Straßburg. Trotz sich häufender Pannen sollen die ältesten Atomkraftwerke Frankreichs noch für mindestens zehn weitere Jahre am Netz bleiben. Damit würde die Laufzeit der Ende der 1970er Jahre gebauten Anlagen auf 40 Jahre verlängert. Atomkraftgegner rufen zu Großdemo am Samstag im Elsass auf.

Während in Deutschland nach dem Wahlsieg von Union und FDP der Streit um die Laufzeiten der Atomkraftwerke an Schärfe gewinnt, sind in Frankreich die Weichen dafür längst gestellt. Mehrere der ältesten Meiler werden derzeit einer intensiven Inspektion unterzogen. Das vom staatlichen Energiekonzern EDF verfolgte Ziel ist jeweils das gleiche: Die Laufzeit der Anlagen, die vor 30 Jahren in Betrieb genommen wurden, sollen um weitere zehn Jahre verlängert werden.

Zahlreiche sicherheitsrelevante Pannen

Begonnen hat im Sommer eine so genannte Zehn-Jahres-Inspektion im Atomkraftwerk Tricastin an der Rhône, in wenigen Tagen soll auch im elsässischen Meiler Fessenheim eine umfangreiche Generalüberprüfung beginnen. Dabei gelten sowohl Fessenheim als auch Tricastin als besonders pannenanfällige Kraftwerke. So waren in dem Atommeiler am Oberrhein bereits bei der letzten Großinspektion 1999 deutliche Zeichen von Materialermüdung festgestellt worden, unter anderem am Reaktorbehälter, dem Herz der Anlage. Seither wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Pannen gemeldet, allein im vergangenen Jahr sieben.

Atomkraftgegner auf beiden Seiten den Rheins, die für Samstag zu einer Großdemonstration im elsässischen Colmar aufgerufen haben, verweisen zudem auf das Erdbebenrisiko am Oberrhein. Zwar hat das französische Amt für Strahlenschutz IRSN bereits vor mehreren Jahren umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Erdbebensicherheit gefordert. Dies stößt bei EDF aber wegen der hohen Kosten auf Widerstand.

Entscheidung erst Ende 2010

Tricastin sorgte im vergangenen Jahr gleich mehrmals für Schlagzeilen. Zunächst liefen im Juli sechs Kubikmeter uranhaltige Flüssigkeit aus und gelangten in die Umwelt. Kurz danach verkeilten sich beim Austausch von Brennelementen zwei der uranhaltigen Behälter und drohten wochenlang, auf die anderen 155 Brennstoffcontainer zu stürzen.

Trotz dieser Pannen stehen die Chancen für EDF gut, für die beiden Atomanlagen eine Betriebserlaubnis für weitere zehn Jahre zu bekommen. Schließlich verkündete die französische Behörde für Atomsicherheit (ASN) kürzlich, sie sehe «kein generelles Problem» in einer Laufzeit von «bis zu vierzig Jahre». Offiziell entschieden werde das aber erst Ende 2010.

Die Atomkraftgegner sind freilich überzeugt, dass der Beschluss für eine Laufzeitverlängerung längst gefallen ist. Im Haushalt von EDF werde schon seit 2003 eine 40-jährige Betriebsdauer der 34 französischen Druckwasserreaktoren mit einer Kapazität von 900 Megawatt zugrunde gelegt, sagt der Sprecher der Anti-Atominitiative Sortir du Nucléaire, Stéphane Lhomme.

Konzern peilt sogar Laufzeiten von 60 Jahren an

Bis 2016 sollen dann die Zehn-Jahres-Inspektionen aller 900-Megawatt-Reaktoren abgeschlossen sein. Mit einem Nein zur Verlängerung auch nur eines Reaktors rechnet bei Sortir du Nucléaire niemand. «Da müssten die ASN-Inspektoren schon etwas ganz Dramatisches finden», sagt Lhomme. Das Netzwerk appelliert an die Inspektoren der Aufsichtsbehörde ASN, sich nicht einschüchtern zu lassen. «Mächtige Leute haben bereits an ihrer Stelle entschieden», heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Schreiben.

EDF erhofft sich von den Laufzeitverlängerungen Einsparungen in Milliardenhöhe. Nicht von ungefähr signalisierte der Konzern bereits, er peile sogar Laufzeiten von 60 Jahren an. Dafür spricht aus Sicht des Stromriesen auch, dass sich der Bau der nächsten Reaktorgeneration als langwieriger und kostspieliger herausstellt als zunächst angenommen. So kann der erste Europäische Druckwasserreaktor (EPR), der derzeit in Flamanville am Ärmelkanal gebaut wird, frühestens 2013 in Betrieb genommen werden, ein Jahr später als geplant. Außerdem wird die Anlage um ein Fünftel teurer als gedacht: Nach jüngsten Berechnungen wird sie statt 3,3 mindestens vier Milliarden Euro kosten. (afp)