Berlin. Ob Angela Merkel mit ihrem Auftritt bei Anne Will die Deutschen überzeugt hat, muss sich noch zeigen. In Medien und im Internet überwiegt Lob.

„Merkels ehrlichste Regierungserklärung“ titelt Spiegel Online am Tag nach dem Interview. Die Bundeskanzlerin habe „ungewohnt klare Worte“ gefunden, um ihre immer heftiger kritisierte Haltung in der Flüchtlingskrise zu verteidigen. Merkel habe zwar vieles im Unklaren gelassen, doch sei „diese Form von ehrlicher, demonstrativer Ungewissheit“ geschickt. Denn der Auftritt bei Anne Will sei nicht nur ein Erklären der Krise, ein Erläutern ihrer Pläne, „sondern auch das Signal: Ich bleibe bei meinem Kurs, es gibt gute Gründe dafür, aber eine Garantie gibt es keine.“

3,45 Millionen Zuschauern sahen nach Angaben der ARD das einstündige Gespräch am Mittwochabend. Das ist eine solide Quote, aber nicht gerade herausragend. Sie entspricht einem Marktanteil von 13,8 Prozent. Damit erzielte das Thema „Die Kanzlerin in der Flüchtlingskrise - Können wir es wirklich schaffen, Frau Merkel?“ die höchste Sehbeteiligung bei „Anne Will“ seit November 2014. Auffällig ist, dass das Interesse bei jugendlichen Zuschauern deutlich höher war als beim Publikum mittleren Alters.

Angela Merkel als "Kanzlerin der Herzen"

„So spricht die Kanzlerin der Herzen“, heißt es bei FAZ.net, deren Autor fragt: „Hat man die Bundeskanzlerin je so gesehen wie bei Anne Will? So lebhaft, energisch und zugleich mit dem Rücken zur Wand?“. Es gibt aber auch Kritik, etwa an Merkel: „Die Widersprüche, in die sich Angela Merkel im Laufe der Therapiesitzung bei Anne Will verwickelt, sind sonder Zahl.“ Aber auch Will und die ARD bekommen einen Seitenhieb ab: „Die Journalistin fragt alles brav heraus und hakt es ordentlich und freundlich lächelnd ab.“ Insgesamt habe der Sender mit dem Gespräch „Verwöhn- und Vereinnahmungsfernsehen“ geboten.

„Eine neue Angela Merkel“ will Focus online in dem TV-Talk entdeckt haben. Mit „oft schonungslosen Fragen“ sei es Gastgeberin Will gelungen, „zur Bundeskanzlerin durchzudringen - und erstaunlich offene und persönliche Antworten zu bekommen“.

Angela Merkel und die „ich“-Form

Die Bewältigung der Flüchtlingskrise, so Merkel bei Will, liege „nicht in meiner Macht“. Viele Faktoren, vor allem im Ausland, beeinflussten den Lauf der Dinge. Darauf zielt Zeit Online mit seiner Überschrift „Merkels harte Wahrheit“ ab. Der Autor merkt an: Es ist ein Abend, an dem Merkel sehr oft das Wort ,ich‘ benutzen muss. Das hat auch damit zu tun, dass die Kanzlerin nicht mehr für die ganze Regierung spricht. Schließlich widersprechen ihr inzwischen sogar einige ihrer Minister.“

Auf Twitter war die Überraschung mancher Zuschauer greifbar: Sie ertappten sich bei dem Gefühl, dass die Kanzlerin ihnen gefiel. „Ich hätte nie gedacht, dass ich dies sagen würde: Das ist meine Kanzlerin“, schrieb etwa eine Nutzerin aus Hannover. Christopher Lauer, prominenter Ex-Pirat aus Berlin, setzte noch einen darauf mit der Aussage „Ich werde noch zum Angela Merkel-Ultra“. Die Zustimmung für Merkel überwog deutlich, die sonst auf Twitter bei solchen Anlässen unvermeidliche Häme suchte man vergebens.

Niels Annen, Mitglied des SPD-Parteivorstands, ätzte nur in Richtung Merkel-Kritiker: „Ob Herr Seehofer wohl gerade fernsieht?“ SPD-Parteivize fühlte sich bei Merkel an Martin Luther King erinnert: „Merkels „I have a (dream) plan“ Auftritt bei Anne Will muss große Teile der Union verstören, wenn man Seehofer, Klöckner & Co. hört.“ Die angesprochene Julia Klöckner, CDU-Vize, lobte: „Sehr souveräne Kanzlerin, macht sie gut und überzeugend bei Frau Will.“

CDU-Abgeordnete Steinbach provoziert

Öffentlich aus der Reihe fiel die streitbare CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach. Während Merkel davon sprach, dass es Obergrenzen für die Aufnahmen nicht geben kann, schickte Steinbach das Foto eines überlaufenden Waschbeckens ab. Ihre Botschaft: „Es nützt nichts, noch so viele Eimer unter das Waschbecken zu stellen. Einfach den Wasserhahn zudrehen!“

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Wenig später machte noch während der Sendung auch die Ankündigung eines CDU-Mitglieds die Runde, nach 26 Jahren auszutreten. „Wenige Minuten des Fernsehauftritts reichen mir.“ Ein Unternehmer aus dem Harz, CDU-Mitglied und begeistert über Merkels Auftritt, fasste die Wirkung ihres Auftritts so zusammen: „Die Leute, die in den letzten Tagen „öffentlichen Klartext“ von Merkel gefordert haben, treten sich gerade vor Wut in die Allerwertesten...“

Kanzlerin Merkel in Essen

Kanzlerin Angela Merkel in Essen.
Kanzlerin Angela Merkel in Essen. © FUNKE Foto Services
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