Essen. Zu schmusig, zu viele Kompromisse zu wenig klare Kante. So meckern viele Bürger über die Große Koalition. Doch genau das erwartet die Republik auch nach der Bundestagswahl – egal, wer nach dem 27. September regiert.

Durchregieren – das wollte Angela Merkel schon einmal. Vor der Wahl 2005 kündigte es die damalige Oppositionschefin jedenfalls vollmundig an. Im Gefühl des sicheren Sieges zusammen mit der FDP wollte Merkel seinerzeit auf einen strammen konservativ-wirtschaftsfreundlichen Kurs einschwenken – und fand sich bald darauf in einer Koalition mit den Sozialdemokraten wieder. Durchregieren war nicht, stattdessen Kompromisse ohne Ende.

Wohlig eingerichtet

Aber: SPD und CDU richteten sich vier Jahren lang wohlig ein in der Großen Koalition. Wie wohlig, das konnte man erst kürzlich beim TV-„Duell“ der beiden Protagonisten Merkel und Frank-Walter Steinmeier besichtigen. Kritiker ätzten, es sei mehr ein Selbstgespräch denn ein Duell gewesen, was die Kanzlerin und ihr Vize da vor Millionen von Fernsehzuschauern ablieferten.

Längst gehört es zum guten Ton (auch in vielen Medien), auf die Große Koalition zu schimpfen, die schwarz-rote „Konsens-Soße“ zu schmähen; den allzu freundlichen Umgang zwischen Sozial- und Christdemokraten; die faulen Kompromisse; und vor allem die fehlende Konfrontation bei den großen Themen.

Kleinster gemeinsamer Nenner

Es müssten wieder klare Verhältnisse her, heißt es nun. Hier eine starke Regierung mit klarer politischer Ausrichtung statt permanenter Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner; auf der anderen Seite eine starke Opposition, das klare Gegenmodell zur Politik der Regierung.

Dumm nur: Solch eine Konstellation ist nicht in Sicht.

Selbst wenn Merkels alter Traum von 2005 – eine Mehrheit für Schwarz-Gelb im Bundestag – diesmal Realität werden sollte, wird die Parole vom Durchregieren ein weiteres Mal nicht umzusetzen sein. Denn eine Koalition aus Union und FDP wird ohne Mehrheit im Bundesrat dastehen. Die Niederlage der CDU-Alleinregierungen in Thüringen und im Saarland vor einigen Wochen sowie die Aussicht, dass in Erfurt und Saarbrücken demnächst rot-rot-grüne Koalitionen das Sagen haben könnten, machen die schwarz-gelbe Mehrheit in der Länderkammer zunichte. Von den Wahlen in Schleswig-Holstein und in Brandenburg, die gleichzeitig mit der Bundestagswahl stattfinden, ist in diesem Punkt keine entscheidende Wende zugunsten von CDU und FDP zu erwarten.

Das hieße: wieder Kompromisse für Merkel. SPD, Grüne und Linkspartei könnten im Bundesrat wichtige Gesetze der bürgerlich-liberalen Regierung bremsen oder gar stoppen. Wie schwer es ist, ohne Mehrheit im Bundesrat Politik zu machen, musste schon Kanzler Gerhard Schröder mit seiner rot-grünen Mannschaft erkennen. 1999, nach einem Jahr an der Macht, verlor Rot-Grün die Mehrheit im Bundesrat – und war fortan arg eingeschränkt in seinen Gestaltungsmöglichkeiten. Das gleiche Schicksal könnte demnächst Schwarz-Gelb erleiden.

Der Schock sitzt tief

Die Folge wäre genau das, was man der Großen Koalition vorwirft: jede Menge Kompromisse. Dazu kommt, dass es ohnehin unwahrscheinlich ist, dass eine künftige Regierung Merkel einen strammen Wirtschaftskurs würde. Zu tief sitzt bei der Kanzlerin und bei vielen in der CDU der Schock von 2005, als die Union auch für ihren wirtschaftsliberalen Kurs abgestraft wurde. Die „Sozialdemokratisierung“ der CDU ist nicht nur ein Schlagwort, sondern in manchen Bereichen eine Tatsache.

Konsens also auch in einer schwarz-gelben Konstellation. Was wäre die Alternative? Die „Ampel“ wurde gerade von der FDP ausgeknipst, ein Rückzieher nach der Wahl scheint ausgeschlossen. „Jamaika“ dürfte für die Grünen tabu sein, die grüne Basis wird kaum damit einverstanden sein, den Steigbügelhalter für CDU und FDP zu spielen. Außerdem: Beide Dreierbündnisse müssten derart viele Kompromisse eingehen, dass von einem klaren Kurs keine Rede sein könnte. Die dritte theoretisch denkbare Dreier-Konstellation, Rot-Rot-Grün, ist – zumindest diesmal – unrealistisch.

Bliebe als letzte Möglichkeit die Neuauflage der Großen Koalition. Angesichts der Alternativen – siehe oben – vielleicht doch nicht das Schlechteste...