Essen. Die eine Apotheke hat Antibiotika, die andere nicht: Warum Datenabgleich Patienten helfen könnte, sagt AOK-Manager Wältermann in unserem Podcast.

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Mit Apotheken, die ihre Daten tauschen und einer größeren Bevorratung wichtiger Medikamente ließen sich die viel beklagten Medikamentenengpässe schnell lindern, glaubt die AOK Rheinland/Hamburg. Oft seien Arzneien grundsätzlich verfügbar, aber gerade nicht lieferbar – „das ist in vielen Fällen ein klassisches Zuliefererproblem“, sagt Günter Wältermann, Chef der größten Krankenkasse in NRW, in unserem Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. Daran könne die Politik vergleichsweise schnell etwas ändern, während echte Produktionsausfälle etwa in China und Indien erst mittelfristig mit dem Aufbau europäischer Produktionsstätten aufgefangen werden könnten.

Wenn eine Apotheke ein Medikament nicht vorrätig habe, sage kein Apotheker: „Gehen Sie doch mal in die Nachbarapotheke, die hat noch welche“, so Wältermann. Was aus Sicht der Apotheken, die sich im Wettbewerb um Kundinnen und Kunden befinden, verständlich ist, sei nicht immer im Sinne der Patienten. Auf die Frage, ob die Politik Apotheken zum Austausch ihrer Daten zwingen solle, antwortete Wältermann: „Wenn jeder in die Warenhaltung des anderen reinschauen könnte, wenn man sagt, kooperiert miteinander, wäre das aus Patientensicht gut.“

System zur Medikamenten-Verfolgung

Die Voraussetzung dafür gebe es bereits, nämlich ein „sehr schönes System, mit dem sich jedes Medikament vom Hersteller über den Vertrieb bis zur Apotheke nachverfolgen lässt“, so Wältermann. Nur werde dieses System „in Deutschland bisher nicht vollumfänglich genutzt“. Für den AOK-Chef wäre es aber „eine Lösung, wie man sehr schnell Transparenz darüber schaffen könnte, wo welche Medikamente vorrätig sind. Dann wären wir einen Schritt weiter, um Lieferengpässe von Lieferausfällen unterscheiden zu können“.

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Dass Ausfälle einzelner Produktionen in Fernost derzeit so große Auswirkungen haben, sei kein deutsches, sondern ein europäisches Problem, sagt Wältermann. Der Plan von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Anreize für den Aufbau europäischer Werke zu setzen, sei richtig, auch wenn das erst in einigen Jahren helfen könne. In Europa gefertigte Medikamente würden aber teurer, warnt der Kassenmanager schon einmal vor, doch seien das „gute Kosten, weil sie mehr Versorgungssicherheit bringen“.

Um kurzfristige Engpässe aufzufangen, die etwa entstehen können, „weil ein Frachtschiff im Suezkanal versucht zu wenden“, seien Vorräte wichtig. Eine entsprechende Lagerhaltung gebe es in Deutschland so bisher nicht, deshalb unterstützt Wältermann die Pläne der Regierung, sie vorzuschreiben. Bei wichtigen Medikamenten sieht er auch den Staat in der Pflicht. Eine nationale Antibiotika-Reserve etwa, die der Apothekerverband fordert, hielte auch er für richtig: „Hier geht es um die Daseinsvorsorge, wenn wir hier eine Schwankungsreserve brauchen, muss der Staat sie auch aufbauen“.

Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft, wie sie Klaus Reinhardt, der Präsident der Bundesärztekammer, im vergangenen Winter angeregt hat, hält Wältermann auch mit Blick auf die kommende Erkältungssaison für abwegig: „Das ist eine vollkommen irregeleitete Diskussion, das ist hanebüchen.“

Günter Wältermann, Chef der AOK Rheinland/Hamburg, im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“.
Günter Wältermann, Chef der AOK Rheinland/Hamburg, im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Mit Sorge blickt der AOK-Chef auf den Mangel an Kinderärzten und Psychotherapeuten. Letztere fehlen überall, Kinderärzte vor allem in ärmeren Stadtteilen. Die so genannte Bedarfsplanung, die angibt, wie viele Praxen welcher Fachrichtung es in einem Gebiet geben soll, habe „sich massiv überholt“, sagt Wältermann. Deshalb hofft er, dass im Zuge der aktuell geplanten, großen Reform der Krankenhauslandschaft auch die ambulante Versorgung mitgedacht werde.

AOK-Chef: Ärzte lassen sich da nieder, wo das Umfeld stimmt

Genauso wichtig sei es aber, dass man Ärzte auch dorthin bekommt, wo sie gebraucht werden, sagt Wältermann und nennt Essen als Beispiel für Kinderärztemangel im Norden der Stadt. „Die meisten Ärzte gehen dahin, wo sie ein gutes Umfeld für ihre Praxis haben“, sagt Wältermann. Die Versorgung in allen Stadtteilen sicherzustellen, sei aber Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung (KV).

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Dass Menschen mit psychischen Erkrankungen viele Monate, teils ein Jahr auf eine Therapie warten müssen, hält der Chef der AOK Rheinland/Hamburg für untragbar. „Dieses Problem wird von der KV negiert“, beklagt er, obwohl offensichtlich sei, dass bei den Psychotherapeuten „das System nicht funktioniert“. Die langen Wartezeiten seien fatal, weil man bei psychischen Erkrankungen nach sechs Monaten von einer Chronifizierung spreche.

Was vielen kurzfristig helfen könne, seien mehr Gruppentherapien, um Menschen mit akuten Problemen schneller helfen zu können, auch benötige nicht jeder eine Langzeittherapie. Wenn es sehr dränge, empfiehlt Wältermann, den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der bundesweiten Nummer 116117 anzurufen. Die KV müsse dann dafür sorgen, „dass zeitnah eine Behandlung erfolgt“. Betroffene könnten sich auch an die AOK wenden, die dann versuche, mit der KV einen früheren Termin zu finden.

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Die Sorge vor einem Kliniksterben durch Lauterbachs geplante Reform teilt Wältermann indes nicht. „Es gibt keinen Grund, das zu befürchten“, sagte er. Es gehe darum, die Leistungen zu konzentrieren, dafür zu sorgen, „dass nicht jedes Krankenhaus alles operiert“, denn Kliniken, die häufig bestimmte Operationen machten, seien darin in der Regel besser.

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In ihrer Forderung nach mehr finanzieller Unterstützung vom Staat unterstützt Wältermann die Kliniken. Lauterbach will das alte Fallpauschalensystem abschaffen, das die Kliniken dazu animierte, möglichst oft zu operieren. Künftig soll auch die Vorhaltung von OP-Kapazitäten vergütet wird. Das bringe in der Umstellungsphase aber hohe Kosten mit sich, so Wältermann und fordert: „Vater Staat muss für diese Kosten aufkommen, diese Zusage brauchen die Krankenhäuser.“