München/Berlin. . Bayerns Ministerpräsident Seehofer wirft Kanzlerin Merkel schwere Fehler in der Asylpolitik vor - und warnt vor einer „nicht mehr zu beherrschenden Notlage“.
So viel Kritik aus Bayern hat Angela Merkel (CDU) wohl noch nie an einem Tag einstecken müssen. Die CSU hat sich auf die Chefin der Schwesterpartei eingeschossen. Es geht um ihre Entscheidung vom vergangenen Wochenende, Flüchtlinge aus Ungarn weiter nach Deutschland reisen zu lassen.
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„Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen“, sagte CSU-Chef Horst Seehofer dem „Spiegel“. Deutschland komme bald in „eine nicht mehr zu beherrschende Notlage“. Er werde den ungarischen Regierungschef Viktor Orban zur nächsten Klausur der CSU-Landtagsfraktion einladen, um gemeinsam eine Lösung zu suchen, sagte der bayerische Ministerpräsident. Orban hat Deutschland wiederholt für die Flüchtlingskrise verantwortlich gemacht. Seehofers Ankündigung wird als Affront gegen Merkel gewertet.
Einreise-Erlaubnis als "beispiellose politische Fehlleistung"
Auch der stellvertretende Unions-Fraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) schlug Alarm: Der Zustrom der Flüchtlinge sei nicht mehr steuerbar. „Wir haben die Kontrolle verloren“, sagte Friedrich der „Passauer Neuen Presse“. Die Entscheidung, die Flüchtlinge aus Ungarn unregistriert ins Land zu lassen, sei „eine beispiellose politische Fehlleistung“ der Bundesregierung und werde „verheerende Spätfolgen“ haben. Da Hans-Peter Friedrich bis 2013 Bundesinnenminister war, haben seine Worte in dieser Frage ein gewisses Gewicht.
Und auch der mögliche Nachfolger Seehofers kritisierte die Politik der Kanzlerin. Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) warnte, die als Ausnahme gedachte Einreiseregelung drohe zur Regel zu werden. „Der Zustrom und die Sogwirkung werden erkennbar immer größer“, sagte Söder dem „Münchner Merkur“. „Das beginnt uns zu überfordern.“
„Parteipolitisches Gezänk“ - Bevölkerung steht hinter Merkel
Die Bevölkerung in Deutschland steht hinter allerdings Merkels Entscheidung. Von den für das ZDF-Politbarometer Befragten hielten zwei Drittel (66 Prozent) die Einreiseerlaubnis für richtig. 85 Prozent erwarten aber auch, dass sich als Folge noch mehr Flüchtlinge Richtung Deutschland auf den Weg machen werden.
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Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), wies die Angriffe als „völlig falsch“ zurück: „Ich halte das Verhalten der Regierung und das der Bundeskanzlerin für eine der größten Leistungen, die sie bisher erbracht haben“, sagte Röttgen im ARD-„Morgenmagazin“.
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi kritisierte die CSU. „Ich halte überhaupt nichts davon, auf dem Rücken der Flüchtlinge jetzt parteipolitisches Gezänk zu betreiben“, sagte Fahimi dieser Zeitung. Das verunsichere nur die Menschen in Deutschland und zerstöre die vorhandene Hilfsbereitschaft. „Wir sollten jetzt alle Kraft darauf verwenden, die richtigen Entschlüsse zu fassen, um die Flüchtlinge unterzubringen und rasch zu integrieren.“
Kritik an Seehofers Äußerungen
Flüchtlinge in DeutschlandDie Opposition schüttelt den Kopf über die Äußerungen aus Bayern. „Es ist nicht die Aufgabe von Herrn Seehofer, Panik zu schüren“, sagte Linksfraktionschef Gysi dieser Zeitung. „Es kann auch nicht darum gehen, mit Herrn Orban zu vereinbaren, wie man Flüchtlinge los wird.“ Seehofer solle sich Gedanken machen und daran arbeiten, wie man wirksam die Fluchtursachen bekämpfen könne.
Auch Grünen-Chefin Simone Peter kritisierte die Äußerungen der CSU. „Mit ihrer kalten Abschottungs-Rhetorik watschen Seehofer und Friedrich die unzähligen Bürger ab, die die Flüchtlinge in München und andernorts herzlich begrüßt haben“, sagte Peter dieser Zeitung. Dabei müssten die CSU-Politiker dafür sorgen, dass Asylsuchende gut versorgt und integriert würden. Stattdessen spiele „die CSU den Rambo und setzt weiter auf Abgrenzung und Schikanen“.