zu nehmen“, sagt Sozialpädagogin Lisa Wich. „Und nicht nur dann, wenn es schwierig ist, sondern immer. Man sollte sich selbst Erfolgserlebnisse geben.“
- Partnerschaft pflegen: Nicht abends dauerhaft mit dem Kind/den Kindern schlafen gehen, sondern Zeit mit dem Partner zu verbringen, macht zufriedener.
- Beim Zubettbringen schon an die Nacht denken: Ab etwa acht Monaten möchte ein Baby, wenn es nachts wach wird, gerne die Bedingungen, die es zum Einschlafen hatte. Wer also zum Einschlafen die Brust gibt, wird das auch nachts tun müssen, damit das Kind wieder einschläft. Oder es auf dem Arm halten oder im Kinderwagen spazieren fahren. „Wenn die Babys noch ganz klein sind, reagieren Eltern auf ihre Bedürfnisse. Wenn sie etwas älter werden, ist es aber ein ganz hohes Ziel, Kindern beizubringen, sich selbst zu regulieren“, sagt Lisa Wich.