München. Ein brutaler Überzeugungstäter beim Massenmord in Sobibor ist der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft gewesen. Er habe im Vernichtungslager "bereitwillig an der Ermordung von mindestens 27.900" Juden mitgewirkt.

Der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk ist nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft ein brutaler Überzeugungstäter beim Massenmord in Sobibor gewesen. Als bewaffneter Wachmann in dem Vernichtungslager habe er 1943 «bereitwillig an der Ermordung von mindestens 27.900» Juden mitgewirkt, sagte Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz am Dienstag bei der Verlesung der Anklage im Schwurgericht München. Demjanjuk habe diese Menschen «gefühllos und unbarmherzig» in die Gaskammern getrieben, «weil er selbst deren Tötung aus rasseideologischen Gründen wollte».

Der 89-jährige Angeklagte lag wie schon am ersten Prozesstag mit geschlossenen Augen auf einer Trage und schwieg. Auch als Holocaust-Überlebende dem Gericht teilweise unter Tränen schilderten, wie ihre Eltern und Geschwister zu den Transporten nach Sobibor abgeholt wurden, zeigte er keine Reaktion.

Erschütternde Zeugenaussagen

Der 70-jährige Rudolf Salomon Cortissos brach schluchzend im Zeugenstuhl zusammen, als er einen Brief seiner Mutter vorlegte, den sie kurz nach der Abfahrt ihres Transports vom holländischen Westerbork nach Sobibor noch aus dem Waggon geworfen hatte. «Ich verspreche dir, ich werde tapfer sein und überleben», schrieb sie an ihren Sohn. Sie wurde drei Tage später in Sobibor, «die übrige Familie in Auschwitz vergast», sagte Cortissos. Der 78-jährige David van Huiden berichtete, seine Eltern und seine 18-jährige Schwester Josefine seien abgeholt und am 2. Juli 1943 in Sobibor vergast worden - das sei sein 12. Geburtstag gewesen.

"Routinemäßiger Vernichtsvorgang"

Laut Anklage ließ sich Demjanjuk als sowjetischer Kriegsgefangener von der SS anwerben und im Lager Trawniki zum Wachmann ausbilden. Am 27. März 1943 sei er zum Einsatz nach Sobibor abkommmandiert worden. «Jeder Angehörige des Stammpersonals war an dem routinemäßigen Vernichtungsvorgang beteiligt», sagte Lutz.

Die ankommenden Juden seien «mit lautem Schreien, Schlagen und auch Schüssen» und «aller Gewalt aus dem Zug auf die Rampe» getrieben worden. Unter fortwährenden Misshandlungen und in äußerster Eile mussten sie sich ausziehen, bevor sie von den Trawniki-Männern zu den angeblichen Duschräumen getrieben wurden. Demjanjuk sei mit einem Gewehr bewaffnet gewesen und bedrohlich aufgetreten, um Gegenwehr von vornherein zu unterdrücken.

«Etwa 80 Personen wurden jeweils in eine Gaskammer gedrängt, die vier mal vier Meter groß war.» Dann wurden Motorabgase in die insgesamt sechs Kammern geleitet. «Die einsetzende Panik unter den Eingeschlossenen äußerte sich für die draußen wartenden Trawniki-Männer durch Schreien, lautes Weinen und Klopfen. Die eingesperrten Menschen versuchten verzweifelt, von innen die Türen zu öffnen.» In einem halbstündiger Todeskampf seien sie qualvoll erstickt. Demjanjuk habe geholfen, «aus niedrigen Beweggründen, grausam und heimtückisch Menschen zu töten». Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft.

Kein Mitleid

Der Sobibor-Überlebende Thomas Blatt Einige sagte, einige sähen in Demjanjuk einen alten, kranken Mann. «Ich sehe auch einen Mann, der die Juden in die Gaskammern gebracht hat. Deshalb tut er mir nicht leid», sagte der 82-Jährige.

Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch beantragte am Dienstag die sofortige Einstellung des Verfahrens, nachdem er schon am Montag alle Richter und Staatsanwälte wegen Befangenheit abgelehnt hatte. Die deutsche Justiz sei nicht zuständig, der Prozess sei rechtsstaatswidrigwidrig, sagte Busch. Das Gericht will später über die Anträge entscheiden. (ap)