Berlin. Die Woche des EU-Gipfels kann bitter werden für Bundeskanzlerin Angela Merkel. In der Flüchtlingspolitik steht kaum noch ein Land an ihrer Seite.
Über Angela Merkel sagen Vertraute, sie habe Freude am Lösen von Aufgaben. Die Kanzlerin dürfte in den nächsten Tagen auf ihre Kosten kommen. In dieser Woche wird sich auf einem EU-Gipfel zeigen, wie viele Staaten bereit sind, ihr in der Flüchtlingskrise zu folgen. So viel ist nach dem Wochenende klar: Nicht viele, auch Frankreich nicht. Merkel steht am Abgrund – jeden Tag etwas näher.
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An diesem Montag stimmen Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei über einen Alleingang ab, der eine Absage an Merkels Politik ist. Weder wollen sie sich darauf verlassen, dass die Griechen und Türken ihre Seegrenze besser schützen, noch sich an einem EU-Verteilmechanismus für Flüchtlinge beteiligen. Ihr Plan B? Sie unterstützen Mazedonien dabei, seine Grenze zu Griechenland dicht zu machen. Bleibt sie zu, ist die Balkanroute abgeriegelt. Urheber des Plans ist der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák. Er will es nicht der Türkei überlassen, die Probleme Europas zu lösen. Ebenso wenig ist er bereit, ihr Kontingente an Flüchtlingen abzunehmen. Sie erhöhten die „Anreize für Migration“, sagte er im „Spiegel“. Bereits im Januar hatte Mazedonien zeitweise die Grenze geschlossen. Waren es etwa Probeläufe?
Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat sofort begriffen, was die Planspiele für Folgen hätten. Zusammen mit SPD-Chef Sigmar Gabriel warnt der Außenminister in einem Brief vor „Scheinlösungen“, die die europäische Debatte vergifteten. „Man kann nicht einfach Europas Außengrenzen neu definieren, und das auch nicht über den Kopf betroffener Mitgliedstaaten hinweg“. Der Brief ist adressiert an die sozialdemokratischen Staats- und Regierungschefs – aus gutem Grund, wie sich zeigte.
Schwarzer Peter für Griechenland
Steinmeier beunruhigt, dass die Griechen de facto übergangen und politisch abgeschrieben werden. Die Flüchtlinge würden bei ihnen festsitzen. Die Organisation Pro Asyl ist im Besitz von Dokumenten der EU-Kommission, aus denen hervorgeht, dass sie auf dem Gipfel auf die Wiederaufnahme der „Dublin“-Abschiebungen nach Griechenland drängen will. Die Athener Regierung wäre dreifach gestraft. Sie müsste wie bisher die Gestrandeten aufnehmen, die über das Meer kommen. Allein in den letzten 72 Stunden wurden 2900 Flüchtlinge aus der Ägäis gerettet. In Griechenland würden zusätzlich Tausende abgeschobene Asylbewerber landen. An den Griechen bliebe es, sie in die Türkei zurückzuführen. Wobei sich weder Griechen noch Türken sicher sein können, dass im Gegenzug EU-Staaten ihnen Flüchtlingskontingente abnehmen werden.
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Wie die Osteuropäer wollen sich die Franzosen nicht an einem Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge dauerhaft beteiligen. „Frankreich lehnt dies ab“, sagte Ministerpräsident Manuel Valls auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Sein Land habe zugesagt, 30.000 von 160.000 Personen zu nehmen. „Mehr wird Frankreich nicht nehmen.“ Valls vertritt eine sozialistische Regierung, er ist einer der Adressaten des Briefes von Gabriel und Steinmeier.
Auch die Österreicher dürfen sich angesprochen fühlen. Die Wiener Regierung hat eine Obergrenze definiert – 37.500 Flüchtlinge im Jahr –, die in den nächsten Wochen erreicht sein wird. Danach wollen sie die Neuankömmlinge nicht ins Land lassen, sondern in die Balkanstaaten zurückschicken. Österreich will Mazedonien mit Personal, Technik und auf Wunsch mit Soldaten bei der Grenzsicherung helfen. Wer ist noch an Merkels Seite? Nur Holland, Luxemburg und Schweden?
Regierungserklärung am Mittwoch
Am Dienstag ist Merkel in der Unionsfraktion und muss ihre Strategie verteidigen. Sie will die EU-Außengrenzen sichern; selbst die Nato wird dafür in der Ägäis eingesetzt. Sie will aber auch die Türkei entlasten. Am Mittwoch gibt sie im Bundestag eine Regierungserklärung. Wird die Kanzlerin andeuten, was sie unternimmt, wenn der Gipfel endet? Der CSU hatte sie versprochen, Fazit zu ziehen – frühestens mit Ende des Gipfels am Donnerstag wäre es so weit.
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Eines ist Merkel jetzt schon klar: Deutschland kann der Türkei keine Kontingente abnehmen, solange der Zuzug anhält. „Erst müssen wir sicher sein, dass die illegale Migration gestoppt wird.“ In Wahrheit nimmt sie vor Frühlingsbeginn schon Fahrt auf. Letzten Mittwoch und Donnerstag kamen jeweils fast 2000 Menschen über die Grenze nach Bayern. Das sind für die Verhältnisse im Winter überdurchschnittlich viele und „vielleicht schon ein Anzeichen, dass es wieder mehr werden“, so die Bundespolizei.
Gabriel und Steinmeier warnen vor einem Zerfall der EU
Gabriel und Steinmeier sind überzeugt, die kommenden Wochen würden „entscheidend für den Zusammenhalt Europas sein“. Sie haben in ihrem Brief „zusätzliche“, nicht näher definierte Maßnahmen zur Grenzsicherung angeboten, sofern sie nicht „einseitig gegen einen Mitgliedstaat gerichtet seien“. Die Sorge ist groß, dass Europa zerfällt und die Griechen ihrem Schicksal überlässt. „Stürmische Zeiten“, sinnierte Steinmeier, „ein ganzes Krisengebräu kocht da gegenwärtig hoch.“
Eine positive Folge hat das Druckszenario: Die Griechen, monatelang mit der Bildung von Registrierungszentren in Verzug, beeilen sich. Der zweite von fünf Hotspots sei „fast fertig“ und solle am heutigen Montag auf der Insel Chios in Betrieb gehen. Ein Offizier beteuert: „Das Militär arbeitet Tag und Nacht.“