Essen. . Nikolaus Schneider, Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, ist bereit, für seine todkranke Frau Anne gegen seine theologischen Prinzipien zu handeln. Aus Liebe würde er sie zum Sterben in die Schweiz begleiten.

Mit der Ankündigung, seine Frau Anne notfalls auch zur Sterbehilfe in die Schweiz zu begleiten, hat der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, eine Debatte um den Tod auf Verlangen ausgelöst. Schneider hat in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ erklärt, er würde seiner an Brustkrebs erkrankten Frau beistehen, auch wenn es seiner theologisch-ethischen Überzeugung widerspreche.

Schneider hatte im Juni angekündigt, von seinem Amt als Ratsvorsitzender der EKD zurückzutreten, um seine an Krebs erkrankte Frau zu pflegen. Anlässlich der für 2015 anstehenden Neuregelung der Sterbehilfe im Bundestag hat sich die Evangelische Kirche bislang deutlich gegen die aktive Sterbehilfe ausgesprochen. Schneider betonte, er und seine Frau wollten am Beispiel ihrer eigenen Diskussion Impulse in die Öffentlichkeit geben. Schneider gegenüber dieser Zeitung: „Das sind Impulse, die eine klare Position zum Schutz des Lebens bedeuten, aber auch den Respekt vor unterschiedlichen Weichenstellungen in bestimmten Situationen.“

Die EKD betonte, sie halte an ihrer grundsätzlichen Ablehnung von Sterbehilfe fest, Ausnahmen seien jedoch möglich.

Die Liebe ist entscheidend

Er sagt: „Beim Sterben jede Hilfe. Aber nicht zum Sterben.“ Sie sagt: „Das ist doch eine Elfenbeinturm-Unterscheidung!“ und wünscht sich, „dass er neben mir sitzen und meine Hand halten würde, wenn ich Gift trinke. Auch wenn das seiner theologisch-ethischen Überzeugung widerspricht“. Ihre Diskussion ist sicher noch lange nicht zu Ende. Aber Nikolaus Schneider, der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat seiner an Brustkrebs erkrankten Frau Anne versprochen, sie bis zum Ende zu begleiten: „Die Liebe ist entscheidend!

Noch bis zum 10. November ist Nikolaus Schneider Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), also ihr oberster Repräsentant. Und so kann nicht privat sein, was theologische, was ethische, ja, was politische Fragen betrifft. Ende Juni kündigte der gebürtige Duisburger überraschend seinen Rücktritt an. Seine Frau Anne sei an Brustkrebs erkrankt, er wolle Zeit für sie haben, sich kümmern, sie pflegen.

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Von Christopher Onkelbach

Nun erklärt der 67-Jährige in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“, dass er entgegen seiner theologischen Haltung seine Frau sogar zum Sterben in die Schweiz begleiten wolle. „Meine Frau ist der Meinung, dass sie dieses Leben nicht einfach wegwerfen darf. Dass sie es aber in einer bestimmten Situation, wenn es für sie gar nicht mehr gelebt werden kann, weil es nur noch aus Schmerz besteht, aktiv in Gottes Hand zurückgeben kann“, sagte Schneider gestern dieser Zeitung. Wenn die Situation nur noch aus Schmerzen bestehe, sei auch die Würde des Menschen zerstört.

Er und seine Frau seien über dieser Frage schon seit langem im Gespräch. Sie beide wollten diese „lebensbedrohliche Krankheit nicht verdrängen“, sie wollten nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern „eine Zeit gestalten, die uns beiden gut tut“. Und das, so Schneider, „können wir nur, wenn wir das beide ehrlich machen“.

Anne und Nikolaus Schneider, der Sohn eines Hochofenarbeiters aus Duisburg-Huckingen, sind seit 44 Jahren verheiratet. Sie studierte wie er Theologie, wäre gerne Pfarrerin geworden, hat aber „um seiner beruflichen Vorstellungen willen meine gekippt“ und wurde schließlich Lehrerin. Er war Ende der 70er-Jahre Pfarrer in Rheinhausen, wo er sich für die Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Kohle- und Stahlindustrie einsetzte.

Schon einmal, 2005, musste Familie Schneider mit einer schweren, letztendlich tödlichen Krankheit umgehen. Damals starb Meike, eine ihrer drei Töchter, mit nur 22 Jahren an Leukämie. Über das Leiden ihrer Tochter schrieben Anne und Nikolaus Schneider gemeinsam ein Buch.

Beide wissen, wie es ist, mit einer schweren Krankheit leben zu müssen. Und Schneider glaubt auch, dass er bei den Seelsorgern in den Gemeinden auf Verständnis stoßen wird. „Als Seelsorger an der Basis habe ich selbst solche Situationen oft erlebt. Im Normalfall wird heute das Sterben angenommen. Es ist die absolute Ausnahme, dass es nur aus Schmerzen besteht. In dieser Situation, so hat es auch der Rat der EKD 2012 festgehalten, muss man selbst entscheiden. Dabei sollten die Würde des Menschen und die Liebe zum anderen das Leitmotiv sein.“

Sie wollten keine Diskussion anstoßen – aber sie taten es

Anne und Nikolaus Schneider wollten eine Diskussion anstoßen, sie haben sie angestoßen. Gestern sah sich die EKD zu einer Stellungnahme genötigt. Für Christen sei Sterbehilfe im Prinzip tabu. Extreme Notsituationen rechtfertigten für die evangelischen Kirche jedoch Ausnahmen, so ein Sprecher.

Und auch Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz meldete sich zu Wort: „Die Eheleute Schneider denken über nichts Verbotenes nach. Der Suizid und dessen Begleitung stehen weder unter Strafe noch unter kirchlichem Bann – aber im Spannungsfeld von Ethik und Liebe. Aber Schneider muss wissen, dass in einer Medienwelt seine differenzierte Sicht allein auf die Aussage, er würde seine Frau auch in die Schweiz zur Sterbehilfe begleiten, verkürzt wird. Öffentlich wird dann kaum noch diskutiert, dass er jedoch alles versuchen würde, seine Frau ,für einen anderen Weg zu gewinnen’. Der Pragmatiker und Medienprofi Schneider muss die Folgen von verkürzten Wiedergaben verantworten. Er spielt den Sterbehelfern in die Hände.“

Auch Anne und Nikolaus Schneider werden weiter diskutieren. Und notfalls ihre Liebe entscheiden lassen.