Berlin . Der Zulauf von Flüchtlingen belastet die Bundespolizei erheblich. Die Gewerkschaft GdP fordert 20.000 Stellen mehr und warnt vor Problemen.
Auf die Bundespolizei kommen im Zuge der Flüchtlingskrise immer mehr Aufgaben zu. Das könnte auf Kosten von Kernaufgaben gehen, dem Schutz von Bahnhöfen zum Beispiel. „Die Bahnhöfe drohen zu Angsträumen zu werden“, sagte Jörg Radek unserer Redaktion, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP).
Es wäre der ganz große Schluck aus der Pulle. 20.000 zusätzliche Stellen im Laufe der nächsten sechs bis sieben Jahre fordert die GdP allein für die Bundespolizei. Unter den Sicherheitsbehörden ist sie das Mädchen für alles.
Bundespolizei müsse wegen Flüchtlingen Bereiche "entblößen"
Es ist ein drastisches Szenario – und doch nur der Zwang der Prioritäten. Je länger sich die Bundespolizei wieder der Sicherung der Grenzen widmet und je stärker sie mit der Flüchtlingsregistrierung gefordert ist, desto mehr müsse sie andere Bereiche „entblößen“, befürchtet Radek. Dabei hat er auch die Bereitschaftspolizei im Blick. Der Gewerkschafter argumentiert in eigener Sache.
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Das Dauerlamento über die Personaldecke nervt Innenminister Thomas de Maizière (CDU): „Wir sind gefordert, nicht überfordert.“ Der Vorsitzende des Innenausschusses, Ansgar Heveling (CDU), hält die Forderung nach mehr Personal für die Polizei auf allen Ebenen und einer besseren Ausstattung gleichwohl für „mehr als berechtigt“. Nur, wie groß der Bedarf im Einzelnen sei, „darüber muss man sich sicher noch unterhalten“.
Forderung nach mehr Personal ist populär
De Maizières Parteifreund ist in guter Gesellschaft. Das rot-grün regierte NRW brüstet sich damit, in diesem Jahr 1920 junge Polizisten einzustellen. „So viele wie nie zuvor“, wie Minister Ralf Jäger (SPD) in Düsseldorf erklären lässt. Auch die Grünen im Bundestag sorgen sich um die Polizei. Am Donnerstag brachten sie eine Initiative für einen Polizeibeauftragten auf den Weg. Das war eigentlich als Konsequenz aus den Pannen in der NSU-Affäre angedacht, bekäme aber nun „höchste Aktualität angesichts der aktuell sehr angespannten Sicherheitslage“, weiß die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic.
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Hevelings Parteifreundin und Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, tritt im Wahlkampf für mehr Polizisten ein; ihr Land habe eine zu geringe Polizeidichte. Es ist eines der wenigen konkret bezifferten Versprechen: 300 Stellen mehr. „Das ist das Mindeste“, beteuert Klöckner. Sie lässt sich nicht durch Tatsachen beirren. Rheinland-Pfalz hat die dritthöchste Aufklärungsquote und ist – gemessen an der Zahl der Delikte pro 100.000 Einwohner – das fünftsicherste Land.
„Bedrohungsgefühl“ weicht von Sicherheitslage ab
Dass die Forderung nach mehr Personal ein Selbstläufer ist, untermauert auch eine Umfrage von Allensbach für die „FAZ“. Demnach haben 69 Prozent der Bürger das Gefühl, dass die Kriminalität zunimmt. Vor zehn Jahren waren es 47 Prozent. Laut Allensbach sind, kein Wunder nach Köln, Frauen „überdurchschnittlich besorgt“. 90 Prozent der Bürger unterstützen die Forderung nach mehr Personal und einer besseren Ausstattung der Polizei – es ist Musik in Radeks Ohren.
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Verkehrte Welt: Die Zahl der Delikte ist in Wahrheit gesunken. Das „Bedrohungsgefühl“ weicht von der Sicherheitslage ab. Trotz steigender Einbruchszahlen und Terrorgefahr sei Deutschland „eines der sichersten Länder der Welt“, beharrt Heveling. Und wer das Personal der Polizei der Länder, die Beamten des Bundeskriminalamts und die über 40.000 Beschäftigten der Bundespolizei addiert, kommt schon heute bundesweit auf mehr als 270.000 Leute bei den Sicherheitsbehörden. Da sind die Verfassungsschützer noch nicht berücksichtigt.
Anforderungen für Polizei sind stetig gewachsen
Der Personalabbau wurde fast überall gestoppt. NRW kommt auf über 40.000 Stellen und 5000 Anwärter für den Polizeidienst. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) versprach, nach Köln 500 Polizisten mehr auf die Straße zu bringen. Auf freiwilliger Basis sollen Beamte, die vor der Pensionierung stehen, ihren Dienst verlängern. Zuletzt hatte der Bundestag 3000 Stellen für die Bundespolizei genehmigt.
Allerdings sind die Anforderungen stetig gewachsen. Absehbar wird die Zahl der Abschiebungen steigen. Für die ist der Bund zwar nicht zuständig, aber er will den Ländern helfen. Allein dafür bräuchte die Bundespolizei 200 zusätzliche Beamte, „damit könnten 4000 zusätzliche Abschiebungen pro Jahr realisiert werden“, rechnet Radek.
Gewerkschaft fordert 700 Millionen Euro an Investitionen
Gerade hat de Maizière die Grenzkontrollen verlängert. Meist schaut man auf die Übergänge von Österreich nach Bayern. Dabei müssten die Hürden für unerlaubte Einreise an allen Schengengrenzen „gleich hoch sein“, erläutert Radek, „auch an den fast 1800 Kilometer Westgrenzen“ – schon wegen der enormen Zunahme Illegaler mit Mehrfachidentitäten und durch Europa wandernder Terroristen. Es geht ihm und seinen Kollegen freilich nicht nur um Stellen, sondern auch darum, die Bundespolizei „zukunftsfähig zu machen“. Auf 14 Seiten listet die GdP Investitionen für einen Modernisierungsschub. Kosten: 700 Millionen Euro.
Der Forderungskatalog liest sich wie eine Mängelliste: 2300 Schutzwesten, 5500 Helme, die Komplettauffüllung der Munitionsbestände „und endlich ein zweites Pistolenmagazin für jeden Beamten“, wie Radek erläutert. „Einige Dienststellen sind nicht nur Dreckslöcher“, sagt er, oft fehlten Sicherheitsschleusen. „Wenn mit der Feuerkraft von Kalaschnikows geschossen wird, hätten wir ein Sicherheitsproblem.“