Johannesburg. . Seit Wochen bangen die Angehörigen um die 276 von der Boko Haram entführten Mädchen. Nigerias Armee teilt nun mit, dass sie den Aufenthaltsort der Mädchen kenne. Doch eine gewaltsame Rettungsaktion gilt als zu gefährlich.
Am 14. April – vor über sechs Wochen – verschleppte die radikalislamische Terrorgruppe Boko Haram 276 Schülerinnen aus der Stadt Chibok im Nordosten Nigerias. Seither bangen Angehörige und Freunde um das Leben der Mädchen; seither warten sie verzweifelt auf ein Lebenszeichen ihrer Lieben. Und dann verkündet Nigerias Armeechef Alex Badeh am Dienstag vor den aus aller Welt angereisten Journalisten so überraschend wie gelassen: Der Aufenthaltsort der entführten Mädchen sei „durchaus bekannt“. Man wolle mit einer gewaltsamen Rettungsaktion nur nicht das Leben der Jugendlichen gefährden.
„Wir wissen, was wir tun“, betonte er. „Schließlich können wir unsere Mädchen nicht bei dem Versuch töten, sie zu ihren Eltern zurückzubringen.“
Ein Vermittler soll die Geiseln bereits besucht haben
Bloßer Bluff, um den ruinierten Ruf der 130 000 Mann starken Truppe aufzumöbeln? Oder ist an der Versicherung des Luftwaffen-Generals tatsächlich etwas dran? Zuungunsten des Stabschefs spricht, dass die nigerianischen Militärs zumindest im Bluffen Meister sind: Schon seit Monaten behaupten sie, dass die Sekte kurz vor der Zerschlagung stehe. Wenige Stunden nach dem epochalen Entführungsfall meldeten die Streitkräfte außerdem, dass sämtliche Schülerinnen bereits wieder befreit worden seien – eine genauso falsche wie peinliche Behauptung.
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Dennoch könnte an der aktuellen Versicherung des Streitkräftechefs etwas dran sein. Laut BBC soll die Regierung in Abuja mit der Sekte bereits eine Abmachung getroffen haben, wonach zumindest 50 der Mädchen im Austausch gegen 100 inhaftierte Sektenmitglieder freigelassen werden sollen: Ein Vermittler habe einen Teil der Entführten gar besuchen können. Der Deal sei aber im letzten Moment von der Regierung aufgekündigt worden: Präsident Goodluck Jonathan habe den vereinbarten „Gefangenenaustausch“ aus welchen Gründen auch immer unterbunden. Es ist Jonathans Zickzack-Politik, die im In- und Ausland für zunehmende Irritationen sorgt.
Mehrere Jahre lang versuchte der christliche Politiker, die sich im muslimischen Norden seines Landes zusammenbrauende Krise zu negieren. Als das nicht mehr ging, stimmte er in die großen Töne seiner Generäle ein, die die Sekte bereits totsagten. Und als sich auch das nicht länger aufrecht erhalten ließ, leitete er die Aufnahme von Gesprächen mit den Extremisten ein. Nur um wenige Wochen später zu verkünden, dass man mit Terroristen nicht reden könne.
Boko-Haram-Chef Abubakar Shekau, auf dessen Kopf die US-Regierung sieben Millionen Dollar (5,1 Millionen Euro) ausgesetzt hat, erklärte inzwischen, er sei bereit, die Schülerinnen freizulassen – wenn alle inhaftierten Boko-Haram-Mitglieder freigelassen würden. Zunächst hatte er gedroht, die Mädchen zu verkaufen – und niemand hatte bezweifelt, dass er es ernst meine. Denn Shekaus Geisteshaltung ist bekannt. In einer Videobotschaft hatte er 2012 betont: „Ich genieße es, jeden zu töten, den zu töten Gott mir den Auftrag gibt, so wie ich es genieße, Hühner oder Hammel zu töten.“ Seinen Worten folgen erfahrungsgemäß Taten. Auf das Konto seiner Organisation gehen Tausende Tote und Verletzte.
USA: Sechs Millionen Nigerianer sind vom Konflikt im Norden betroffen
Sechs Millionen Nigerianer sind laut einem US-Kongresspapier inzwischen direkt von dem Konflikt mit Boko Haram betroffen. Das Vertrauen in die nationalen Sicherheitskräfte schwindet. „Ich möchte der Regierung glauben, dass sie sich bemüht, die Mädchen zurückzubringen“, sagte etwa der frühere Erziehungsminister Oby Ezekwesile. Doch „die Gegensätze zwischen Worten und Taten“ erschwerten das sehr.