Wuppertal. Keine “Kanzlerinnen-Dämmerung“ war beim Besuch von Angela Merkel in Wuppertal zu spüren. Aber die Euphorie in der CDU-Basis ist getrübt.
Der Wind hat sich gedreht, die Stimmung in der NRW-CDU ist angespannt. Von der landauf landab beschriebenen „Kanzlerinnen-Dämmerung“ aber ist wenig zu spüren, als Angela Merkel in der historischen Wuppertaler Stadthalle erstmals an der Basis Rechenschaft ablegt über ihren umstrittenen Flüchtlingskurs. Die Partei bleibt diszipliniert, keine Pegida-Töne, kein Aufstand – die „Mutti-Euphorie“ früherer Tage aber ist getrübt. Daran kann auch der freundliche Beifall der 800 Gäste nicht hinwegtäuschen.
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Knapp 30 Minuten verteidigt Merkel ihre Politik der Willkommenskultur, erinnert die wachsende Zahl der Kritiker an das „C“ im Parteinamen. „Wir helfen denen, die Schutzgründe haben", redet Merkel auf die Basis ein. Gleichzeitig schlägt die CDU-Chefin aber andere Töne an: Mehr Abschiebungen, minimalste Leistungen für Ausreisepflichtige, klare Regeln für Flüchtlinge. „Das müssen wir klarmachen. Ich werde das auch selber tun." Merkel fürchtet den Vertrauensverlust in der eigenen Partei. Was für Amtsvorgänger Gerhard Schröder (SPD) die Agenda 2010 war, droht für Merkel die Flüchtlingspolitik zu werden. Mit dem Hinweis, dass es keine Obergrenzen für Asylbewerber geben kann, hat sich die Kanzlerin von Teilen der konservativen Stammwählerschaft entfernt.
"Wie können wir unsere Kultur erhalten bei diesem Islam, der stärker wird?"
„Wir brauchen den Geist der Zuversicht", wirbt Merkel für Unterstützung in schwieriger Zeit. Das Düsseldorfer CDU-Mitglied Florian Hoffmann aber sieht die Rechtsstaatlichkeit in Gefahr, weil die Politik „offene Grenzverletzungen duldet". Eine Dortmunder Kommunalpolitikerin fragt: „Wie können wir unsere Kultur erhalten bei diesem Islam, der immer stärker wird?" Der Christdemokrat Michael Müller berichtet über wachsende Ängste in der Bevölkerung vor jungen männlichen Flüchtlingen. Andere Redner berichten über die großen Sorgen der Bürger wegen der hohen Flüchtlingszahlen. Viele fühlen sich verlassen von der Politik.
Auf der ersten von vier Zukunftskonferenzen diskutiert die CDU über ein modernes Parteiprogramm. CDU-Landeschef Armin Laschet freut sich, dass von den 34 Rebellen, die Merkels „Politik der offenen Grenzen“ öffentlich als Verstoß gegen CDU-Programme gegeißelt haben, keiner aus NRW kam. Es landen mehr Mails in der NRW-Parteizentrale, aber es gibt keine Revolte der 136.000 Mitglieder. „Hier gibt es keine Pegida", betont Laschet. In NRW herrsche ein Klima „wir werden das schaffen". Ein CDU-Mitglied aus Remscheid beklagt, dass CSU-Chef Horst Seehofer in der Flüchtlingsfrage „am rechten Rand fischt".
Merkel erneuert ihr Mantra: "Wir schaffen das"
Am Vorabend bei „Anne Will“ hat eine spürbar verunsicherte Kanzlerin ihr politisches Schicksal mit dem der Flüchtlinge verknüpft. Dass ihre Umfragewerte abstürzen und der Flüchtlingskurs wie eine Frischzellenkur für die verblasste AfD-Partei wirkt, nimmt Merkel in Kauf. In Wuppertal weist die CDU-Chefin aber jede Verantwortung für den starken Flüchtlingsstrom nach Deutschland weit von sich. „Ein Aufnahmestopp ist unmöglich, dann kommen die Menschen illegal über die Grenzen.“ Merkels Ziel: Ein geordneter Zustrom nach Deutschland. Kurzfristige Lösungen hat die Kanzlerin nicht parat. Merkel setzt auf Hilfen der EU und der Türkei.
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Mit seiner Forderung nach einem Einwanderungsgesetz hat Vizeparteichef Armin Laschet als Vorsitzender der Parteikommission für eine moderne Bürgergesellschaft heftige Debatten in der CDU entfacht. „Deutschland ist ein Einwanderungsland“, heißt es im Leitantrag für den CDU-Bundesparteitag im Dezember. Die beiden CDU-Vize Julia Klöckner und Thomas Strobl tragen das mit, halten ihre Kritik an der Lebensweise eines Teils der Flüchtlinge aber öffentlich nicht zurück.
Dass das Flüchtlingsthema andere Themen in Wuppertal überlagert, überrascht nicht. Merkel wirbt für eine faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa und erneuert ihr Mantra „Wir schaffen das“. Als die CDU-Anhänger später den Heimweg antreten, wirken viele nachdenklich. Merkel hat die eigene Basis mit ihrem großen Engagement beeindruckt - auch wenn sie für die schwierigste Aufgabe seit der Wiedervereinigung bislang keine Patentrezepte hat.