Washington/Cleveland. Lügen, Beleidigungen und ein Moderator, der verzweifelt. Trump offenbarte im TV-Duell gegen Biden „neue Maßstäbe der Zerstörungswut”.
- Donald Trump und Joe Biden standen sich im ersten von drei TV-Duellen gegenüber
- Doch anstatt Inhalten bekamen die Zuschauer vor allem Streitereien zu hören und sehen
- Fast von der ersten Minute an fiel Amtsinhaber Trump seinem Kontrahenten ins Wort, ließ keinen Redefluss zu
Die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Joe Biden haben in Cleveland unrühmliche Geschichte geschrieben. Ihre Fernseh-Debatte geriet zum Desaster. Vor allem, weil der Amtsinhaber auf Krawall gebürstet war.
Viele Amerikaner reagierten entsetzt. Die nächsten TV-Duelle am 15. und 22. Oktober könnten mit Missachtung gestraft werden. Was waren die wichtigsten Momente des Abends?
Trump gegen Biden: Die wüstesten Attacken …
… kamen von Donald Trump. Als Joe Biden dessen Umgang mit der Corona-Pandemie aufs Korn nahm und über den Präsidenten sagte, dass „noch viel mehr Leute sterben werden, sofern er nicht sehr schnell sehr viel smarter wird“, schoss Trump zurück: „Verwende mir gegenüber nie wieder das Wort ,smart’. Nichts an Dir ist smart.”
Die brachialsten Konter ...
… des Demokraten kamen mit fortschreitender Dauer. Zu Beginn quittierte der Biden die Störmanöver des Amtsinhabers mit Kopfschütteln, Augenrollen und seinem bekannten Haifischlächeln. Als Trump weiter aufdrehte, beteiligte sich der 77-Jährige an der Schlammschlacht.
Sätze wie „Halt den Mund, Mann” oder „Es ist schwer, bei diesem Clown zum Punkt zu kommen” oder „Alle wissen, dass er ein Lügner ist” oder „Du bist der furchtbarste Präsident in der Geschichte Amerikas” verrieten nicht sonderlich viel Souveränität. Biden nannte Trump auch das „Schoßhündchen” von Russlands Präsident Wladimir Putin.
Die größten Lügen ...
… kamen wie erwartet von Donald Trump, der seit Amtsantritt nachweisbar dokumentiert über 20.000 Mal die Unwahrheit gesagt hat. So warf er Biden vor, in der weiter wütenden Coronavirus-Krise Amerika erneut komplett abriegeln („shutdown”) zu wollen. „Ich will das Land offen halten”. Biden hat nie davon gesprochen, lediglich mehr Konsequenz bei der Bekämpfung regional aufflammender Infektionsherde angemahnt.
Trump nahm zudem für sich in Anspruch, Ausschreitungen bei Demonstrationen in der Westküsten-Stadt Seattle präventiv durch die mit der Stadtspitze abgesprochene Androhung abgewendet zu haben, die Nationalgarde in Marsch zu setzen. Seattles Bürgermeisterin Jenny Durkan erklärte: „Frei erfunden. Das Gespräch hat nie stattgefunden.” Lesen Sie hier: „Proud Boys“: An diese rechte Gruppe appelliert Donald Trump
Trump sagte, die Arzneimittelpreise würden in seiner zweiten Amtszeit um „80 oder 90 Prozent sinken” und damit so billig wie Wasser. Tatsache ist, dass die Preise für Pillen und Spritzen in den bald vier Jahren seiner Präsidentschaft um rund 3,5 Prozent gestiegen sind.
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Die schönste Nebenwirkung …
… hatte das Biden-Lager zu vermelden, das in ersten Blitzumfragen mit deutlichem Abstand als Sieger des Abends ausgerufen wurde. Sympathisanten belohnten das zwischen Beißen und Streicheln oszillierende Auftreten Bidens mit einem Rekord. Binnen einer Stunde kamen am Dienstagabend rund vier Millionen Dollar Wahlkampfspenden auf das Konto des Demokraten.
Der größte Unterschied zwischen Trump und Biden …
… war der Umgang mit der Fernseh-Kamera – sprich: mit den Wählern, um die es eigentlich hätte gehen sollen. Während Trump, der sich als Moderator, Zwischenrufer, Fragensteller und Notenverteiler in einer Person gefiel, fast durchgängig auf Biden und Moderator Wallace einredete, wandte sich der demokratische Kandidat immer wieder mit klarem Blick an die Menschen an den Bildschirmen. „Es geht um euch!”. Erste Befragungen ergaben, dass dies honoriert wurde.
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Der erinnerungswürdigste Satz zur Coronavirus-Krise …
… kam von Joe Biden, der Trump vorwarf, persönlich für den Tod Zigtausender Menschen verantwortlich zu sein, weil Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu spät und Hilfsmaßnahmen zu schleppend umgesetzt worden seien. „Er macht sich einfach keine Sorgen um euch”, wandte sich Biden direkt an die Zuschauer daheim an den Fernseh-Apparaten und fragte: „Wie viele von Ihnen sind heute Morgen aufgestanden und fanden in der Küche einen leeren Stuhl vor, weil jemand an Corona gestorben ist?”
Die hilflosesten Worte …
… kamen von Moderator Chris Wallace. Der Routinier von Fox News, der vor vier Jahren Trump und Hillary Clinton sauber in den Griff bekam und im Sommer Trump in einem preisverdächtigen Interview mächtig ins Schwitzen brachte, wirkte über 90 Minuten wie der überforderte Lehrer einer Untertertia voller Rabauken, die auch mit Einträgen ins Klassenbuch nicht zu beeindrucken sind.
Immer wieder fuhr er Trump in die Parade, bat darum, seinen Widersacher Biden doch endlich ausreden zu lassen – ohne Erfolg. „Lassen Sie uns doch versuchen, wenigstens darüber ernsthaft zu reden”, flehte Wallace die Kombattanten an. An anderer Stelle sagte er: „Ich bin der Moderator der Debatte, und ich möchte, dass Sie mir erlauben, meine Frage zu stellen”. Trump lächelte geringschätzig. Wallace’ Kollege Jack Tapper von CNN bilanzierte die Debatte so: „Das war Chaos in einem brennenden Müllcontainer in einem Zugunglück.”
Die klarste Kante …
… zeigte Donald Trump, als die umstrittene Neubesetzung des strategisch wichtigen Postens am Obersten Gerichtshof nach dem Tod der linksliberalen Ikone Ruth Bader Ginsburg durch die erzkonservative Katholikin Amy Coney Barrett Thema wurde.
Alle Einwände Bidens, dass die Personalie erst im Lichte des Wahlergebnisses vom 3. November entschieden werden dürfe, bürstete Trump mit purer Machtlogik ab: „Wir haben die Wahl gewonnen und deswegen haben wir das Recht, sie auszuwählen“, erklärte der Präsident. Schließlich sei er für vier und nicht drei Jahre gewählt worden. Was als Androhung verstanden wurde, dass Trump auch im Falle einer Niederlage bis zur Amtseinführung seines Nachfolgers am 20. Januar weitere präsidiale Entscheidungen zu treffen gedenkt.
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Die größte, kleinste Überraschung …
… lieferte Donald Trump, der seit vier Jahren beständig auf der Gegengeraden all derer ist, die den Klimawandel im Kern für menschengemacht halten. Als Trump gefragt wurde, ob Menschen durch Umweltverschmutzung und Treibhausgas-Ausstoß zur steigenden Erderwärmung einen Beitrag leisteten, sagte er zum allerersten Mal vor laufender Kamera: „… in einem gewissen Ausmaß: ja.”
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Der würdeloseste Moment …
… ging auf Trumps Konto. Joe Biden sprach emotional über seinen 2015 an einem Hirntumor gestorbenen Sohn Beau, der als Soldat im Irak Dienst tat. Biden verband die Militärzeit seines Sprösslings mit Trump abfälligen Bemerkungen über gefallene US-Soldaten in den beiden Weltkriegen und betonte empört: „Mein Sohn war kein Verlierer.”
Anstatt die Situation aufzufangen und ein kurzes Wort der Anteilnahme auszudrücken, wechselte Trump abrupt den Schauplatz und denunzierte Bidens zweiten Sohn. Hunter Biden sei korrupt, weil er in der Ukraine und in China Millionengeschäfte gemacht habe, während sein Vater Vize-Präsident unter Barack Obama war. Im Detail zitierte Trump einen in der Sache unbewiesenen Bericht republikanischer Senatoren, wonach eine Moskauer Milliardärin Hunter Bidens Firma 3,5 Millionen Dollar gezahlt habe.
Der wirkungsvollste Satz …
… kam von Joe Biden. Er erinnerte an eine historische Frage, die Ronald Reagan 1979 bei einer TV-Debatte an das Publikum gerichtet hatte: „Geht es Ihnen heute besser als vor vier Jahren?”. Für Biden ist die Antwort im Herbst 2020 klar: „Unter Donald Trump sind die USA schwächer, kränker, ärmer, zerstrittener und gewalttätiger geworden”.
Der Satz, der Joe Biden leidtun könnte …
… hatte einen royal klingenden Unterton. Weil Trump ihn regelmäßig als Marionette der Parteilinken diskreditiert, fühlte sich Biden zu einer Replik in Basta-Manier veranlasst. Im Falle eines Sieges werde er die Programmatik und damit die Reichweite der politischen Projekte bestimmen. „Ich bin jetzt die Demokratische Partei”, sagte Biden wörtlich. Wissend, dass auf dem linken Flügel um die Ikonen Bernie Sanders (sehr alt) und Alexandria Ocasio-Cortez (noch sehr jung) sehr viele überzeugt sind, dass der stets moderat und anschlussfähig in alle Richtungen agierende Biden allenfalls ein Mann des Übergangs ist und Amerika gerade bei den Themen soziale Gerechtigkeit und Umwelt radikale Lösungen benötige. Bidens vollmundige Erklärung könnte bei demokratischen Wählern als Anti-Mobilisierungseffekt vor dem 3. November wirken.
Die treffendste Einordnung …
… der ganzen Misere kam vom bekannten Washingtoner Journalisten-Urgestein Mike Allen: „Diese Debatte war so wie das ganze Land: Alle reden. Niemand hört zu. Nichts wird gelernt. Es ist ein Schlamassel.”
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