Washington. Donalds Horror-Show: US-Korrespondent Dirk Hautkapp erklärt, warum sich Trump mit seinem Auftritt im TV-Duell ins eigene Knie schießt.

Was 1960 mit dem vergleichsweise züchtigen Kräftemessen zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon verheißungsvoll begann, landete 60 Jahre später beim Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden am Tiefpunkt der Geschmacklosigkeit.

So tief, dass nach Abpfiff der 90-minütigen Krawall-Partie mit Dutzenden offenen und versteckten Fouls in Amerika die Existenzberechtigung der TV-Debatten vor Wahlen offen angezweifelt wird. Ernsthaft: Wer, außer Liebhabern von Reality-Schreihals-Shows, wird sich das, was in Cleveland über die Bühne gegangen ist, noch einmal antun wollen?

Dass dies vordringlich Donald Trump anzulasten ist, liegt nach der rhetorischen Kirmes-Boxerei auf der Hand. Die fehlende Bereitschaft des Präsidenten zum zivilen Ideenwettstreit machte jeden aufklärerischen Charakter im Ansatz zunichte. Mit Trump, der durch miserable Umfragewerte und Medien-Enthüllungen (Steuern, Bob Woodward-Buch etc.) waidwund wirkte, ist kein Diskutieren möglich.

Das „stabile Genie” ist ein Egomane ohne jede Selbstkontrolle.

Trump setzt neue Maßstäbe der Zerstörungswut

Wie Trump seinen Kontrahenten Joe Biden mit Zwischenrufen und unflätigen Beleidigungen provozierte, die der Demokrat zu oft eins zu eins retournierte, setzte neue Maßstäbe der Zerstörungswut im demokratischen Diskurs. Verlierer sind vor allem die, um die es geht: die Wähler.

Gewonnen hat in gewisser Weise Joe Biden. Es gelang ihm, das von Trump erzeugte Bild eines senilen, parkettunsicheren, von der Parteilinken ferngesteuerten Kandidaten zu korrigieren. Wortwahl und Gestus wiesen den 77-Jährigen als den einzigen Erwachsenen im Raum aus. Nicht immer. Aber meistens.

Analyse: TV-Duell Trump gegen Biden – Eine Katastrophe in Abschnitten

US-Korrespondent Dirk Hautkapp kommentiert.
US-Korrespondent Dirk Hautkapp kommentiert. © Privat | Privat

Amerikas lädiertes Ansehen in der Welt hat durch die Horror-Show weiter gelitten, die nur einen Regisseur kannte: Trump. Viele Zuschauer fanden ihn nervtötend. Selbst republikanische Wähler, die Trump in der Substanz gut finden, fühlten sich von seinen Plattitüden und Gemeinheiten abgestoßen.

Den Moderator zum Prügelknaben zu machen, der gewiss grandios scheiterte, ist zu simpel. Nach zig erfolglosen Interventionen hätte Chris Wallace nur noch zur Extrem-Lösung greifen können: Trumps Mikrofon abstellen. Aufstehen. Und den Saal verlassen. Dass Donald Trump es insgeheim darauf anlegte, ist sogar nicht unwahrscheinlich.

Der Präsident hasst Formate, wo ihm kritische Fragen gestellt werden, die er als Majestätsbeleidigung empfindet.

Trump lockt eine Nazi-Schlägertruppe

Der Präsident wandelt mit dieser Bulldozer-Attitüde auf schmalem Grad. Die Gruppe der unentschlossenen Wähler, und nur auf sie kommt es an, ist vor der Wahl im November deutlich kleiner als in den Vorjahren. Trump-Fans und Trump-Verächter werden mit den verbleibenden zwei Debatten nicht mehr nennenswert mobilisiert. Unabhängige könnten sich aber von der Abrissbirne auf zwei Beinen endgültig abwenden.

Wer den wilden Ritt vom Dienstagabend noch mal in Zeitlupe studiert, stellt bei Trump tiefe Resignation darüber fest, dass über die Hälfte der Amerikaner ihn in die Wüste wünscht. Hat er die Wahl schon verloren gegeben? Plant er den großen Knall?

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Anders ist kaum mehr zu erklären, dass er vor einem Millionen-Publikum erneut bekräftigt, was eines Demokraten unwürdig ist: Er droht nicht nur mit der Nicht-Anerkennung des Wahlergebnisses. Er spielt auch mit dem Gedanken an eine gewalttätige Bekämpfung eines Resultats, das nicht ihn als Sieger ausweisen sollte.

Trumps Lockrufe an die neonazistischen Schlägertruppe der „Proud Boys”, sich um den Wahltag herum „bereitzuhalten”, ist das Schäbigste, was seit langer Zeit aus dem Mund eines amerikanischen Präsidenten gekommen ist.

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