Essen. . Überall gehen Menschen für Weltoffenheit auf die Straße. Ausgerechnet im traditionell toleranten Revier macht keiner was. Warum eigentlich?

Was sagen wir im Ruhrgebiet, wenn uns heute noch einer mit dem verstaubten „Kohlenpott“-Image kommt? Wenn ein Bayer, ein Schwabe, ein Sachse dem Revier nicht traut, vor allem aber ihm nichts zutraut? Wir sagen ihm erstens, dass unser Himmel je nach Wetterlage auch blau und die Landschaft fast durchgehend grün ist. („Vor Arbeit ganz grau“ waren wir früher mal, beim alten Grönemeyer). Und wir sagen zweitens (mit vor Stolz geschwellter Brust), dass wir die allertoleranteste Gegend in Deutschland sind. Oder in Europa. Vielleicht sogar in der ganzen Welt.

Denn so heißt es ja in fast jeder festlichen Ansprache der Revier-Oberbürgermeister, bei jeder zweiten Jubilarehrung, bei Stadtteilfesten: Wir an der Ruhr sind vielleicht nicht fein und reich, aber wir sind sozusagen die „Integrationsweltmeister“. Bei uns waren immer alle willkommen: Rheinländer, Polen, Italiener, Türken, Evangelische, Katholiken, Muslime. Wir sind ja alle nur Zugezogene.

Seit Montag habe ich so meine Zweifel am Argument Nummer zwei. Denn wenn es tatsächlich so ist, dass wir Ruhris die Weltoffenheit seit mehreren Generationen mit der Muttermilch einsaugen, warum hat es das Revier dann eigentlich noch nicht geschafft, eine oder mehrere Anti-Pegida-Demos auf die Straßen zu bringen?

Die Bayern schaffen es, das Ruhrgebiet schafft es nicht

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Bevor jetzt einige vorschnell sagen „Wo keine Demo ist, brauchen wir auch keine Gegendemo“ oder „Pegida gibt’s bei uns ja gar nicht, eben weil wir ja so tolerant sind“, mögen sie bedenken: in Münster demonstrierten Anfang Januar 10 000 Menschen gegen Pegida, obwohl es Pegida dort gar nicht gab; in München sagten am vergangenen Montag 20 000 „München ist bunt“. Wohlgemerkt: Das war südlich des „Weißwurstäquators“, in einer Gegend, die manch ein Nordrhein-Westfale gerne mal als hinterwäldlerisch verspottet. Bayern halt, ha, ha. Leipzig mobilisierte 30 000. Und Düsseldorf, die schöne, reiche Stadt am Rhein, bringt es – naja – immerhin auf fast 6000 Demonstranten. Hätte das Dortmund, Essen, Duisburg, Bochum, Gelsenkirchen nicht auch gut gestanden?

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Die Voraussetzungen für eine Anti-Pegida-Kundgebung sind an der Ruhr günstig, zumindest aber nicht schlechter als in München, Münster oder in Köln. Studenten und Akademiker gibt es hier reichlich, auch viele Kreative und Künstler, Unternehmer, Gewerkschafter, Menschen, die es gewohnt sind, über den regionalen Tellerrand hinaus zu schauen. Bürger also, die sich nicht so leicht von dumpfen, menschenfeindlichen Parolen einlullen lassen. Dresden hat so gut wie keine Migranten, im Ruhrgebiet gibt es sie. Auch sie könnten (und viele von ihnen würden wohl gern) gegen Pegida aufstehen.

Das Publikum ist da, allein es fehlt der Aufruf

Das Publikum wäre also da, man könnte es jederzeit auf die Straße bringen, allein es fehlt der Aufruf. Ausgerechnet aus der „Herzkammer der Sozialdemokratie“ kommt kein Anstoß für eine Toleranz-Demonstration. Zurückhaltung üben auch andere im Ruhrgebiet, die solch eine öffentliche Meinungsäußerung jederzeit auslösen könnten: der DGB, die Studierendenvertreter, die großen Unternehmen, der RVR, Borussia Dortmund, Schalke 04, die Kirchen. Herr Ruhrbischof, würden Sie sich an die Spitze einer Anti-Pegida-Demo in Essen stellen? Präses Kurschus, wie wäre es mit einer Demo in Dortmund? Mehr Mut scheint angebracht, denn die Zeiten sind so. Deutschland ist aufgebracht, aber das Revier dämmert im Winterschlaf.

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Es gab mal diesen schönen Gewerkschafter-Spruch: „Mach meinen Kumpel nicht an.“ In diesem Satz steckt eine Menge Ruhrgebiet: Arbeit, Kollegialität, Solidarität, freche Klappe, klare Ansage. Nun ist, überall im Land, der Zusammenhalt in Gefahr. Da sät Pegida Misstrauen gegen Menschen, die nicht den Glauben der Mehrheit haben, die vielleicht anders aussehen und als Kinder nicht unbedingt Max und Moritz gelesen haben. Der Kumpel wird also mal wieder massiv angemacht. Wäre es nicht an der Zeit, im Ruhrgebiet ein Zeichen zu setzen? Spätestens am 19.1. - wenn Pegida in Duisburg marschieren will, wäre eine Gelegenheit.

Tausende bei Anti-Pegida-Demos

Licht aus für Pegida – Licht an für den Protest für ein tolerantes Deutschland: ...
Licht aus für Pegida – Licht an für den Protest für ein tolerantes Deutschland: ... © dpa
In Düsseldorf haben am Montagabend (12.1.) mehr als 5000 Gegner...
In Düsseldorf haben am Montagabend (12.1.) mehr als 5000 Gegner... © dpa
... der Anti-Islam-Bewegung Pegida und dessen lokalem Ableger Dügida...
... der Anti-Islam-Bewegung Pegida und dessen lokalem Ableger Dügida... © dpa
... demonstriert. Den 5000 Demonstranten standen nur etwa...
... demonstriert. Den 5000 Demonstranten standen nur etwa... © dpa
... 350 Teilnehmer der
... 350 Teilnehmer der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" gegenüber. © dpa
Wie schon bei der Demo in Köln vor einer Woche wurde auch in Düsseldorf...
Wie schon bei der Demo in Köln vor einer Woche wurde auch in Düsseldorf... © dpa
... an vielen Gebäuden das Licht ausgeschaltet. Auch das Jan-Wellem-Denkmal und...
... an vielen Gebäuden das Licht ausgeschaltet. Auch das Jan-Wellem-Denkmal und... © dpa
... das Alte Rathaus in der Altstadt blieben dunkel.
... das Alte Rathaus in der Altstadt blieben dunkel. © dpa
Gegen-Demonstrant und Cellist Thomas Beckmann baute sich vor den Anhängern der Anti-Islam-Bewegung auf und spielte.
Gegen-Demonstrant und Cellist Thomas Beckmann baute sich vor den Anhängern der Anti-Islam-Bewegung auf und spielte. © dpa
Mehr als 5000 Pegida-Gegner haben am Montag (12.1.) in Düsseldorf demonstriert. Ihnen standen 350 Pegida-Anhänger gegenüber.
Mehr als 5000 Pegida-Gegner haben am Montag (12.1.) in Düsseldorf demonstriert. Ihnen standen 350 Pegida-Anhänger gegenüber. © dpa
Mehr als 5000 Pegida-Gegner haben am Montag (12.1.) in Düsseldorf demonstriert. Ihnen standen 350 Pegida-Anhänger gegenüber.
Mehr als 5000 Pegida-Gegner haben am Montag (12.1.) in Düsseldorf demonstriert. Ihnen standen 350 Pegida-Anhänger gegenüber. © dpa
Mehr als 5000 Pegida-Gegner haben am Montag (12.1.) in Düsseldorf demonstriert. Ihnen standen 350 Pegida-Anhänger gegenüber.
Mehr als 5000 Pegida-Gegner haben am Montag (12.1.) in Düsseldorf demonstriert. Ihnen standen 350 Pegida-Anhänger gegenüber. © dpa
Bei der Pegida-Demo in Dresden kehrten sich die Relationen um: ...
Bei der Pegida-Demo in Dresden kehrten sich die Relationen um: ... © dpa
7000 Gegendemonstranten standen...
7000 Gegendemonstranten standen... © dpa
...25.000 Pegida-Unterstützern gegenüber. Allerdings waren am Samstag schon...
...25.000 Pegida-Unterstützern gegenüber. Allerdings waren am Samstag schon... © dpa
... 35.000 Dresdner für Toleranz und gegen Fremdenhass auf die Straße gegangen. Mit Besen...
... 35.000 Dresdner für Toleranz und gegen Fremdenhass auf die Straße gegangen. Mit Besen... © Getty Images
... fegten die Teilnehmer symbolisch die Fremdenfeindlichkeit aus ihrer Stadt.
... fegten die Teilnehmer symbolisch die Fremdenfeindlichkeit aus ihrer Stadt. © Getty Images
Auch in Dresden demonstrierten Montag (12.1.) tausende Menschen für und gegen die Pegida.
Auch in Dresden demonstrierten Montag (12.1.) tausende Menschen für und gegen die Pegida. © imago/epd
Auch in Dresden demonstrierten Montag (12.1.) tausende Menschen für und gegen die Pegida.
Auch in Dresden demonstrierten Montag (12.1.) tausende Menschen für und gegen die Pegida. © imago/Christian Thiel
Auch in Dresden demonstrierten Montag (12.1.) tausende Menschen für und gegen die Pegida.
Auch in Dresden demonstrierten Montag (12.1.) tausende Menschen für und gegen die Pegida. © dpa
In München gingen 20.000 Menschen gegen Fremdenhass auf die Straße.
In München gingen 20.000 Menschen gegen Fremdenhass auf die Straße. © imago/Michael Westermann
In München gingen 20.000 Menschen gegen Fremdenhass auf die Straße.
In München gingen 20.000 Menschen gegen Fremdenhass auf die Straße. © imago/Michael Westermann
In München gingen 20.000 Menschen gegen Fremdenhass auf die Straße.
In München gingen 20.000 Menschen gegen Fremdenhass auf die Straße. © imago/Michael Westermann
30.000 Pegida-Gegner gingen in Leipzig auf die Straße – und rund 3000 Pegida-Anhänger.
30.000 Pegida-Gegner gingen in Leipzig auf die Straße – und rund 3000 Pegida-Anhänger. © dpa
30.000 Pegida-Gegner gingen in Leipzig auf die Straße – und rund 3000 Pegida-Anhänger.
30.000 Pegida-Gegner gingen in Leipzig auf die Straße – und rund 3000 Pegida-Anhänger. © dpa
30.000 Pegida-Gegner gingen in Leipzig auf die Straße – und rund 3000 Pegida-Anhänger.
30.000 Pegida-Gegner gingen in Leipzig auf die Straße – und rund 3000 Pegida-Anhänger. © dpa
30.000 Pegida-Gegner gingen in Leipzig auf die Straße – und rund 3000 Pegida-Anhänger.
30.000 Pegida-Gegner gingen in Leipzig auf die Straße – und rund 3000 Pegida-Anhänger. © dpa
30.000 Pegida-Gegner gingen in Leipzig auf die Straße – und rund 3000 Pegida-Anhänger.
30.000 Pegida-Gegner gingen in Leipzig auf die Straße – und rund 3000 Pegida-Anhänger. © dpa
In Saarbrücken traten 9000 Saarländer für mehr Toleranz ein und standen 200 Pegida-Protestanten gegenüber.
In Saarbrücken traten 9000 Saarländer für mehr Toleranz ein und standen 200 Pegida-Protestanten gegenüber. © dpa
In Saarbrücken traten 9000 Saarländer für mehr Toleranz ein und standen 200 Pegida-Protestanten gegenüber.
In Saarbrücken traten 9000 Saarländer für mehr Toleranz ein und standen 200 Pegida-Protestanten gegenüber. © dpa
In Saarbrücken traten 9000 Saarländer für mehr Toleranz ein und standen 200 Pegida-Protestanten gegenüber.
In Saarbrücken traten 9000 Saarländer für mehr Toleranz ein und standen 200 Pegida-Protestanten gegenüber. © dpa
In Rostock demonstrierten 2000 Pegida-Gegner. Die Pegida-Demo selbst wurde abgesagt.
In Rostock demonstrierten 2000 Pegida-Gegner. Die Pegida-Demo selbst wurde abgesagt. © dpa
In Rostock demonstrierten 2000 Pegida-Gegner. Die Pegida-Demo selbst wurde abgesagt.
In Rostock demonstrierten 2000 Pegida-Gegner. Die Pegida-Demo selbst wurde abgesagt. © imago/BildFunkMV
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Prominente gegen Pegida

"Die Drahtzieher dieser Demos sind Rechtsextreme, die von Islam- und Ausländerfeindlichkeit getrieben werden. Wer dort hingeht, muss sich im Klaren sein, welchen Rattenfängern er eine Bühne bietet", schreibt NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) auf ihrer Facebook-Seite. Dem Kölner Stadt-Anzeiger sagte sie: "Gegen Engstirnigkeit, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit müssen wir Zeichen von Weltoffenheit und Toleranz stellen." Wer sich von der Politik nicht richtig vertreten fühle, sei aufgerufen, selbst mitzumachen. © Volker Hartmann/WAZ FotoPool
Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kritisiert die Pegida-Initiatoren scharf:
Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kritisiert die Pegida-Initiatoren scharf: "Nicht wenige der Organisatoren sind verurteilte Kriminelle, Neonazis und Antisemiten. Anständige Leute laufen solchen Typen nicht hinterher." © picture alliance / dpa
Grünen-Chef Cem Özdemir lehnt einen Dialog mit den Demonstranten der islamfeindlichen Pegida-Bewegung entschieden ab.
Grünen-Chef Cem Özdemir lehnt einen Dialog mit den Demonstranten der islamfeindlichen Pegida-Bewegung entschieden ab. "Wir sind eine Exportnation, und dazu gehört auch Weltoffenheit und Toleranz." Das dürfe aber nicht verwechselt werden mit Beliebigkeit. Es dürfe keine Toleranz gegenüber Intoleranz geben - dies gelte für Islamisten wie für Rechtsradikale: "Auch ich fürchte mich vor dem Islamismus. Aber Fanatismus kann nicht mit anderem Fanatismus bekämpft werden", sagte Özdemir. (dpa) © dpa
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits in ihrer Neujahrsansprache die Bürger aufgerufen, sich den Pegida-Kundgebungen nicht anzuschließen. Zu oft sei
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits in ihrer Neujahrsansprache die Bürger aufgerufen, sich den Pegida-Kundgebungen nicht anzuschließen. Zu oft sei "Kälte, ja sogar Hass" in den Herzen der Organisatoren. © dpa
Der Grüne-Bundestagsabgeordnete Volker Beck schreibt auf seiner Facebook-Seite:
Der Grüne-Bundestagsabgeordnete Volker Beck schreibt auf seiner Facebook-Seite: "Köln hat sich heute als Stadt der Weltoffenheit & Vielfalt gezeigt, in der dumpfer Rassismus keinen Platz mehr hat. Ich bin stolz auf die vielen tausend Kölner*innen, die sich stundenlang in der Kälte ‪#‎kögida‬ entgegengestellt haben. Am Ende liefen wir und nicht die Pegiden über die Deutzer Brücke zum Heumarkt." © dpa
Der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Armin Laschet hält es hingegen für unnötig, der islamkritischen Pegida zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. In nordrhein-westfälischen Städten habe sie bislang nur wenige Hundert Demonstranten mobilisiert, sagte er der Nachrichtenagentur dpa.
Der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Armin Laschet hält es hingegen für unnötig, der islamkritischen Pegida zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. In nordrhein-westfälischen Städten habe sie bislang nur wenige Hundert Demonstranten mobilisiert, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. "Darum muss man keinen so großen Hype machen." Eine größere außerparlamentarische Opposition am rechten Rand sehe er mit Pegida nicht kommen. Man dürfe aber auch nicht leichtfertig alle, die etwa in Dresden zu Tausenden auf die Straße gingen, als "Nazis in Nadelstreifen" abstempeln, kritisierte Laschet. Es sei schwierig, aus der Ferne zu erklären, womit diese Menschen unzufrieden seien. Prinzipiell müsse die Politik jedem zuhören und Sorgen ernst nehmen. © dpa
Vor den ersten Kundgebungen der Pegida-Bewegung im neuen Jahr hatte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider, Christen vor einer Teilnahme gewarnt.
Vor den ersten Kundgebungen der Pegida-Bewegung im neuen Jahr hatte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider, Christen vor einer Teilnahme gewarnt. "Wir können nicht das Abendland verteidigen, indem wir den Islam als Feind ausrufen", sagte der im November aus dem Amt geschiedene Schneider der "Rheinischen Post" am Montag. Christinnen und Christen hätten auf diesen Kundgebungen nichts zu suchen. Schneider warnte die Politik davor, Forderungen der Pegida-Protestler aufzunehmen: "Hier müssen wir widersprechen und deutlich sagen, dass das Unsinn ist." (dpa) © dpa
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