Berlin. Die Empörung war groß, als die US-Abhöraktionen in Deutschland bekannt wurden. “Freunde abhören - das geht gar nicht“, hieß es damals. Jetzt häufen sich Berichte, dass auch der deutsche Geheimdienst lauschte - bei zwei US-Außenministern, vor allem aber wohl beim Nato-Partner Türkei.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat nach "Spiegel"-Informationen die Türkei überwacht - vermutlich jahrelang und bis heute. Demnach wurde der deutsche Nato-Partner im derzeit noch aktuellen "Auftragsprofil" der Bundesregierung aus dem Jahr 2009 als offizielles Aufklärungsziel geführt. Die Regierung lege alle vier Jahre die Schwerpunktziele des Auslandsgeheimdienstes BND fest. Das aktuelle Profil sei bislang wegen der NSA-Spähaffäre nicht erneuert worden, schreibt das Magazin. Außerdem habe der BND nicht nur Hillary Clinton in ihrer Zeit als US-Außenministerin abgehört, sondern auch den Nachfolger John Kerry.
Nach den "Spiegel"-Informationen wurde mindestens ein Gespräch Kerrys belauscht. Das im Jahr 2013 über Satellit geführte Telefongespräch landete demnach als "Beifang" im Überwachungsnetz des BND, das dieser über den Nahen Osten gespannt hat - ähnlich wie im Jahr zuvor ein Clinton-Telefonat. Wie "Der Spiegel" weiter berichtet, führte Clinton seinerzeit ein Gespräch mit dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan. Die Telefonate der Amtsträger seien nicht gezielt überwacht worden, sondern zufällig im Rahmen anderer Operationen, hieß es dem Magazin zufolge in Sicherheitskreisen.
Quelle ist der BND-Mann, der als CIA-Agent enttarnt wurde
Über die Abhöraktion gegen Clinton hatten schon die "Süddeutsche Zeitung" sowie die Sender NDR und WDR am Freitag vorab berichtet. Dies gehe aus den Dokumenten hervor, die der im Juli festgenommene Spion im BND an den amerikanischen Geheimdienst CIA übergeben habe. Der Mann habe inzwischen gestanden, den USA in den vergangenen zwei Jahren mindestens 218 Dokumente geliefert zu haben.
Nach den Berichten haben die USA damit begonnen, die erhaltenen Informationen im aktuellen Streit über US-Spionageaktionen in Deutschland zu nutzen. Das abgehörte Clinton-Telefonat nähmen sie als Beleg dafür, dass auch die Deutschen die USA ausspioniert haben. Kerry soll seinen deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf den Vorgang angesprochen haben. Auch Denis McDonough, der Stabschef von US-Präsident Barack Obama, soll die Abhöraktion bei einem Besuch bei Kanzleramtsminister Peter Altmaier zur Sprache gebracht haben. Deutsche Regierungskreise bestreiten den Berichten zufolge, dass es eine systematische BND-Spionage gegen die USA gebe.
Nur eine Retourkutsche der Amerikaner?
Für den CSU-Innenexperten Hans-Peter Uhl ist unwahrscheinlich, dass der BND tatsächlich das Mobiltelefon Clintons abgehört hat. Er sagte der "Bild"-Zeitung (Samstag): "Ich bin sehr misstrauisch, was diesen Bericht betrifft. Es war zu erwarten, dass amerikanische Dienste versuchen, jetzt eine Retourkutsche gegen den BND zu fahren. Der BND muss zu den Vorwürfen im Kontrollgremium für die Geheimdienste Stellung nehmen."
Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, reagierte empört auf die Berichte. "Der BND ist ganz offenkundig zu einem Staat im Staate geworden. Die Kontrolldefizite sind offenbar gewaltig", sagte er "Handelsblatt Online" (Samstag). "Wir verlangen schnelle und vollständige Aufklärung des Vorgangs" - nicht nur im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags, sondern auch im Innenausschuss. (dpa)