Bochum. Im Ruhrgebiet fehlen Neubau-Wohnungen, weil der Modernisierungsstau groß ist. Experten für den lahmenden Neubau die Kommunen verantwortlich.

2019 wurden in Nordrhein-Westfalen so viele Wohnungen fertiggestellt wie seit 15 Jahren nicht mehr. Erstmals gibt es zwischen Rhein und Weser mehr als neun Millionen Wohnungen. Doch der Boom ist nicht überall im Ruhrgebiet zu spüren.

„Im Ruhrgebiet gibt es einen unglaublich hohen Bedarf an neuen Wohnungen. Das liegt auch am schlechten Zustand des Bestands, der den heutigen Anforderungen nicht mehr genügt“, sagt Torsten Bölting. Der Stadtplaner, Professor an der EBZ Business School und Geschäftsführer des Instituts für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt-und Regionalentwicklung (Inwis) in Bochum kennt den Markt und bewertet die aktuelle Lage nüchtern. So viele Immobilien zu modernisieren, wie es nötig wäre, „ist schlichtweg nicht möglich“, meint Bölting.

Modernisierungsstau im Ruhrgebiet

Zu alt, zu klein und energetisch nicht auf dem neuesten Stand – im Ruhrgebiet ist der Anteil der Wohnungen, die in den aufstrebenden 50er und 60er Jahren kostengünstig gebaut wurden, immer noch hoch. Um den Modernisierungstau aufzulösen, schlägt der Professor ein Sonderprogramm mit öffentlichen Mitteln als ein Instrument vor, „um schwierige Wohnungsbestände im Ruhrgebiet zu sanieren“.

Gleichwohl dürfe der Neubau aber nicht nachlassen. Doch auch hier sieht Bölting Hemmnisse. „Investoren findet man. Immobilien sind weiterhin eine interessante Anlageform. Das Problem sind vielmehr die Flächen, die nicht so schnell zu entwickeln sind“, sagt der Stadtplaner. Die Ursache dafür sieht er in erster Linie in den Rathäusern. Für Tempo müsse die Politik vor Ort sorgen. „Klagen gegen Bebauungspläne verzögern den Prozess natürlich noch weiter“, betont Bölting.

Grundstückspreise und Baukosten steigen

Weil die Flächen knapp sind, steigen zudem die Preise. „Die Grundstücke sind zum großen Teil so teuer geworden, dass sozialer Wohnungsbau wirtschaftlich kaum möglich ist“, unterstreicht Alexander Rychter. Als Direktor des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen (VdW) vertritt er mehr als 480 Wohnungsunternehmen und –genossenschaften in NRW und dem nördlichen Rheinland-Pfalz. Die Preise galoppierten aber aus einem weiteren Grund: „Auch die Baukosten haben sich von der durchschnittlichen Teuerungsrate entkoppelt. Unter neun Euro pro Quadratmeter sind freifinanzierte Mieten kaum zu realisieren“, sagt Rychter. Die Durchschnittsmiete großer Konzerne wie Vonovia, LEG und Vivawest liegt knapp unter sieben Euro.

Es gibt also viele Gründe für knappen Wohnraum. Ausgangspunkt waren nach Einschätzung des Verbandsdirektors jedoch Fehleinschätzungen der Politik. „Landauf, landab gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Die Ursachen dafür liegen in den Nuller Jahren. 2007 war der absolute Tiefpunkt im Mietwohnungsneubau“, meint Rychter. „In der Politik war man damals der Meinung: ,Deutschland ist fertig gebaut.‘ Wir haben schon damals darauf hingewiesen, dass das ein Fehler ist. Die Einschätzung, die Bevölkerung schrumpfe, war rückblickend betrachtet eine Fehleinschätzung.“ Zumal, betont der Verbandsdirektor, viele Städte in dieser Phase ihre kommunalen Wohnungsunternehmen verkauft hätten.

Wohnen ist ein Standortfaktor

Bölting und Rychter räumen allerdings ein, dass der Motor für die Baukonjunktur im Ruhrgebiet inzwischen wieder laufe. „Es hat sich viel getan. Die Kommunen erkennen, dass Wohnen auch ein Standortfaktor ist“, sagt Professor Bölting.“ Große Projekte wie 6-Seen-Wedau in Duisburg, Essen 51, Smart Rhino Dortmund und Stadtpark Bochum gehen in die richtige Richtung.“ Verbandsdirektor Rychter misst vor allem 6-Seen-Wedau eine immense Bedeutung für Duisburg und die gesamte Region bei. Auf der Brache des ehemaligen Bahnausbesserungswerks gleich gegenüber der Regattabahn sollen rund 3000 Wohnungen entstehen.

"Duisburg hat mit dem Projekt ‚6-Seen-Wedau‘ eine echte Chance, gerade auch besserverdienende Menschen aus Düsseldorf in die Stadt zu locken“, meint Rychter. Zugleich könne der angespannte Wohnungsmarkt in der Landeshauptstadt entlastet werden. Der VdW-Chef sieht aber auch positive Entwicklungen. „In Mülheim und Herne gibt es ein partnerschaftliches Miteinander der Kommunen mit der Wohnungswirtschaft vor Ort. Man definiert gemeinsame Ziele. Das ist ein guter Weg“, so Rychter.

Rekord-Wohnungsbestand in NRW

Nach Angaben der NRW-Bank sind in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2019 fast 49.000 Wohnungen neu errichtet worden. Die Zahl war zuletzt 2005 höher. Rund ein Viertel der neuen Wohnungen entstand mit Fördermitteln des Landes. In ihrem jüngst veröffentlichten Bericht hebt die Förderbank hervor, dass vor allem „in den wirtschaftlich dynamischen Kreisen im Münsterland und im vorderen Ostwestfalen nach wie vor“ am meisten neu gebaut werde. Beim Geschosswohnungsbau stechen der Auswertung zufolge auch Großstädte wie Bonn, Düsseldorf, Münster, Paderborn und ihr Umland hervor.

Als größtes Neubauhemmnis nannten die von der NRW-Bank befragten Fachleute erstmals die hohe Auslastung der Bauwirtschaft. Das Statistische Landesamt erwartet einen Zuwachs der Haushalte in NRW um 2,5 Prozent bis zum Jahr 2040 – und damit einen wachsenden Bedarf an Wohnraum. Von den Großstädten im Ruhrgebiet profitieren der Modellrechnung zufolge aber nur Dortmund und Essen sowie Mülheim von dem Zuzug.