Kiel. Unterschiedlicher als Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und sein Herausforderer Ralf Stegner können zwei Menschen kaum sein. Carstensen, der Landesvater. Stegner, der Technokrat. Im Wahlkampf versuchen beide auch ihre vermeintlich schwächeren Seiten zu betonen.
Er war einer der Köpfe und zugleich ein Quertreiber der großen Koalition, die bis zu ihrer vorzeitigen Auflösung im Juli Schleswig-Holstein regierte. Der SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in eineinhalb Wochen, Ralf Stegner, ist einer, der selten ein Blatt vor den Mund nimmt und wie bei seinem Hobby Skat auch in der Politik gern den Gegner reizt. Der streitbare Fliegenträger mit einem Ruf als «roter Rambo» präsentiert sich als Alternative zum klassischen Landesvater, dem populären CDU-Amtsinhaber Peter Harry Carstensen. Zugleich versucht er, es im Wahlkampf bei aller politischer Profilierung auch ein wenig menscheln zu lassen.
Die Ehefrau hilft bei der Image-Korrektur
Sein Rambo-Image ärgere ihn manchmal, da es verkürzt und oberflächlich sei und «nicht immer so sympathisch», sagte der 49-Jährige jüngst im NDR. Eine Reputation als «Weichei» fände er zwar «wahrscheinlich noch schlimmer». Zeigen wolle er nun aber den Ralf Stegner, der nicht so verkniffen und ernst wirke, sondern «der gerne lacht und ein humorvoller Mensch ist». Bislang habe er schon mal das Lächeln vergessen, wenn er jemandem konzentriert zuhöre, aber «das kann man ja ein bisschen üben». Zudem sollen gemeinsame Wahlkampfauftritte mit Ehefrau Sibylle bei der Imagekorrektur helfen. Da lässt der auch mal die Fliege weg und leger den obersten Hemdknopf offen.
Derartige Nachhilfe in Sachen Bürgernähe hat Amtsinhaber Carstensen nicht nötig. «Seine Stärke ist seine Nähe.» So wirbt die CDU in Schleswig-Holstein für ihren Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl am übernächsten Sonntag. In der Tat ist Ministerpräsident Peter Harry Carstensen bei den Bürgern beliebt, der 62-Jährige gilt als «König der Volksfeste». Selbst Stegner bezeichnete den CDU-Landeschef trotz des Koalitionsbruchs jüngst als «freundlichen Menschen». Da Nettigkeit allein - zumal in Zeiten der Wirtschaftskrise - aber nicht genügt, versucht Carstensen nun im Wahlkampf angesichts von Schuldenberg und Landesbank-Debakel auch wirtschaftspolitische Kompetenz zu demonstrieren.
Die Wirtschaftskrise bewältigen, Arbeitsplätze sichern, den Haushalt konsolidieren, so umschreibt Carstensen seine Hauptziele für eine zweite Amtsperiode. Stegner mag ihm mangelnde Zukunftsvisionen für Schleswig-Holstein vorwerfen - Carstensen kündigt an, er wolle das Land zwischen Nord- und Ostsee «klug aus der Krise führen». Dafür strebt er eine «Koalition der Vernunft» mit der FDP an, seinem «bevorzugten Partner». Der studierte Agraringenieur sieht aber auch Schnittmengen mit den Grünen, etwa in puncto Haushaltskonsolidierung. Sein «sehr gutes» Verhältnis zu deren Landeschef Robert Habeck erwähnt er gern. Und auch mit dem Südschleswigschen Wählerverband, der Vertretung der dänischen Minderheit und der Friesen, lasse sich immer reden.
Die Opposition spricht von "Krawall-Koalition"
Einzig eine große Koalition, zumal mit Stegner an der SPD-Spitze, schließt Carstensen kategorisch aus: «Dieses Problem kann ich mir nicht wieder in die Regierung holen." Die Große Koalition hatte die Nord-CDU 2005 nach 17 Jahren Opposition wieder an die Regierung gebracht, nachdem die Wiederwahl seiner SPD-Vorgängerin Heide Simonis wegen eines Abweichlers in deren eigenen Reihen spektakulär gescheitert war. Die Sozialdemokraten fanden sich als Juniorpartner in einem schwarz-roten Bündnis wieder.
Die "Krawall-Koalition", so nannte die Opposition das Bündnis der ungleichen Partner, hielt länger, als viele erwartet hatten. Trotz teils scharfzüngiger Angriffe durch Stegner hielt der gemütlich wirkende und harmoniebedürftige Carstensen lange an dem Bündnis fest. Manchem Parteifreund galt der Bauchpolitiker da wohl als etwas zu weich. Den Koalitionsbruch im Juli jedoch zog er durch, vom Antrag auf Landtagsauflösung über das Stellen der Vertrauensfrage bis hin zum anschließenden Rauswurf der SPD-Minister. Carstensen sei von der eigenen Partei getrieben worden, vermutete die geschasste stellvertretende Ministerpräsidentin Ute Erdsiek-Rave.
Bei den Bürgern kommt Carstensen besser an
Stegner gehen allerdings langsam die Bündnispartner aus. Für Rot-Grün wird es nicht reichen, die CDU will nicht und auch die FDP ist nicht begeistert. Mit FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki verbindet mit Stegner eine herzliche Abneigung. Im Juli, in der Plenardebatte um eine vorzeitige Landtagsauflösung, nannte der Liberale seinen sozialdemokratischen Kollegen einen «selbstgefälligen Naseweis». Kubicki schließt eine Koalition mit der SPD unter Stegner ebenfalls aus.
In Umfragewerten ausgedrückt liegt Carstensen vorn. 26 Prozent der Wahlberechtigten sind laut Infratest dimap mit Stegners politischer Arbeit zufrieden. CDU-Ministerpräsident Carstensen schneidet mit 43 Prozent deutlich besser ab - ebenso wie zum Beispiel in puncto öffentliche Darstellung, Führungsstärke oder Glaubwürdigkeit. Lediglich 18 Prozent der Wahlberechtigten geben an, der gebürtige Pfälzer Stegner passe besser zu Schleswig-Holstein als der Friese Carstensen.
Stegner promovierte über "Theatralische Politik"
Dabei liegt dem Fußball- und Krimifan Stegner nach eigenem Bekunden die direkte Art der Norddeutschen ohne «oberflächliches Dauergrinsen» und Smalltalk: «Das passt zu mir.» Zur direkten Art des Harvard-Absolventen gehört es allerdings, dass er in der politischen Auseinandersetzung den Streit sucht und polarisiert. In der großen Koalition hinterfragte er öffentlich durchaus auch gemeinsame Beschlüsse und versuchte seine Partei auch auf Kosten des Bündnispartners zu profilieren. 2008 musste er schließlich auf Druck der CDU das Amt des Innenministers aufgeben und an die SPD-Fraktionsspitze wechseln.
Dass den Vater dreier Söhne jedoch so leicht nichts aus der Bahn wirft, ist bekannt. Nach dem Studium als Stipendiat unter anderem der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung stieg Stegner 1990 direkt in die Kieler Ministerialbürokratie ein, als Pressereferent des damaligen SPD-Sozialministers Günther Jansen. Nebenher promovierte Stegner über «Theatralische Politik». Auf der Karriereleiter ging es bald weiter nach oben. Ab 1996 war er Staatssekretär zunächst im Sozial-, ab 1998 dann im Bildungsministerium. Unter SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis wurde Stegner 2003 Finanzminister.
Die Affäre um die HSH Nordbank ist das zentrale Wahlkampfthema
Vorwürfe, in dieser Funktion habe er als Mitglied der Aufsichtsgremien der heute angeschlagenen HSH Nordbank riskanten Geschäften zugestimmt, lässt der 49-Jährige im Wahlkampf an sich abperlen. Er habe sich nichts vorzuwerfen, außer dass er wie viele andere die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht vorhergesehen habe. Anders der Koalitionspartner: Die CDU wolle mit dem Vorziehen des Urnengangs um zehn Monate auf den Termin der Bundestagswahl unter anderem von ihrem «katastrophalen» Umgang mit der Krise der HSH Nordbank ablenken, verkündet die SPD im Wahlkampf. Zudem wirft sie Carstensen vor, die Unwahrheit behauptet zu haben. Es geht um einen Brief, in dem er das Einverständnis der Fraktionsspitzen zu einer Sonderzahlung für HSH-Chef Dirk Jens Nonnenmacher bejahte, obwohl bei der SPD lediglich Innenminister Lothar Hay sein Einvernehmen gegeben hatte. Carstensen räumte später ein, er sei über die Formulierung «ein bisschen flott hinweggegangen». Das sei aber kein böser Wille gewesen.
Carstensen, der vor seinem Amtsantritt als Ministerpräsident bereits 22 Jahre lang Abgeordneter im Bundestag war, will nach einer Wiederwahl beizeiten einen Nachfolger ans Ruder lassen. Als Kronprinz des 62-Jährigen wird unter anderem Umweltminister Christian von Boetticher gehandelt. Carstensen lässt aber den Zeitpunkt seines Abschieds vorerst offen.