Essen/Berlin. Die Wirtschaft an Rhein und Ruhr klagt über erhebliche bürokratische Hürden, wenn es darum geht, Arbeitsplätze für Flüchtlinge zu finden.

Seit Jahresbeginn haben einem Zeitungsbericht zufolge erst 17.401 Flüchtlinge in Deutschland eine Arbeitsgenehmigung erhalten. In 7711 Fällen verweigerte die Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Beschäftigungserlaubnis für Asylbewerber und Geduldete. Das geht aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, wie die "Passauer Neue Presse" berichtete. Die Zahl der erwerbsfähigen Asylbewerber und geduldeten Flüchtlinge in Deutschland beziffert die Bundesregierung demnach auf 310.741 (August 2015).

Der Bund erwartet nach offizieller Prognose bis zum Jahresende insgesamt 800.000 Asylbewerber. Arbeitsplätze für Migranten mit hoher Bleibechance gelten dabei als wichtige Voraussetzung für deren Integration. Asylbewerber dürfen jedoch während der ersten drei Monate gar nicht in Deutschland arbeiten. Erst nach 15 Monaten fällt zudem die "Vorrangprüfung": Steht ein Deutscher oder ein EU-Bürger für den Job zur Verfügung, bekommen Asylbewerber keine Beschäftigungserlaubnis.

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Die Arbeitgeber fordern eine Verkürzung dieser Fristen - denn der Bedarf an Arbeitskräften sei groß. Allerdings haben die Betroffenen auch aus anderen Gründen oft Schwierigkeiten, einen Job zu finden. So fehlen ihnen oft in Deutschland anerkannte Qualifikationen und Abschlüsse. Die stellvertretende Vorsitzende der Linke-Fraktion, Sabine Zimmermann, sagte der Zeitung: "Flüchtlinge dürfen nicht vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen oder als billige Arbeitskräfte missbraucht werden."

Warum die Jobsuche für Flüchtlinge so schwierig ist

Bevor ein Unternehmen ei­nen Flüchtling beschäftigen darf, muss es einige Hürden nehmen. Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, darf zunächst drei Monate überhaupt nicht arbeiten. Danach ist in aller Regel eine sogenannte Vorrangprüfung durch die Agentur für Arbeit erforderlich. Dabei wird ermittelt, ob sich nicht auch ein geeigneter Bewerber mit deutschem oder EU-Pass für eine Stelle findet. Erst nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland fällt diese Prüfung weg.

Die Politik in Deutschland diskutiert derzeit, die Vorrangprüfung zeitlich zu reduzieren oder abzuschaffen. Jörg A. Linden von der Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet in Bochum gibt zu bedenken, kaum ein Unternehmer werde jemanden einstellen oder in Ausbildung nehmen, von dem er nicht wisse, ob das Asylverfahren erfolgreich abgeschlossen werden könne: „Wenn es nicht erfolgreich abgeschlossen wird, ist der Mitarbeiter oder Auszubildende nämlich wieder weg.“ Auch Martina Behrens von der Niederrheinischen IHK betont: „Der gesicherte Aufenthaltsstatus ist Grundvoraussetzung, damit ein Unternehmen überhaupt mit einer Arbeitskraft planen kann.“

Unternehmen braucht Gewissheit, ob Flüchtling bleiben darf

Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbandsgruppe in Duisburg, spricht von „vielen bürokratischen Hürden“, die es etwa bei der Vermittlung von Ausbildungsplätzen gebe. „Die Unternehmen brauchen vor allem Gewissheit darüber, ob ein Flüchtling, den sie beschäftigen, langfristig in Deutschland bleiben wird“, fordert Schmitz. Er gehe davon aus, dass die Betriebe dann auch zunehmend in die Ausbildung von Flüchtlingen investieren.

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Martina Behrens spricht sich für „zügige und unbürokratische Schritte“ aus: „Wir benötigen zum Beispiel eine Drei-plus-zwei-Regegelung – das heißt, ein Flüchtling bekommt einen eigenen Aufenthaltstitel für die komplette Ausbildungszeit von in der Regel drei Jahren und eine anschließende Beschäftigung von mindestens zwei Jahren. So erhalten Betriebe und junge Flüchtlinge Sicherheit.“

"Wir können nicht einfach sagen: Alle Welt darf kommen"

Skeptischer äußert sich Ulrich Kanders vom Essener Unternehmensverband (EUV). Die von der Bundesagentur für Arbeit vorgeschlagene Aussetzung der Vorrangprüfung für zwei Jahre sei zwar hilfreich für eine schnellere Integration von Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt. „Allerdings dürfen die Erwartungen nicht zu hoch aufgehängt werden“, sagt Kanders. „Durch eine entfallende Vorrangprüfung erhalten die Asylbewerber nicht automatisch die nötigen Sprachkenntnisse und Qualifikationen, die oftmals die eigentliche Hürde für eine rasche Beschäftigungsaufnahme sind.“ Zugleich sehe er das Risiko, dass ein Ungleichgewicht bei der Arbeitsvermittlung entstehe: „Eine grundsätzliche Verlagerung unseres Fokus ausschließlich auf Asylsuchende birgt die Gefahr, dass wir unsere nach wie vor vorhandenen Problemfälle wie zum Beispiel Langzeitarbeitslose aus den Augen verlieren.“

„Die Akademiker sind deutlich in der Minderheit, stattdessen gibt es eine Vielzahl von Menschen ohne Qualifizierung“, so Kanders weiter. EUV-Vorstandschef Henner Puppel betont, er sei skeptisch, wenn es heiße, die Alterspyramide in Deutschland werde sich durch die Zuwanderer deutlich verbessern. „Wir können nicht einfach die Arme öffnen und sagen: Alle Welt darf kommen.“

„Zu wenige Kinder in Deutschland“

Dass die Flüchtlinge die deutschen Arbeitskräfte verdrängen, sei nicht zu befürchten, urteilt indes Wolfgang Schmitz. Er verweist auf Prognosen, denen zufolge allein in NRW bis zum Jahr 2020 zwischen 600 .000 und 700. 000 Fachkräfte fehlen. „Wenn uns die Integration und Qualifizierung der Flüchtlinge gelingt, werden wir alle profitieren“, betont Schmitz. „Wir dürfen bei allen aktuellen Herausforderungen nicht vergessen, dass wir in Deutschland zu wenige Kinder und zu wenig Nachwuchs haben, um unseren Wohlstand langfristig zu sichern.“

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Stefan Schreiber, Hauptgeschäftsführer der Dortmunder Industrie- und Handelskammer (IHK), mahnt: „Flüchtling ist nicht gleich Fachkraft. Das ist eine falsche Erwartungshaltung, vor der wir uns hüten sollten. Die Mehrheit der Flüchtlinge hat weder ein Studium noch die Berufserfahrung, die mit unseren Bildungsabschlüssen vergleichbar wäre.“

Unter den Flüchtlingen gebe es zwar „sehr gut ausgebildete Menschen mit guten Deutschkenntnissen“, berichtet Marc Heistermann, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands Ruhr. „In un­serer Region mehren sich allerdings die Stimmen, dass sowohl das Bildungsniveau als auch die Deutschkenntnisse der zu uns kommenden Menschen eher als schlecht zu beurteilen sind.“ Dies sei gerade für beratungsintensive Branchen ein großes Einstellungshemmnis.

„Kurzfristig werden die allermeisten Flüchtlinge nicht jene Fachkräfte werden, die die deutsche Wirtschaft benötigt“, urteilt Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbandsgruppe in Duisburg. „Es fehlen vor allem Sprachkenntnisse, aber auch weitergehende Qualifikationen. Deswegen kommt es jetzt darauf an, Flüchtlinge zu qualifizieren, dann werden sie mittel- und langfristig auch zu echten Fachkräften.“ Martina Behrens von der Niederrheinischen IHK fordert ebenfalls: „Die Sprachförderung muss unbürokratisch und zügig ausgebaut werden.“ Jörg A. Linden von der IHK Mittleres Ruhrgebiet in Bochum sagt, die Vermittlung der deutschen Sprache solle „gezielt mit Blick auf die Anforderungen der Sprache in der Wirtschaft“ erfolgen. (mit dpa)