Berlin. . Der Spionage-Fall beim BND ist deutlich brisanter als bisher dargestellt. Ein Doppelagent verriet offenbar eine geheime Liste mit tausenden Decknamen an die Amerikaner.
Die Affäre um den US-Spion beim Bundesnachrichtendienst (BND) ist viel brisanter als von der Bundesregierung bisher dargestellt: Der Doppelagent Markus R. hat offenbar auch bis zu 2000 deutsche BND-Mitarbeiter an US-Geheimdienste verraten – damit wäre jeder dritte Agent des Auslands-Nachrichtendienstes enttarnt. Der Versuch der Regierung, den „Maulwurf“ als völlig unbedeutend darzustellen, ist damit gescheitert.
In Sicherheitskreisen wurde am Mittwoch bestätigt, dass der im Juni 2014 verhaftete Mann während seiner Tätigkeit beim BND auch eine streng geheime Liste mit Namen von Mitarbeitern gestohlen und kopiert hatte. Die Aufstellung enthielt 3500 Personen, dem Vernehmen nach mit Deck- und Klarnamen. Es wird davon ausgegangen, dass R. auch diese Daten an US-Geheimdienste verkauft hat. Hinweise, dass auch Nachrichtendienste Russlands oder Chinas profitierten, gibt es bisher nicht.
E-Mail an die Russen abgefangen
Sicherheitskreise bemühten sich, den neuen Fall zu relativieren: Die Liste stamme aus dem Jahr 2011, rund 1500 der genannten Mitarbeiter stünden gar nicht mehr in BND-Diensten. Der Schaden sei eher begrenzt. Gleichwohl hatte der Nachrichtendienst Schutzmaßnahmen für Mitarbeiter ergriffen, als das Leck bei der Auswertung einer privaten Festplatte des Doppelagenten entdeckt wurde.
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Tatsächlich verfügen zumindest US-Geheimdienste nun über ein noch umfangreicheres Bild der BND-Aktivitäten als bisher schon vermutet. Markus R. hatte mindestens seit 2012, möglicherweise aber auch schon 2011 für den amerikanischen CIA gearbeitet. An seinem Arbeitsplatz in der Registratur der BND-Abteilung „Einsatzgebiete/ Auslandsbeziehungen“ war er an zahlreiche streng geheime Dokumente gekommen, die er zuhause scannte – darunter Schriftverkehr zwischen BND und Kanzleramt, Gesprächsprotokolle, angeblich auch das Auftragsprofil der Regierung für die Gegenspionage des BND. Die Abteilung ist für die Kontakte zu Partnerdiensten und die Agenten im Ausland zuständig, versorgt auch die Bundeswehr bei Auslandseinsätzen mit nachrichtendienstlichen Informationen.
R. hatte seine Dienste offenbar selbst der US-Botschaft angeboten. Nach seiner Darstellung übergab er CIA-Agenten bei Treffen in Österreich 218 Dokument-Sammlungen, erhielt im Gegenzug mindestens 25.000 Euro. Enttarnt wurde der Mann erst, als er auch den Russen eine Zusammenarbeit offerierte – in einer unverschlüsselten E-Mail an das Münchner Konsulat Russlands, die vom Verfassungsschutz abgefangen wurde.
Politisch hatte der Fall zwar hohe Wellen geschlagen. Dass der befreundete CIA einen solchen Agenten beim BND führte, galt als neuer Höhepunkt der Enthüllungen über amerikanische Ausspäh-Aktivitäten. Als Folge der Affäre musste der CIA-Chef für Deutschland die Bundesrepublik verlassen.
Schaden heruntergespielt
Doch bemühte sich die Bundesregierung bisher, den Schaden herunterzuspielen: Hohe Regierungsbeamte und Geheimdienstler streuten, R. sei ein kleines Licht gewesen, körperlich behindert und angeblich geltungssüchtig. Der Schaden durch den Spitzel sei „lächerlich“, hatte Innenminister Thomas de Maizière behauptet. Finanzminister Wolfgang Schäuble erklärte gar, die Amerikaner und ihre Geheimdienste seien „so was von blöd“, dass man als Deutscher nur „weinen“ können. Die USA würden nur drittklassige Leute als Informanten anwerben.
Nun wird daraus ein Lehrstück, wie ungeniert in Berlin in solchen Fragen Beschwichtigungspolitik betrieben wird. Die Ermittlungen laufen noch, sollen im Frühjahr abgeschlossen werden. Dann dürfte es zur Anklage kommen – das erste Mal, dass die deutsche Justiz so gegen einen US-Spion vorgeht.