Essen. Innenstädte haben als Orte des Konsums ausgedient, sagt Professor Bölting und prophezeit eine „gewaltige Abschreibungswelle“ für City-Immobilien.

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Seit Jahren befinden sich die Innenstädte vor allem im Ruhrgebiet in der Krise. Wenn Galeria Karstadt Kaufhof nun wie geplant in Dortmund, Essen und Gelsenkirchen ganz den Rückzug antritt, werden die Sorgen noch größer. Als Ausweg aus der Krise rät der Bochumer Professor Torsten Bölting dazu, Innenstädte nicht länger als Orte des Konsums zu begreifen und Eigentümer mit öffentlichen Mitteln beim Umbau ihrer Immobilien für neue Nutzungen massiv zu unterstützen.

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Vor geraumer Zeit ist Torsten Bölting mit seiner Familie ganz bewusst an den Rand der Recklinghäuser Innenstadt gezogen. „Wir wollen nah am Zentrum wohnen. Vor zehn Jahren bekam man hier alles, was man brauchte“, erzählt der Wissenschaftler

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Heute findet er die Recklinghäuser City mit ihren verwinkelten Gassen und schönen Fassaden „immer noch schnuckelig“. Das Einkaufsangebot habe aber deutlich nachgelassen. Was auch mit der Schließung der Karstadt-Filiale schon im Jahr 2015 zu tun habe.

Bölting: „Das Konzept Warenhaus ist am Ende“

Bölting geht nicht nur privat zum Einkaufen in die Innenstadt. Als gelernter Stadtplaner, Professor für Wohn- und Raumsoziologie an der von Verbänden der Wohnungswirtschaft betriebenen EBZ Business School sowie Leiter des Instituts InWIS, das auch Kommunen bei der Entwicklung von Quartieren berät, hat er auch einen professionellen Blick auf die Dinge. Bölting legt sich fest: „Das Konzept Warenhaus ist am Ende. Es stammt noch aus der Weimarer Republik oder der Kaiserzeit“, sagt er im Podcast. In der Vergangenheit sei es etwas Besonderes gewesen, „viele Dinge an einem Ort zu sehen und zu kaufen“. Das sei mittlerweile ganz anders. „Ich kann das heute, wenn ich will, im Internet machen oder fahre in die großen Fachmarktzentren. Da kriege ich die Sachen oft sogar günstiger“, meint der Professor.

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Das gelte im übrigen nicht nur für Warenhäuser, sondern für die gesamte City: „Wir haben irgendwann vor dem Zweiten Weltkrieg beschlossen, dass wir die Innenstadt im Wesentlichen als einen Ort für Konsum begreifen. Die Menschen sollen kaufen und staunen“, sagt Bölting. Das klassische Bummeln sei für Menschen Jahrzehnte lang auch interessant gewesen – auch, um sich Anregungen zu holen.

„Es steht eine gewaltige Abschreibungswelle an“

Das habe sich aber fundamental geändert. „Heute werden sie mit Informationen zugeschüttet. Dafür müssen sie nicht mehr in die Stadt laufen. Wir erleben einen Funktionsverlust. Die Innenstadt als Ort des Konsums brauchen wir eigentlich gar nicht mehr“, urteilt der Experte. Das Problem aber sei, dass die Stadtkerne baulich ganz auf Konsum ausgerichtet seien. Bölting: „Es geht allein ums Kaufen.“

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Das müsse sich nun ändern. Auf die Eigentümer der Immobilien sieht der Professor deshalb fundamentale Herausforderungen und zugleich ein Dilemma zukommen. Sie müssten viel investieren, um Ladenlokale zu modernisieren oder in Räume für Gastronomie, Arztpraxen oder Büros zu verwandeln. Mit den neuen Nutzern, so Bölting, würden sie aber deutlich geringere Mieteinnahmen generieren können als mit Einzelhändlern. „Das beeinflusst auch den Wert der Immobilien bei Weiterverkäufen. Es steht eine gewaltige Abschreibungswelle an. Da stehen riesige Summen im Raum, die wir im Grunde gar nicht mehr realisieren können“ prophezeit der Wissenschaftler. „Abwerten und gleichzeitig investieren ist das Ende für jeden wirtschaftlichen Betrieb einer Immobilie.“

Eigentümer von City-Immobilien „massiv unterstützen“

Deshalb müsse den Betroffenen geholfen werden. Eigentümern unter die Arme zu greifen, sei auch im gesellschaftlichen Interesse. „Wenn Gebäude leer stehen oder verfallen, ziehen sie gleich das Umfeld mit hinunter. Dann leiden weitaus mehr Eigentümer mit. Deshalb müssen wir massiv unterstützen“, fordert Bölting.

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In Bochum soll demnächst das Institut für Urbane Transformation gegründet werden, das beim Wandel in den Innenstädten behilflich sein soll. Der Professor hat genaue Vorstellungen, wie eine City der Zukunft aussehen soll. „Innenstädte müssen begeistern und anziehen“, meint Bölting. Sie seien Orte für Kultur, Gastronomie und Konsum, in denen sich Kinder sicher bewegen können und wo man um die Ecke wohnen kann. Und sie seien viel grüner als heute. Als Anti-Beispiel nennt der Professor das Areal gegenüber dem Dortmunder Hauptbahnhof. „Das ist der schlimmste Platz in Deutschland, unendlich hässlich. Kein Mensch würde sich dort aufhalten wollen.“