Dortmund. Bei der Dortmunder Kommunalwahl im August hat es Unregelmäßigkeiten gegeben, die womöglich auch das Ergebnis verfälscht haben. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten, das am Mittwochnachtmittag veröffentlicht wurde. Der Gutachter empfiehlt dem Rat, die Wahl für ungültig zu erklären.

Ein Rechtsgutachten des Münsteraner Fachanwalts für Verwaltungsrecht, Prof. Dr. Martin Beckmann, nennt die Einsüruche der Bezirksregierung Arnsberg gegen die Kommunalwahl in Dortmund vom August "zulässig und begründet". Auch 350 Bürger hatten gegen das Ergebnis Einspruch eingelegt, weil die SPD das enorme Haushaltsloch erst am Tag nach der Wahl "gebeichtet" hatte.

Die Empfehlung des Juristen: Wahlprüfungsausschuss und Rat sollten die die Wahl von Oberbürgermeister, Rat und Bezirksvertretungen für ungültig erklären und entsprechende Wiederholungswahlen anordnen.

In der vergangenen Woche war bereits ein von der SPD in Auftrag gegebenes Gutachten vorgestellt worden, in dem die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik der Stadt bescheinigt hatte, die Wahl sei korrekt abgelaufen: "Die am 30. August 2009 durchgeführten Kommunalwahlen in der Stadt Dortmund sind rechtlich nicht zu beanstanden", hieß es darin.

Am 9. Dezember berät der Wahlprüfungsausschuss, ob er dem Rat eine Wahlwiederholung vorschlägt.

Hier das Gutachten in Auszügen:

Empfehlung: [...] Wir empfehlen deshalb dem Wahlprüfungsausschuss und dem Rat der Stadt Dortmund, die vorgenannten Unregelmäßigkeiten förmlich festzustellen, die Wahl des Oberbürgermeisters, des Rates und der Bezirksvertretungen für ungültig zu erklären und entsprechende Wiederholungswahlen anzuordnen.

I. Die Einsprüche der Bezirksregierung Arnsberg sind zulässig und begründet. Bei der Vorbereitung der Wahlen ist es zu Unregelmäßigkeiten gekommen, die auf die Wahlergebnisse von entscheidendem Einfluss gewesen sein können.

IX. Selbst wenn die von der Bezirksregierung Arnsberg gerügten Aussagen des Oberbürgermeister bei isolierter Betrachtung nicht widerlegt werden können, geben die Berichte des damaligen Oberbürgermeisters kein realistisches Bild von der tatsächlichen Haushaltslage. Sie täuschen über die tatsächlich bereits erkannten erheblichen Abweichungen von der Haushaltsplanung und vermitteln den falschen Eindruck, die Haushaltssituation sei insgesamt noch unauffällig.

XIX. Der damalige Oberbürgermeister hat auch seine Unterrichtungspflichten gegenüber dem Rat aus §§ 62 Abs. 4, 55 Abs. 1 GO NW und gegenüber einzelnen Ratsmitgliedern aus § 43 Abs. 1 GO NW verletzt. Der prognostizierte erhebliche Fehlbetrag und die Abweichungen vom Haushaltsplan stellen eine wichtige Gemeindeangelegenheit im Sinne dieser Vorschriften dar. Zwar verlangen die Normen nicht ausdrücklich die unverzügliche Unterrichtung, auch insoweit ist der Oberbürgermeister aber nicht berechtigt, die Unterrichtung schuldhaft zu verzögern. [...]

XXIII. Die von der Bezirksregierung Arnsberg angeführten Argumente, mit denen die Ergebnisrelevanz der Unregelmäßigkeiten belegt werden soll, überzeugen nicht. Soweit auf die Bedeutung des Wahlergebnisses abgestellt wird, ist zu berücksichtigen, dass das Wahlergebnis nicht derart knapp ausgefallen ist, dass nur wenige Stimmen die Mehrheitsverhältnisse hätten verändern können. [...]

XXIV. Stattdessen ist zu prüfen, ob bei ordnungsgemäßer und rechtzeitiger Unterrichtung des Rates und der Öffentlichkeit über die Haushaltssituation nach den Umständen des Einzelfalls und nach der allgemeinen Lebenserfahrung die konkrete und nicht ganz fernliegende Möglichkeit besteht, dass die Unregelmäßigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluss gewesen sein könnte. Dabei muss außer Acht bleiben, welche Vorwürfe im Nachhinein wegen des festgestellten – vermeintlichen – Wahlfehlers erhoben wurden und welche Maßnahmen zur Sicherung des Haushalts ergriffen wurden. Dass sich die später geführte öffentliche Diskussion negativ auf eine nachfolgende Wahl hätte auswirken können, bedeutet nicht, dass die Wähler auch bei ordnungsgemäßer Information im Vorfeld der Wahl eine andere Wahlentscheidung getroffen hätten.

XXVI. Es besteht die reale Möglichkeit, dass sich die unzureichende bzw. falsche Unterrichtung des Rates, seiner Ausschüsse und der Öffentlichkeit auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben könnte. Der Zustand des kommunalen Haushalts ist ein zentrales Thema der Kommunalwahl. Wären die sich abzeichnenden Fehlbeträge nicht verschwiegen worden, hätte eine viel konkretere öffentliche Diskussion über die notwendigen Sparmaßnahmen und die Erforderlichkeit einer Nachtragssatzung einsetzen können, die geeignet gewesen wäre, die Wahlentscheidung zu beeinflussen. Es ist nicht fernliegend, dass Wähler die Verantwortung für die schwierige Haushaltslage dem bisherigen Oberbürgermeister und seiner Partei angelastet hätten.

XXXI. Wegen der Unregelmäßigkeiten im Vorfeld der Wahl des Oberbürgermeisters, des Rates und der Bezirksvertretungen der Stadt Dortmund im Sinne des § 40 Abs. 1 b) KWahlG haben der Wahlprüfungsausschuss und der Rat der Stadt Dortmund die Unregelmäßigkeiten förmlich festzustellen, die Wahlen für ungültig zu erklären und Wiederholungswahlen anzuordnen.

SPD-Ratsfraktion überrascht

In einer ersten Stellungnahme zeigte sich Dortmunds SPD-Ratsfraktion sehr erstaunt über das Rechtsgutachten zur Gültigkeit der Kommunalwahlen. Anders als der von der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik beauftragte Gutachter Prof. Dr. Frank Bätge komme Prof. Beckmann zu dem Ergebnis, die Oberbürgermeister-, Rats- und Bezirksvertretungswahlen in Dortmund seien zu wiederholen.

Olaf Radtke, Sprecher der SPD-Fraktion im Wahlprüfungsausschuss und selber Verwaltungsjurist: „Dass zwei hochkarätige Verwaltungsrechtler zu derart gegensätzlichen Ergebnissen kommen, ist schon sehr überraschend. Wir werden uns jetzt die nötige Zeit nehmen, die einzelnen Argumente zu bewerten und dann Anfang nächster Woche unsere juristische Position darlegen. Ein Gutachten, dessen Erstellung mehrere Wochen in Anspruch genommen hat, kann nicht seriös innerhalb von einer Stunde bewertet werden.“