Bochum. . Ein einziger kurzer Moment der Fahrlässigkeit hat das Leben von Mussa aus Bochum für immer verändert: Im Mai 2013 warf ein Arbeiter beim Entrümpeln einen Sessel auf den Kopf des Kindes - aus mehr als 11 Metern Höhe. Das Landgericht Bochum verurteilte nun zwei Männer wegen fahrlässiger Körperverletzung. “Viel zu milde“, findet Mussas Mutter.

Mussas Locken wachsen. Sie scheren sie, wenn sie operieren müssen, schon bald aber kringeln sie sich wieder gnädig über seinen Narben – bis sie erneut abgeschnitten werden. Es wird noch oft so gehen im Leben des heute Fünfjährigen, aber selbst, wenn die Haare gerade lang sind: Sie werden nie verstecken können, wie groß die Verletzungen des kleinen Jungen sind, der ein großer Fußballspieler war und am liebsten Supermann.

Ein einziger kurzer Moment der Fahrlässigkeit hat das Leben von Mussa aus Bochum für immer verändert: Am 28. Mai 2013 warf ein Arbeiter beim Entrümpeln einen Sessel auf den Kopf des Kindes. Das 40 Kilo schwere Möbel flog aus einem Fenster in 11,5 Metern Höhe, traf Mussa mit voller Wucht, der gerade in der Hofeinfahrt arglos einem Ball nachrannte. Das Landgericht Bochum verurteilte am Dienstag nun zwei Männer wegen fahrlässiger Körperverletzung: Der Hilfsarbeiter (24), der den Sessel geworfen hatte, bekam ein Jahr Haft; sein damaliger Chef (52), der Wohnungsinhaber, drei Monate mehr. Beide Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem verhängte die 3. Strafkammer ein Schmerzensgeld in Höhe von 130.000 Euro und Schadenersatz in noch nicht festgelegter Höhe.

Möbel hatten nicht durch das enge Treppenhaus gepasst

„Viel zu milde“ fand Mussas Mutter das Urteil spontan; sie hatte mit ihrem Ehemann den Prozess als Nebenkläger verfolgt. Und doch ist die sechsköpfige Familie froh, dass nun Täter benannt sind: Die Schuldfrage war lange umstritten. Der Sesselwerfer („Es tut mir leid, was passiert ist“) hatte behauptet, den Auftrag von seinem Chef erhalten zu haben. Die Möbel hätten beim Ausräumen des Dachgeschosses nicht durch das enge Treppenhaus geschleppt werden sollen.

Der 52-Jährige bestritt solche Anweisungen; das Gericht indes, das das Verfahren gegen zwei weitere Angeklagte zuvor eingestellt hatte, glaubte ihm „kein einziges Wort“. Er habe versucht, so der Vorsitzende Richter Johannes Kirfel, „sich aus der Verantwortung zu stehlen“, hinter seinem Helfer zu „verstecken“. Nun aber werden, falls eine mögliche Revision die Lage nicht ändert, beide für die Folgen geradestehen müssen.

Und die sind schwer. Zu 80 Prozent gilt der kleine Mussa schon jetzt als behindert, ob er je wieder richtig Fußballspielen kann, ist zweifelhaft. Dabei ist es schon viel, dass er überhaupt lebt. Bewusstlos und blutend lag er damals auf dem Boden. „Kommt schnell runter!“, schrie seine Schwester (8), „Mussa ist tot!“ Der Vater brachte seinen Sohn ins Krankenhaus. „Das einzige, was Sie für ihn tun können“, sagten die Ärzte dort, „ist beten.“ Der Junge hatte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, einen solchen Schlag, ahnten die Mediziner, könne „kein Mensch überleben“.

Eigentlich. Doch eine Notoperation rettete Mussa, Tage lag er im Koma, Monate im Krankenbett. Sein linker Arm kann bis heute nur mühsam greifen, ein Fuß bleibt schwach. Mussa fällt viel – gefährlich für seinen Kopf, der noch lange nicht verheilt ist.

„Seine Psyche ist schwer verletzt“

Und dann sind da diese Momente, in denen Mussa sich in sich selbst zurückzieht, wütend ist oder voller Angst. „Seine Psyche“, sagt Herbert Weber, der ihn für den Opferschutz-Verein „Weisser Ring“ betreut, „ist schwer verletzt.“ Eine Therapie hat noch immer nicht beginnen können.

Beim Urteil war Mussa nicht dabei. Er geht jetzt in den Kindergarten; die Schule wird noch ein Jahr warten müssen. Für die Familie, weiß Weber, sei es „wichtig, dass sie jetzt zur Ruhe kommt“. Sie könne mit der Entscheidung leben, entschied die Mutter nach kurzem Zögern: „Solange Mussa läuft und lacht.“