Essen. Sie hält eisern an der Hauptschule fest und will Lehrer auch noch verbeamten, wenn sie älter als 35 Jahre sind: Im Interview erklärt NRW-Schulministerin Barbara Sommer, wie sie junge Pädagogen im Land halten will und dass sie sich nicht an ihr Amt klammert.

Frau Sommer, die SPD sagt: Wenn wir regieren, schaffen wir G8 wieder ab. Eltern beschweren sich über den Schulstress ihrer Kinder. Läuft da nicht etwas falsch?

Barbara Sommer: Man kann nicht erwarten, dass so eine Veränderung auf Knopfdruck funktioniert. Jede Lehrkraft, insbesondere an den Gymnasien, hängt an seinem Fach und den Inhalten. Jetzt heißt es auf einmal: weniger Stoff. Da müssen sich viele erst einmal umstellen.

Wäre es nicht gut, die Eltern vor die Wahl zu stellen: acht oder neun Jahre bis zum Abi?

Sommer: Wir bieten die längere Variante in den Gesamtschulen ja an. Aber das sollte genügen. Beim Gymnasium bleiben wir bei acht Jahren. Wir sollten bei einer so zentralen Frage nicht mit Alternativen kokettieren.

In NRW tobt ein Streit um die Lehrerstellen. Fakt ist, dass viele Stellen einfach unbesetzt bleiben. Wie kommt das?

Sommer: Wir haben in einigen Fächern Probleme, weil einfach der Markt nicht genügend Lehrer hergibt. Auf der anderen Seite bieten wir den Schulen zahlreiche Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen. Ein Beispiel: Der mögliche Spielraum bei der Unterrichtsverteilung müsste stärker genutzt werden. Wenn ein Mathelehrer nicht nur 50 Prozent seiner Arbeitszeit für Mathematik einsetzt, sondern 70 Prozent, wäre der komplette Matheunterricht gewährleistet. An den Berufskollegs ginge das nicht so leicht. Dort werden viele Fachlehrer von der Wirtschaft abgeworben. Aber vielleicht gelingt es uns ja, in dieser Krise Leute zu finden, die sagen: Ich wähle einen sicheren Beruf und gehe als Seiteneinsteiger in die Schule.

Sie wollen Krisengewinnlerin sein?

Sommer: Ja, in gewisser Weise. Wir möchten viele Lehrer gewinnen. Seiteneinsteiger bringen mehr Praxis in die Schulen, die ticken einfach anders. Allerdings darf das System nicht kippen. Wir brauchen weiter grundständig ausgebildete Lehrer. Übrigens hat kein Land so viele Lehrer eingestellt wie NRW.

Aber unsere Nachbarländer werben Lehrer aus NRW ab. In Siegen gehen viele junge Lehrer lieber nach Hessen.

Sommer: Stimmt. Vor zwei Jahren hatten wir noch keine Konkurrenz. Inzwischen bieten die Nachbarn den Lehrern tolle Bedingungen. Bei uns gibt es den Beamtenstatus nur bis 35, Hessen verbeamtet bis 49 Jahren. Ich kämpfe für eine deutliche Anhebung der Verbeamtungsgrenze. Das wäre ein Zeichen: Bleibt bei uns!

Viele Eltern beklagen den Unterrichtsausfall. Da steht Englisch auf dem Stundenplan, und in der Klasse sitzt ein Matehmatiklehrer.

Sommer: Auch hier muss man beweglich sein. Nichts spricht zum Beispiel gegen Blockunterricht, wenn ein Fach lange ausgefallen ist. Das kann man später an einem Stück nachholen und so den Ausgleich schaffen. Aber diese Flexibilität vermisse ich manchmal.

Schuld ist also der Direx?

Sommer: Immerhin muss der ein waches Auge darauf haben, dass Qualitätsstandards erreicht werden und die Schule ein besonders Profil entwickelt.

Aha, Sie glauben an die Kraft des Wettbewerbs?

Sommer: Absolut. Und die Demographie wird den noch beflügeln.

Warum?

Sommer: Es wird immer weniger Schüler geben. Keine Schulleitung wird sich zurücklehnen und sagen können: Die Kinder werden schon kommen. Nein, Eltern werden sich die Schule genau aussuchen.

Bis die Demographie durchschlägt, gehen noch ein paar Jahre ins Land. Die Realität ist: in 6300 Klassen gibt es mehr als 30 Schüler.

Sommer: Das ist nur ein Bruchteil von den 113 000 Klassen in unserem Land. Aber die Situation ist natürlich nicht gut. Große Klassen müssen schnell verkleinert werden.

Kleinere Klassen: Das war schon 2005 ein Wahlversprechen der CDU.

Sommer: Es ist ja auch viel geschehen dafür. Wir haben die Zahl der großen Klassen bereits um fast 800 reduziert und planen für die Zukunft noch weitere Schritte. Außerdem ist nicht jede Klasse mit 31 Schülern eine Katastrophe.

Eine Katastrophe ist, dass die meisten Schüler keine Ahnung von Wirtschaft haben. Wir wollen Exportweltmeister sein, aber unsere Kinder kennen keine Ökonomie. Das sagen sämtliche Wirtschaftsverbände.

Sommer: Man muss da was ändern. Wirtschaft müsste authentischer vermittelt werden. Wenn ein Lehrer etwas von Wirtschaft erzählt, ohne je in einem Betrieb gearbeitet zu haben, dann ist das wenig authentisch. Besser wäre es, die Wirtschaft, die Praktiker, in die Schulen zu holen.

Viele Hauptschulen müssen schließen. Ist diese Schulform nicht überflüssig?

Sommer: Nein! Wir bieten den Kindern in unseren Hauptschulen eine frühe Berufsorientierung. Es gibt zum Teil auch Hilfe bei der Lebensplanung: Wie eröffne ich ein Konto? Wie vermeide ich eine Schwangerschaft? In anderen Schulformen würden diese Kinder mit ihren speziellen Bedürfnissen schnell untergehen.

Es gibt einen ironischen Satz, der die Unlogik, die hinter dem Konzept Hauptschule steckt, beschreiben soll: Stecke einen schlechten Schüler zu 30 anderen schlechten Schülern - dann wird er besser.

Sommer: Das sind keine schlechten Schüler, aber sie bedürfen der individuellen Förderung. In Zukunft brauchen wir alle Schüler für unsere Wirtschaft. Daher müssen wir auch alle mitnehmen. In den Hauptschulen mit ihren vergleichsweise kleinen Klassen geht das viel besser.

Könnte es sein, dass die Hauptschule nach der Wahl bei der CDU doch noch auf den Prüfstand kommt?

Sommer: Wir sollten jetzt erst einmal abwarten, bis die von uns eingeleiteten Maßnahmen ihre volle Wirkung entfalten. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Strukturdebatten dann weitgehend erledigt haben. Entscheidend für die Eltern ist doch, dass der Unterricht gut ist und die Schüler möglichst individuell gefördert werden. Wenn unsere Maßnahmen in ein paar Jahren nicht zu den gewünschten Erfolgen führen, muss man neu nachdenken. Eine Gemeinschaftsschule für alle darf es aber nicht geben.

Möchten Sie weiter Ministerin sein?

Sommer: Das muss ein anderer entscheiden. Man sollte sich nicht an ein Amt klammern.

Sie könnten auch ein Landtagsmandat anstreben.

Sommer: Das wurde auch schon an mich herangetragen. Aber ich muss mir das gut überlegen, denn dann müsste ich vielleicht auch Dinge entscheiden, die in mir nicht so besonders angelegt sind. Ich bin durch und durch Schulfrau. Du musst die Dinge auch können, nicht nur wollen. Daher muss ich mir das gründlich überlegen.

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