Berlin. . Die Festnahme eines 31-jährigen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), der den Amerikanern ausgerechnet Informationen über den NSA-Untersuchungsausschuss gegeben haben soll, verschärft in Berlin Kritik am US-Geheimdienst. Generalbundesanwalt Harald Range gerät unter Druck.

Es ist eine Premiere. Viele Spione sind schon angeklagt und noch mehr enttarnt worden, aber keiner in Berlin kann sich daran erinnern, dass je zuvor der Generalbundesanwalt einen US-Agenten inhaftiert hätte. Doch nach der NSA-Affäre ist alles anders.

Beamte des Bundeskriminalamtes haben im Auftrag eines Ermittlungsrichters einen 31-jährigen Mann bei Pullach festgenommen. Er arbeitete dort für den Bundesnachrichtendienst (BND) und steht unter dem „dringenden Verdacht“ der geheimdienstlichen Tätigkeit. Für die NSA, ausgerechnet.

Erhärtet sich der Verdacht, dann weitet sich die NSA-Spähaffäre aus. Pikanterweise soll der BND-Mann den Amerikanern über den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages berichtet haben. Das Parlament wäre direkt betroffen.

Merkel telefonierte mit Obama

Von einem „sehr ernsthaften Vorgang“ geht Regierungssprecher Steffen Seibert aus: Nach den Snowden-Enthüllungen, nach der Spähaffäre gegen Kanzlerin Angela Merkel, nach dem nie ausgeräumten Verdacht, dass die Amerikaner auf dem Dach ihrer Berliner Botschaft eine Abhör-Anlage unterhalten. Nun also auch eine menschliche Quelle.

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Bisher ging man in solchen Fällen diskret vor. US-Amerikaner, die unter Spionage-Verdacht gerieten, wurden zumeist ausgewiesen, ohne dass es bekannt wurde oder es zur Verhaftung kam. Man nannte es „stille Ausweisungen“. Nun ist es mit der Diskretion vorbei.

Der 31-Jährige arbeitete im Stab einer der zwölf Abteilungen beim BND. Seit 2012 soll er 218 Dokumente auf einem USB-Stick gespeichert und sie an die Amerikaner verkauft haben. Der Judaslohn: angeblich 25.000 Euro. Unter den Dokumenten waren Unterlagen aus dem NSA-Ausschuss. Zu seinem Führungsagenten hatte es der mutmaßliche Agent nicht weit. Er fuhr kurz über die Grenze, traf sich in Österreich mit den NSA-Leuten, zum Beispiel in Salzburg. Solche Details sprechen dafür, dass er seit Langem observiert wurde.

Wie ihm die deutschen Fahnder auf die Spur kamen, ist unklar. Der Generalbundesanwalt nennt keine Details. Der Mann wurde „vorläufig festgenommen“ und vernommen. Für den Verdächtigen gilt die Unschuldsvermutung.

In Karlsruhe gerät trotzdem Generalbundesanwalt Harald Range, der in der NSA-Affäre bisher bloß dem Verdacht einer Ausspähaktion gegen Merkel nachging, unter Druck, seine Ermittlungen nun auszuweiten. Politisch herrscht in Berlin ohnehin helle Aufregung.

"Einer der größten Geheimdienstskandale" der letzten Jahrzehnte

Für den Linken-Abgeordneten André Hahn wäre es „einer der größten Geheimdienstskandale“ der letzten Jahrzehnte. Er dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die Verhandlungen mit den USA über das Freihandelsabkommen müssen ausgesetzt, Botschaftsmitarbeiter womöglich ausgewiesen und US-Geheimdienst-Vertretungen geschlossen werden. Kanzlerin Merkel wurde noch am Donnerstag informiert.

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Wie der Zufall so spielt, war sie am Abend telefonisch mit US-Präsident Barack Obama verabredet. Das Thema war die Ukraine-Krise. Ob sie auch über den aktuellen Spionage-Fall sprachen, verrät ihr Sprecher Seibert nicht. Aber es wäre logisch. „Die USA haben jetzt eine Bringschuld bei der Aufklärung“, meint SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. „Dafür kann es keine Rechtfertigung geben“, sagte er.

Erst am Donnerstag hatte der frühere NSA-Direktor William Binney den Bundestags-Abgeordneten im Ausschuss vor Augen geführt, dass der Geheimdienst kein Maß kennt. Kurz danach holte die Aktualität die parlamentarischen Aufklärer ein: Sie erfuhren von dem Verdachtsfall aus Karlsruhe. Wie es aussieht, muss der Ausschuss bald eine Sonderschicht einlegen.