Brüssel. Durch Flüchtlingszustrom und Terrorgefahr gerät das Schengenabkommen, das in Europa Reise- und Bewegungsfreiheit garantiert, immer mehr unter Druck.
Opas Schlagbaum kommt wieder in Mode. Migranten vor den Toren, Dschihadisten in den Zügen – Europa greift in seiner Hilflosigkeit zu Instrumenten der Trennung, deren Überwindung Helmut Kohl und seine Generation mit Recht als Lebensleistung verbuchen.
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Mauern, Zäune, Schleusen, Abschiebelager. Belgiens Regierungschef Charles Michel schwadroniert über die „Anpassung des Schengen-Abkommens und neue Regeln zur Personen- und Gepäck-Kontrolle“. In Ungarn lässt Premier Orban einen gewaltigen Zaun an der Grenze zu Serbien ziehen.
Briten und Franzosen rüsten den Hafen von Calais zur Hochsicherheitszone auf, EU-Beitrittskandidat Mazedonien versucht, die Trecks durchziehender Flüchtlinge mit Polizeigewalt unter Kontrolle zu bringen. Und Bundesinnenminister Thomas de Maizière sinniert über nationale Selbsthilfe, sollte es mit der europäischen Asyl-Solidarität nicht klappen. Adieu Schengen?
Brüssel hält an Abkommen fest
Die Brüsseler Kommission, Hüterin der EU-Verträge, ist in dieser Angelegenheit standfest: „Schengen ist nicht verhandelbar“, stellt ein Sprecher fest. Die Warnung ist nicht überflüssig. Ein begründeter Verdacht richtet sich etwa gegen Dänemark. Die Dänen tun zwar bei der gemeinsamen Innen- und Justizpolitik der EU nicht mit („Opt-Out“). Sie gehören dem Schengen-Verbund aber an und müssen dementsprechend auf Personenkontrollen an den Übergängen nach Schleswig-Holstein oder Schweden verzichten. Dennoch ließ die nationalliberale Regierung 2011 auf Druck der Rechtspopulisten an den Grenzen Zöllner aufmarschieren.
Der Spuk war rasch vorbei. Die Sozialdemokraten kamen ans Ruder und schafften die Checks wieder ab. Doch seit Juni haben die Liberalen erneut das Sagen und kündigten prompt ein schärferes Grenzregime an.
Notfall-Mechanismus bei Gefahr
Großen Ärger gab es auch 2011, als Frankreich den freien Übergang aus Italien stoppte. Danach verständigte sich die EU auf einen Notfall-Mechanismus. Er soll greifen, wenn die gemeinsame Außengrenze an einer Stelle porös und dadurch die Sicherheit anderer Länder gefährdet wird. Die dürfen dann, wenn das Problem anders nicht zu bewältigen ist, nach Anmeldung und gemeinsamem Beschluss mit den Partnern, bis zu zwei Jahre wieder die Vorlage des Passes verlangen. Kurzfristige Kontrollen sind zudem bei akuter Terrorismus-Gefahr möglich.
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Brüssel ermutigt die Mitgliedstaaten, „vollen Gebrauch zu machen von den Optionen, das Sicherheitsinstrumentarium zu verstärken“. Eine systematische Überprüfung aller Züge in einem Grenzgebiet sei aber ausgeschlossen. Seit drei Jahren werkelt eine Arbeitsgruppe der Mitgliedstaaten zusammen mit Bahn-Betreibern, Herstellern und Experten der Kommission an Maßnahmen für mehr Sicherheit auf der Schiene. Im Gespräch sind etwa der verstärkte Einsatz von bewaffneten Zugbegleitern, Kamera-Überwachung oder Metalldetektoren. Herausgekommen ist in acht Sitzungen bislang nichts.
Sicherheitskontrollen unrealistisch
Für Michael Cramer ist die Sache eindeutig: „Die Schengen-Außengrenzen müssen gesichert werden, das ist klar - aber eine nationale Einengung kommt nicht in Frage!“ Von Vorstößen à la Michel hält der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im EU-Parlament gar nichts. „Anschläge können überall passieren. Das hat mit Grenzen nichts zu tun. Da müsste man die Züge von Brüssel nach Lüttich genauso checken wie die nach Lille. Das ist reiner Aktionismus, wie damals das Flüssigkeitsverbot in Flugzeugen – das hat niemandem etwas gebracht außer den Flughafen-Shops.“
Auf Europas Eisenbahnen fahren jeden Tag hunderttausend Züge mit rund 40 Millionen Menschen. Sie alle samt Gepäck durch Sicherheitsschleusen zu zwängen, wäre nicht nur unendlich teuer und umständlich – es wäre der Zusammenbruch des Systems.