Washington. Im Alleingang haben die USA Osama Bin Laden aufgespürt und getötet: So die offizielle Version. Alles gelogen, behauptet jetzt ein US-Journalist.
Die von US-Präsident Obama persönlich autorisierte Tötung von El Kaida-Chef Osama Bin Laden im Mai 2011 in Pakistan durch eine Elite-Einheit des amerikanischen Militärs soll von A bis Z von Lügen und politisch motivierten Aussagen der Regierung in Washington begleitet gewesen sein.
Diesen massiv Vorwurf erhebt der bekannte US-Journalist Seymour Hersh in der renommierten „London Review of Books“. Der 78-jährige Enthüllungs-Reporter hat unter anderem das von US-Soldaten begangene Massaker von My Lai 1968 im Vietnam-Krieg und den Folterskandal der US-Armee im irakischen Abu Ghraib ans Licht gebracht. Er wurde dafür mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet.
USASeymour Hersh: "Unverschämteste Lüge"
In dem 10.000 Wörter langen Bericht, der am Sonntag öffentlich wurde, zeichnet der in Washington lebende Journalist vier Jahre nach dem Zugriff auf Bin Laden das Bild eines Einsatzes nach, an dessen offizieller Darstellung so gut wie nicht gestimmt habe. Um Obama als tatkräftigen Kämpfer gegen den islamistischen Terrorismus erscheinen zu lassen, sei die „Erzählung“ über das Ende Bin Ladens mehrfach "frisiert" worden, so Hersh.
Als die „unverschämteste Lüge“ bezeichnet der langjährige Mitarbeiter des Magazins „New Yorker“ die Darstellung der US-Regierung, dass die Kommando-Aktion gegen den damaligen Chef des Terror-Netzwerks El Kaida eine „rein-amerikanische“ Angelegenheit gewesen und ohne Mitwissen pakistanischer Stellen geschehen sei.
Schlichter Verrat
Laut Hersh waren die seinerzeit wichtigsten Funktionäre Pakistans - Generalstabschef Kayani und ISI-Geheimdienst-Direktor Pasha - im Detail nicht nur eingeweiht. Sie sollen den Überfall auf Bin Laden, der bereits seit 2006 von Pakistan als Druckmittel gegenüber den Taliban in der Garnisonsstadt Abbottabad in Gefangenschaft gehalten worden sei, abgesegnet und dafür gesorgt haben, dass die bei der Mission eingesetzten US-Hubschrauber nachts ungehindert von Afghanistan aus in den pakistanischen Luftraum eindringen und landen konnten.
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Erfunden, so Hersh, war die Darstellung, der Geheimdienst CIA habe den El Kaida-Chef durch die mit Hilfe von erzwungenen Geständnissen Inhaftierter möglich gewordene Beschattung von Kurieren dingfest gemacht, die Bin Laden in Abbottabad regelmäßig besucht haben sollen. Vielmehr habe ein pakistanischer Geheimdienstmitarbeiter Bin Laden schlicht verraten und sich so den Löwenanteil des von den USA ausgelobten Kopfgeldes von 25 Millionen Dollar gesichert. Der Tipp-Geber lebe heute in Washington und berate die CIA.
Hersh schildert - meist unter Bezug auf eine einzige anonyme Quelle aus dem US-Sicherheits-Apparat - detailliert, dass viele vom Weißen Haus in den Tagen nach der Militäraktion öffentliche gemachte Details über den Zugriff nicht der Wahrheit entsprochen haben sollen. Weder sei Bin Laden im Laufe eines Feuergefechts gestorben, sondern - unbewaffnet und von Krankheit gezeichnet - zielgerichtet liquidiert worden. Noch habe es die behauptete Bestattung der Leiche Bin Ladens nach muslimischem Recht auf dem Flugzeugträger „USS Carl Vinson“ gegeben. Die CIA habe die sterbliche Überreste vielmehr nach Afghanistan gebracht.
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Bin Laden als aktiver Top-Terrorist? "Schwindel"
Die Aussagen der US-Regierung, Bin Laden sei zum Zeitpunkt der Kommandoaktion eine aktive Führungsfigur im Netzwerk des islamistischen Terrorismus gewesen, was sichergestellte Computer angeblich belegt haben, sind nach Hershs Recherchen „Schwindel“ gewesen. Das hätten Auswertungen Dutzender Dokumente ergeben.
Das Weiße Haus nahm bislang (Stand 18 Uhr deutscher Zeit) keine offizielle Stellung, gleichwohl wurde im Laufe des Montags mit einem scharfen Dementi gerechnet. Der frühere Direktor des Geheimdienstes CIA, Mike Morell, bezeichnete den Bericht als „komplett falsch“. Pakistan sei „erbost“ gewesen über den geheim gehaltenen Einsatz und habe vorher auf Geheiß von Obama nichts davon erfahren. Diverse US-Medien zitierten den Hersh-Bericht umfassend, ließen allerdings erhebliche Zweifel an der Belastbarkeit der Vorwürfe erkennen. Hersh wird vor allem vorgehalten, keine eindeutigen Belege und so gut wie keine namentlich benannten Quellen für seine Anklage vorzubringen. Peter Bergen, Terror-Experte des Senders CNN, und ein intimer Kenner der Osama Bin Laden-Tötung, bezeichnete die Arbeit Hershs als „Mischmasch aus Unsinn, der durch eine Vielzahl von Augenzeugenberichten widerlegt ist, unbequemen Fakten und gesundem Menschenverstand.“
Der Autor, in den USA Vorbild ganzer Generationen von Journalisten, bilanziert dagegen: „Lügen auf höchster Ebene bleibt der Modus Operandi amerikanischer Politik, gemeinsam mit geheimen Gefängnissen, Drohnen-Einsätzen und nächtlichen Razzien mit Spezialeinheiten, die an der Befehlskette vorbei geführt werden und jene außen vorlassen, die Nein sagen könnten."